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Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, I. Semester. I. Band.

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Von der preußischen Grenze.

Die wichtige Aufgabe unserer gegenwärtigen Landesvertretung, durch gründliches
Eingehn auf einzelne Beschwerden und Petitionen eine künftige Revision der Gesetz¬
gebung vorzubereiten, wird nicht selten durch die Zudringlichkeit unberechtigter Willens-
Meinungen verkümmert; es wäre ein vorläufiger RcdactionsauSschuß zu wünschen,
der alles Angehörige in eine große Masse würfe, und durch systematische Gruppirung
des Zusammengehörigen dem Pctitionsausschuß selbst und namentlich dem Landtag
die Sache erleichterte, da die Zeit desselben doch dem ganzen Lande kostbar sein
muß. Ueber Erwarten hinaus wird dasselbe schon in dieser Session an der orga¬
nischen Gesetzgebung betheiligt. Abgesehen von dem Budget, sind ihm zunächst zwei
wichtige, tief in das innere Leben des Volks eingreifende legislative Entwürfe vor¬
gelegt: in Bezug aus die Civilehe und auf die Umlegung der Grundsteuer.

Was den letzteren betrifft, so versteht es sich von selbst, daß wir bei einem so
gründlich durchdachten Werk, das ein specielleres Eingehen erfordert, uns jeder vor¬
läufigen Bemerkung enthalten; auf die Bedenken gegen das Princip der Entschädi¬
gung der bisher stcucrsrcien Güter durch ein Capital, das der Staat aufbringt --
d. h. durch eine gemeinsame Besteuerung aller -- hat der Finanzminister selbst in
seinen Motiven aufmerksam gemacht.

Der von dem Cultusminister eingebrachte Gesetzvorschlag über die Civilehe ist
gegen die bisherige Praxis ein entschiedener Fortschritt, aber wir können uns nicht
verhehlen, daß er durch zu ängstliche, nach allen Seiten hin gerichtete Bedenken etwas
Unfertiges und Unzusammcnhängendcs erhalten hat. scho/n die Fassung hat etwas
Wunderliches, und da die in den Motiven ausgeführten Grundsätze -- die Noth¬
wendigkeit einerseits, dem Staatsgesetz Wirksamkeit zu verschaffen gegen den üblen
Willen der Kirche, ohne die Freiheit derselben zu beschränken; der Wunsch anderer¬
seits, die kirchliche Form der Ehe als die regelmäßige festzuhalten -- vollständig
den unsrigen entsprechen, so wundern wir uns, wie der Gesetzentwurf zu einem der
Erwartung so sehr entgegenlaufenden Schluß hat kommen können. Leider hat eine
von der Kreuzzeitung fortwährend colportirtc Redensart den Gesetzgeber, der mit
Recht auch den Vorurtheilen des Publicums Rechnung zu tragen entschlossen war,
ängstlich gemacht: die Redensart, durch den Zwang der Civilehe werde das Gewissen
der Gläubigen verletzt. Daß diese vollkommen sinnlose Redensart auch in gebildeten
Kreisen Eingang gefunden hat, begreift sich nur daraus, daß jede unermüdliche
Wiederholung ihr Stück durchsetzt. Es wäre allen beteiligten Parteien, dem Staat,
der Kirche und dem Publicum durch folgende Fassung des Gesetzes Genüge gethan:
die Ehe erhält für den Staat rechtliche Geltung durch Einzeichnung in die Civil-
rcgistcr vor Gericht. Diese Einzeichnung erfolgt, falls eine kirchliche Einsegnung
stattgefunden hat, durch einfache,, vom Pfarrer bescheinigte Anmeldung; im andern
Fall aus Grund des Verfahrens, wie es in dem Gesetzentwurf vorgesehn ist. --
Wenn sich durch diese Form des Civilchezwarigs irgend ein zartes Gewissen verletzt
fühlte, so könnte es ebenso gut durch die Art und Weise verletzt werden, wie man
irgend eine Hypothek einträgt.


