Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, II. Semester. III. Band.

Bild:
<< vorherige Seite
Die Braunschweigische Successionssrage.

Man redet jetzt in den Landen Braunschweig und Hannover viel von
den wahrscheinlichen Folgen des über kurz oder lang bevorstehenden Er¬
löschens der älteren Linie des Welfischen Fürstenhauses. Die beiden ein¬
zigen noch lebenden Repräsentanten dieser Linie sind die Herzöge Carl
(geb. 1804, seit 1830 im Exile lebend) und Wilhelm (geb. 1806, seit
1830 regierender Herzog von Braunschweig), welche beide unvermählt sind und
muthmaßlich auch bleiben werden. In Hannover lebt man der frohen Hoff¬
nung, daß mit dem Eintritts dieses Falles das Herzogthum Braunschweig
an die jüngere Welfesche Linie, das Haus Lüneburg, fallen und mit dem
Königreiche Hannover zu einem Staate verschmolzen werde, in der That eine
für Hannover äußerst glückliche Aussicht. Denn abgesehen davon, daß durch diese
Verschmelzung die jetzt getrennten nördlichen und südlichen Theile Hannovers,
zwischen denen sich das Herzogthum Braunschweig hinzieht, vereinigt und zu
einem wohlarrondirten Ländercomplexe abgerundet würden, muß auch der
Besitz des betriebsamen, städtereichen, von einer hochgebildeten Bevölkerung
bewohnten Ländchens, dessen Finanzen sich unter allen civilisirten Staaten
vielleicht im besten, blühendsten Zustande befinden, an sich im höchsten Grade
willkommen sein. Sehr anders denkt man hierüber im Herzogthum Braunschweig.
Wenn hier auch die Vortheile durchaus nicht unterschätzt werden, welche die
Verbindung mit einem großen und in der Welt angesehenen Lande darbietet,
so ist man doch darüber vollkommen einig, daß das Königreich Hannover
diese Eigenschaften nicht besitzt, daß es dagegen mit staatlichen Einrichtungen
beglückt worden, die den Braunschweiger, wenn er damit seine Institutionen
zusammenhält, mit der gerechten Furcht erfüllen, wieder hinabsteigen zu müs¬
sen von der glücklich erreichten Sprosse auf der nach dem Ideale des Staats¬
wesens führenden Leiter, um die vielhundertjährige Arbeit des Emporklimmens
entweder von vorn anzufangen, oder gar ganz von dieser Leiter fern gehalten
zu werden. Es ist wahrlich nichts Kleines, wenn ein Volksstamm von fast
300.000 Menschen auf Grund alter Rechte um seine staatliche Existenz gebracht


Grenzboten III. 1861. .1
Die Braunschweigische Successionssrage.

Man redet jetzt in den Landen Braunschweig und Hannover viel von
den wahrscheinlichen Folgen des über kurz oder lang bevorstehenden Er¬
löschens der älteren Linie des Welfischen Fürstenhauses. Die beiden ein¬
zigen noch lebenden Repräsentanten dieser Linie sind die Herzöge Carl
(geb. 1804, seit 1830 im Exile lebend) und Wilhelm (geb. 1806, seit
1830 regierender Herzog von Braunschweig), welche beide unvermählt sind und
muthmaßlich auch bleiben werden. In Hannover lebt man der frohen Hoff¬
nung, daß mit dem Eintritts dieses Falles das Herzogthum Braunschweig
an die jüngere Welfesche Linie, das Haus Lüneburg, fallen und mit dem
Königreiche Hannover zu einem Staate verschmolzen werde, in der That eine
für Hannover äußerst glückliche Aussicht. Denn abgesehen davon, daß durch diese
Verschmelzung die jetzt getrennten nördlichen und südlichen Theile Hannovers,
zwischen denen sich das Herzogthum Braunschweig hinzieht, vereinigt und zu
einem wohlarrondirten Ländercomplexe abgerundet würden, muß auch der
Besitz des betriebsamen, städtereichen, von einer hochgebildeten Bevölkerung
bewohnten Ländchens, dessen Finanzen sich unter allen civilisirten Staaten
vielleicht im besten, blühendsten Zustande befinden, an sich im höchsten Grade
willkommen sein. Sehr anders denkt man hierüber im Herzogthum Braunschweig.
Wenn hier auch die Vortheile durchaus nicht unterschätzt werden, welche die
Verbindung mit einem großen und in der Welt angesehenen Lande darbietet,
so ist man doch darüber vollkommen einig, daß das Königreich Hannover
diese Eigenschaften nicht besitzt, daß es dagegen mit staatlichen Einrichtungen
beglückt worden, die den Braunschweiger, wenn er damit seine Institutionen
zusammenhält, mit der gerechten Furcht erfüllen, wieder hinabsteigen zu müs¬
sen von der glücklich erreichten Sprosse auf der nach dem Ideale des Staats¬
wesens führenden Leiter, um die vielhundertjährige Arbeit des Emporklimmens
entweder von vorn anzufangen, oder gar ganz von dieser Leiter fern gehalten
zu werden. Es ist wahrlich nichts Kleines, wenn ein Volksstamm von fast
300.000 Menschen auf Grund alter Rechte um seine staatliche Existenz gebracht


