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Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, I. Semester. I. Band.

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Zwei Bundestage.

Die schweizerische Eidgenossenschaft besaß von 1815 bis 1847 eine Tag¬
satzung, welche mit dem deutschen Bundestage viele Aehnlichkeit hatte. In
manchen Beziehungen aber waren die beiden Einrichtungen verschieden. Die
schweizerische war uralt, Jedermann erkannte sie wieder, als sie nach der kur¬
zen helvetischen Republik und der napoleonischen Mediationsverfassung, welche
weit besser war. ihr ehrwürdiges Antlitz wieder zeigte. Die deutsche Bundes¬
verfassung war etwas Neues; sie war nicht das alte Reich, um so mehr be¬
rechtigte, sie zu den schönsten'Erwartungen. Die schweizerische Einrichtung be¬
ruhte ferner nicht auf so großartigen Fictionen wie die deutsche in Bezug auf
die Gleichberechtigung, aller Mitglieder des Bundes. Die Schweiz ist keine
Großmacht, unter ihren "Ständen" (Cantonen) sind keine Großmächte, kein
..Stand" hat außerschmeizerische Besitzungen, mit denen er als europäischer
Staat außerhalb der Eidgenossenschaft stünde; die Schweiz ist ferner neutral
und so lauge sie ihre-Ncutralttät nicht gefährdet glaubte, lag ihr mehr an
der Ungebundenheit ihrer Glieder als an der Zusammenfassung aller Kräfte
in Einer Hand. Dem Partikularismus, "Cautönligeist" genannt, entsprach
die Verfassung von 1815 vortrefflich. Deutschland hatte zwar als solches längst
aufgehört, eine Großmacht zu sein, aber durch den Bundestag sollte es wieder
une Großmacht werden. , Diese Aufgabe 'konnte der Bund jedoch nicht lösen,
weil er zwei Großmächte unter seinen Gliedern zählte, die keine dritte neben
sich haben wollten; die Institution'konnte daher, wie die schweizerische, nur
dem Particularismus dienen. Als die Schweiz merkte, daß sie ungeachtet ihrer
Neutralität angefochten werden könne, sorgte sie für eine bessere Bundesver¬
fassung; Deutschland, obgleich zum Oeftern bedroht, hat dies bis jetzt zwar
einmal versucht, aber nicht zu Stande gebracht.

In einzelnen Zügen bieten, sich noch bemerkenswerthe Vergleichungs¬
punkte zwischen der alten schweizerischen Tagsatzung und dem deutschen Bundes-
inge. Während Deutschland nur Ein Frankfurt hat. besaß die Schweiz deren
Drei. Alle zwei Jahre wechselte die Tagsatzung ihren Sip zwischen den


Grenzboten I. lotii. 41
Zwei Bundestage.

Die schweizerische Eidgenossenschaft besaß von 1815 bis 1847 eine Tag¬
satzung, welche mit dem deutschen Bundestage viele Aehnlichkeit hatte. In
manchen Beziehungen aber waren die beiden Einrichtungen verschieden. Die
schweizerische war uralt, Jedermann erkannte sie wieder, als sie nach der kur¬
zen helvetischen Republik und der napoleonischen Mediationsverfassung, welche
weit besser war. ihr ehrwürdiges Antlitz wieder zeigte. Die deutsche Bundes¬
verfassung war etwas Neues; sie war nicht das alte Reich, um so mehr be¬
rechtigte, sie zu den schönsten'Erwartungen. Die schweizerische Einrichtung be¬
ruhte ferner nicht auf so großartigen Fictionen wie die deutsche in Bezug auf
die Gleichberechtigung, aller Mitglieder des Bundes. Die Schweiz ist keine
Großmacht, unter ihren „Ständen" (Cantonen) sind keine Großmächte, kein
..Stand" hat außerschmeizerische Besitzungen, mit denen er als europäischer
Staat außerhalb der Eidgenossenschaft stünde; die Schweiz ist ferner neutral
und so lauge sie ihre-Ncutralttät nicht gefährdet glaubte, lag ihr mehr an
der Ungebundenheit ihrer Glieder als an der Zusammenfassung aller Kräfte
in Einer Hand. Dem Partikularismus, „Cautönligeist" genannt, entsprach
die Verfassung von 1815 vortrefflich. Deutschland hatte zwar als solches längst
aufgehört, eine Großmacht zu sein, aber durch den Bundestag sollte es wieder
une Großmacht werden. , Diese Aufgabe 'konnte der Bund jedoch nicht lösen,
weil er zwei Großmächte unter seinen Gliedern zählte, die keine dritte neben
sich haben wollten; die Institution'konnte daher, wie die schweizerische, nur
dem Particularismus dienen. Als die Schweiz merkte, daß sie ungeachtet ihrer
Neutralität angefochten werden könne, sorgte sie für eine bessere Bundesver¬
fassung; Deutschland, obgleich zum Oeftern bedroht, hat dies bis jetzt zwar
einmal versucht, aber nicht zu Stande gebracht.