Von der preußischen Grenze.

Die wichtige Aufgabe unserer gegenwärtigen Landesvertretung, durch gründliches
Eingehn auf einzelne Beschwerden und Petitionen eine künftige Revision der Gesetz¬
gebung vorzubereiten, wird nicht selten durch die Zudringlichkeit unberechtigter Willens-
Meinungen verkümmert; es wäre ein vorläufiger RcdactionsauSschuß zu wünschen,
der alles Angehörige in eine große Masse würfe, und durch systematische Gruppirung
des Zusammengehörigen dem Pctitionsausschuß selbst und namentlich dem Landtag
die Sache erleichterte, da die Zeit desselben doch dem ganzen Lande kostbar sein
muß. Ueber Erwarten hinaus wird dasselbe schon in dieser Session an der orga¬
nischen Gesetzgebung betheiligt. Abgesehen von dem Budget, sind ihm zunächst zwei
wichtige, tief in das innere Leben des Volks eingreifende legislative Entwürfe vor¬
gelegt: in Bezug aus die Civilehe und auf die Umlegung der Grundsteuer.

Was den letzteren betrifft, so versteht es sich von selbst, daß wir bei einem so
gründlich durchdachten Werk, das ein specielleres Eingehen erfordert, uns jeder vor¬
läufigen Bemerkung enthalten; auf die Bedenken gegen das Princip der Entschädi¬
gung der bisher stcucrsrcien Güter durch ein Capital, das der Staat aufbringt —
d. h. durch eine gemeinsame Besteuerung aller — hat der Finanzminister selbst in
seinen Motiven aufmerksam gemacht.

Der von dem Cultusminister eingebrachte Gesetzvorschlag über die Civilehe ist
gegen die bisherige Praxis ein entschiedener Fortschritt, aber wir können uns nicht
verhehlen, daß er durch zu ängstliche, nach allen Seiten hin gerichtete Bedenken etwas
Unfertiges und Unzusammcnhängendcs erhalten hat. scho/n die Fassung hat etwas
Wunderliches, und da die in den Motiven ausgeführten Grundsätze — die Noth¬
wendigkeit einerseits, dem Staatsgesetz Wirksamkeit zu verschaffen gegen den üblen
Willen der Kirche, ohne die Freiheit derselben zu beschränken; der Wunsch anderer¬
seits, die kirchliche Form der Ehe als die regelmäßige festzuhalten — vollständig
den unsrigen entsprechen, so wundern wir uns, wie der Gesetzentwurf zu einem der
Erwartung so sehr entgegenlaufenden Schluß hat kommen können. Leider hat eine
von der Kreuzzeitung fortwährend colportirtc Redensart den Gesetzgeber, der mit
Recht auch den Vorurtheilen des Publicums Rechnung zu tragen entschlossen war,
ängstlich gemacht: die Redensart, durch den Zwang der Civilehe werde das Gewissen
der Gläubigen verletzt. Daß diese vollkommen sinnlose Redensart auch in gebildeten
Kreisen Eingang gefunden hat, begreift sich nur daraus, daß jede unermüdliche
Wiederholung ihr Stück durchsetzt. Es wäre allen beteiligten Parteien, dem Staat,
der Kirche und dem Publicum durch folgende Fassung des Gesetzes Genüge gethan:
die Ehe erhält für den Staat rechtliche Geltung durch Einzeichnung in die Civil-
rcgistcr vor Gericht. Diese Einzeichnung erfolgt, falls eine kirchliche Einsegnung
stattgefunden hat, durch einfache,, vom Pfarrer bescheinigte Anmeldung; im andern
Fall aus Grund des Verfahrens, wie es in dem Gesetzentwurf vorgesehn ist. —
Wenn sich durch diese Form des Civilchezwarigs irgend ein zartes Gewissen verletzt
fühlte, so könnte es ebenso gut durch die Art und Weise verletzt werden, wie man
irgend eine Hypothek einträgt.