Grenzboten III. 1861. .1
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <div n="3">
              <pb facs="#f0011" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/111981"/>
            </div>
          </div>
        </div>
        <div n="1">
          <head> Die Braunschweigische Successionssrage.</head><lb/>
          <p xml:id="ID_2" next="#ID_3"> Man redet jetzt in den Landen Braunschweig und Hannover viel von<lb/>
den wahrscheinlichen Folgen des über kurz oder lang bevorstehenden Er¬<lb/>
löschens der älteren Linie des Welfischen Fürstenhauses.  Die beiden ein¬<lb/>
zigen noch lebenden Repräsentanten dieser Linie sind die Herzöge Carl<lb/>
(geb. 1804, seit 1830 im Exile lebend) und Wilhelm (geb. 1806, seit<lb/>
1830 regierender Herzog von Braunschweig), welche beide unvermählt sind und<lb/>
muthmaßlich auch bleiben werden.  In Hannover lebt man der frohen Hoff¬<lb/>
nung, daß mit dem Eintritts dieses Falles das Herzogthum Braunschweig<lb/>
an die jüngere Welfesche Linie, das Haus Lüneburg, fallen und mit dem<lb/>
Königreiche Hannover zu einem Staate verschmolzen werde, in der That eine<lb/>
für Hannover äußerst glückliche Aussicht. Denn abgesehen davon, daß durch diese<lb/>
Verschmelzung die jetzt getrennten nördlichen und südlichen Theile Hannovers,<lb/>
zwischen denen sich das Herzogthum Braunschweig hinzieht, vereinigt und zu<lb/>
einem wohlarrondirten Ländercomplexe abgerundet würden, muß auch der<lb/>
Besitz des betriebsamen, städtereichen, von einer hochgebildeten Bevölkerung<lb/>
bewohnten Ländchens, dessen Finanzen sich unter allen civilisirten Staaten<lb/>
vielleicht im besten, blühendsten Zustande befinden, an sich im höchsten Grade<lb/>
willkommen sein. Sehr anders denkt man hierüber im Herzogthum Braunschweig.<lb/>
Wenn hier auch die Vortheile durchaus nicht unterschätzt werden, welche die<lb/>
Verbindung mit einem großen und in der Welt angesehenen Lande darbietet,<lb/>
so ist man doch darüber vollkommen einig, daß das Königreich Hannover<lb/>
diese Eigenschaften nicht besitzt, daß es dagegen mit staatlichen Einrichtungen<lb/>
beglückt worden, die den Braunschweiger, wenn er damit seine Institutionen<lb/>
zusammenhält, mit der gerechten Furcht erfüllen, wieder hinabsteigen zu müs¬<lb/>
sen von der glücklich erreichten Sprosse auf der nach dem Ideale des Staats¬<lb/>
wesens führenden Leiter, um die vielhundertjährige Arbeit des Emporklimmens<lb/>
entweder von vorn anzufangen, oder gar ganz von dieser Leiter fern gehalten<lb/>
zu werden.  Es ist wahrlich nichts Kleines, wenn ein Volksstamm von fast<lb/>
300.000 Menschen auf Grund alter Rechte um seine staatliche Existenz gebracht</p><lb/>
          <fw type="sig" place="bottom"> Grenzboten III. 1861. .1</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0011] Die Braunschweigische Successionssrage. Man redet jetzt in den Landen Braunschweig und Hannover viel von den wahrscheinlichen Folgen des über kurz oder lang bevorstehenden Er¬ löschens der älteren Linie des Welfischen Fürstenhauses. Die beiden ein¬ zigen noch lebenden Repräsentanten dieser Linie sind die Herzöge Carl (geb. 1804, seit 1830 im Exile lebend) und Wilhelm (geb. 1806, seit 1830 regierender Herzog von Braunschweig), welche beide unvermählt sind und muthmaßlich auch bleiben werden. In Hannover lebt man der frohen Hoff¬ nung, daß mit dem Eintritts dieses Falles das Herzogthum Braunschweig an die jüngere Welfesche Linie, das Haus Lüneburg, fallen und mit dem Königreiche Hannover zu einem Staate verschmolzen werde, in der That eine für Hannover äußerst glückliche Aussicht. Denn abgesehen davon, daß durch diese Verschmelzung die jetzt getrennten nördlichen und südlichen Theile Hannovers, zwischen denen sich das Herzogthum Braunschweig hinzieht, vereinigt und zu einem wohlarrondirten Ländercomplexe abgerundet würden, muß auch der Besitz des betriebsamen, städtereichen, von einer hochgebildeten Bevölkerung bewohnten Ländchens, dessen Finanzen sich unter allen civilisirten Staaten vielleicht im besten, blühendsten Zustande befinden, an sich im höchsten Grade willkommen sein. Sehr anders denkt man hierüber im Herzogthum Braunschweig. Wenn hier auch die Vortheile durchaus nicht unterschätzt werden, welche die Verbindung mit einem großen und in der Welt angesehenen Lande darbietet, so ist man doch darüber vollkommen einig, daß das Königreich Hannover diese Eigenschaften nicht besitzt, daß es dagegen mit staatlichen Einrichtungen beglückt worden, die den Braunschweiger, wenn er damit seine Institutionen zusammenhält, mit der gerechten Furcht erfüllen, wieder hinabsteigen zu müs¬ sen von der glücklich erreichten Sprosse auf der nach dem Ideale des Staats¬ wesens führenden Leiter, um die vielhundertjährige Arbeit des Emporklimmens entweder von vorn anzufangen, oder gar ganz von dieser Leiter fern gehalten zu werden. Es ist wahrlich nichts Kleines, wenn ein Volksstamm von fast 300.000 Menschen auf Grund alter Rechte um seine staatliche Existenz gebracht Grenzboten III. 1861. .1

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_111969
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_111969/11
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_111969/11>, abgerufen am 13.11.2024.