In einzelnen Zügen bieten, sich noch bemerkenswerthe Vergleichungs¬
punkte zwischen der alten schweizerischen Tagsatzung und dem deutschen Bundes-
inge. Während Deutschland nur Ein Frankfurt hat. besaß die Schweiz deren
Drei. Alle zwei Jahre wechselte die Tagsatzung ihren Sip zwischen den


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[0331] Zwei Bundestage. Die schweizerische Eidgenossenschaft besaß von 1815 bis 1847 eine Tag¬ satzung, welche mit dem deutschen Bundestage viele Aehnlichkeit hatte. In manchen Beziehungen aber waren die beiden Einrichtungen verschieden. Die schweizerische war uralt, Jedermann erkannte sie wieder, als sie nach der kur¬ zen helvetischen Republik und der napoleonischen Mediationsverfassung, welche weit besser war. ihr ehrwürdiges Antlitz wieder zeigte. Die deutsche Bundes¬ verfassung war etwas Neues; sie war nicht das alte Reich, um so mehr be¬ rechtigte, sie zu den schönsten'Erwartungen. Die schweizerische Einrichtung be¬ ruhte ferner nicht auf so großartigen Fictionen wie die deutsche in Bezug auf die Gleichberechtigung, aller Mitglieder des Bundes. Die Schweiz ist keine Großmacht, unter ihren „Ständen" (Cantonen) sind keine Großmächte, kein ..Stand" hat außerschmeizerische Besitzungen, mit denen er als europäischer Staat außerhalb der Eidgenossenschaft stünde; die Schweiz ist ferner neutral und so lauge sie ihre-Ncutralttät nicht gefährdet glaubte, lag ihr mehr an der Ungebundenheit ihrer Glieder als an der Zusammenfassung aller Kräfte in Einer Hand. Dem Partikularismus, „Cautönligeist" genannt, entsprach die Verfassung von 1815 vortrefflich. Deutschland hatte zwar als solches längst aufgehört, eine Großmacht zu sein, aber durch den Bundestag sollte es wieder une Großmacht werden. , Diese Aufgabe 'konnte der Bund jedoch nicht lösen, weil er zwei Großmächte unter seinen Gliedern zählte, die keine dritte neben sich haben wollten; die Institution'konnte daher, wie die schweizerische, nur dem Particularismus dienen. Als die Schweiz merkte, daß sie ungeachtet ihrer Neutralität angefochten werden könne, sorgte sie für eine bessere Bundesver¬ fassung; Deutschland, obgleich zum Oeftern bedroht, hat dies bis jetzt zwar einmal versucht, aber nicht zu Stande gebracht. In einzelnen Zügen bieten, sich noch bemerkenswerthe Vergleichungs¬ punkte zwischen der alten schweizerischen Tagsatzung und dem deutschen Bundes- inge. Während Deutschland nur Ein Frankfurt hat. besaß die Schweiz deren Drei. Alle zwei Jahre wechselte die Tagsatzung ihren Sip zwischen den Grenzboten I. lotii. 41

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_110893/331>, abgerufen am 24.08.2024.