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[0406] Von der preußischen Grenze. Die wichtige Aufgabe unserer gegenwärtigen Landesvertretung, durch gründliches Eingehn auf einzelne Beschwerden und Petitionen eine künftige Revision der Gesetz¬ gebung vorzubereiten, wird nicht selten durch die Zudringlichkeit unberechtigter Willens- Meinungen verkümmert; es wäre ein vorläufiger RcdactionsauSschuß zu wünschen, der alles Angehörige in eine große Masse würfe, und durch systematische Gruppirung des Zusammengehörigen dem Pctitionsausschuß selbst und namentlich dem Landtag die Sache erleichterte, da die Zeit desselben doch dem ganzen Lande kostbar sein muß. Ueber Erwarten hinaus wird dasselbe schon in dieser Session an der orga¬ nischen Gesetzgebung betheiligt. Abgesehen von dem Budget, sind ihm zunächst zwei wichtige, tief in das innere Leben des Volks eingreifende legislative Entwürfe vor¬ gelegt: in Bezug aus die Civilehe und auf die Umlegung der Grundsteuer. Was den letzteren betrifft, so versteht es sich von selbst, daß wir bei einem so gründlich durchdachten Werk, das ein specielleres Eingehen erfordert, uns jeder vor¬ läufigen Bemerkung enthalten; auf die Bedenken gegen das Princip der Entschädi¬ gung der bisher stcucrsrcien Güter durch ein Capital, das der Staat aufbringt — d. h. durch eine gemeinsame Besteuerung aller — hat der Finanzminister selbst in seinen Motiven aufmerksam gemacht. Der von dem Cultusminister eingebrachte Gesetzvorschlag über die Civilehe ist gegen die bisherige Praxis ein entschiedener Fortschritt, aber wir können uns nicht verhehlen, daß er durch zu ängstliche, nach allen Seiten hin gerichtete Bedenken etwas Unfertiges und Unzusammcnhängendcs erhalten hat. scho/n die Fassung hat etwas Wunderliches, und da die in den Motiven ausgeführten Grundsätze — die Noth¬ wendigkeit einerseits, dem Staatsgesetz Wirksamkeit zu verschaffen gegen den üblen Willen der Kirche, ohne die Freiheit derselben zu beschränken; der Wunsch anderer¬ seits, die kirchliche Form der Ehe als die regelmäßige festzuhalten — vollständig den unsrigen entsprechen, so wundern wir uns, wie der Gesetzentwurf zu einem der Erwartung so sehr entgegenlaufenden Schluß hat kommen können. Leider hat eine von der Kreuzzeitung fortwährend colportirtc Redensart den Gesetzgeber, der mit Recht auch den Vorurtheilen des Publicums Rechnung zu tragen entschlossen war, ängstlich gemacht: die Redensart, durch den Zwang der Civilehe werde das Gewissen der Gläubigen verletzt. Daß diese vollkommen sinnlose Redensart auch in gebildeten Kreisen Eingang gefunden hat, begreift sich nur daraus, daß jede unermüdliche Wiederholung ihr Stück durchsetzt. Es wäre allen beteiligten Parteien, dem Staat, der Kirche und dem Publicum durch folgende Fassung des Gesetzes Genüge gethan: die Ehe erhält für den Staat rechtliche Geltung durch Einzeichnung in die Civil- rcgistcr vor Gericht. Diese Einzeichnung erfolgt, falls eine kirchliche Einsegnung stattgefunden hat, durch einfache,, vom Pfarrer bescheinigte Anmeldung; im andern Fall aus Grund des Verfahrens, wie es in dem Gesetzentwurf vorgesehn ist. — Wenn sich durch diese Form des Civilchezwarigs irgend ein zartes Gewissen verletzt fühlte, so könnte es ebenso gut durch die Art und Weise verletzt werden, wie man irgend eine Hypothek einträgt.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341590_186950/406>, abgerufen am 24.07.2024.