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Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, II. Semester. III. Band.

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Tas Vcltlin.
Eine historische Skizze.

Wo in der Ortlcsspitze die rhätischen und tiroler Alpen zusammenstoßen,
da entspringt an dem Abhang des Stilfser Jochs die Adda; in ihrem Lauf
bis dahin, wo sie sich in den Comersee ergießt, bildet sie, von hohen Gebirgs-
zügen im Norden, von niedrigeren im Süden begleitet, ein Thal von etwa
acht Meilen Länge und einer von zwei bis fünf Meilen wechselnden Breite,
die Valtellina, das Veltlin. Borden Bergen im Norden und Süden strö¬
men zahllose Bäche und Flüßchen der Adda zu, und meist an der Mündung der
so entstehenden Querthäler liegen zu beiden Seiten die kleinen aber zahlreichen
Ortschaften des fruchtbaren Thales; so Teglio, welches ihm den Namen gab,
Sondrio, Tirano, Morbegno, und nördlich dem Ursprung der Adda am
nächsten, nicht fern von den Grenzen von Graubünden und Tirol das wichtige
Bormio (Wälsch-Worms), welches die Straße über das Stilfser Joch beherrscht
und den Verkehr mit dem Jnnthal vermittelt. Nach der entgegengesetzten
Seite hin bildet das Thal von Chiavenna die nothwendige Ergänzung zu
diesem in sich geschlossenen Complex; der Splügcn bildet hier die Wasserscheide
des Rheins und der Adda, und über seinen Paß steigt man herab in das
Thal des Rheins und nach Chur, der Hauptstadt Graubündtens.

Wie das Veltlin seiner geographischen Lage, seiner physischen Beschaffen¬
heit, seiner Sprache, seinen Produkten nach zur Lombardei gehört, so hat es
auch das ganze Mittelalter hindurch an den Schicksalen derselben Theil genom¬
men. Von früher Zeit an finden wir es in nächster Verbindung mit Como.
dessen Bischof bis hierher seine geistliche Herrschaft ausdehnte; in den Zeiten
der Welsen- und Ghibellinenkämpfe wiederholte sich in den Ortschaften des
Veltlin der erbitterte Streit zwischen den Anhängern der welsischen Vitani und
der ghibellinischen Rusconi; indem es aber doch dem Mittelpunkt dieser Kämpfe
ferner stand, mochte es ihm wol gelingen, eher als die übrigen Theile des
comoschen Territoriums zur Ruhe und zu festen Zuständen zu gelangen und
dabei seine Stellung allmälig zu einer weniger abhängigen zu machen. Als


Grenzboten III. 1859. 11
Tas Vcltlin.
Eine historische Skizze.

Wo in der Ortlcsspitze die rhätischen und tiroler Alpen zusammenstoßen,
da entspringt an dem Abhang des Stilfser Jochs die Adda; in ihrem Lauf
bis dahin, wo sie sich in den Comersee ergießt, bildet sie, von hohen Gebirgs-
zügen im Norden, von niedrigeren im Süden begleitet, ein Thal von etwa
acht Meilen Länge und einer von zwei bis fünf Meilen wechselnden Breite,
die Valtellina, das Veltlin. Borden Bergen im Norden und Süden strö¬
men zahllose Bäche und Flüßchen der Adda zu, und meist an der Mündung der
so entstehenden Querthäler liegen zu beiden Seiten die kleinen aber zahlreichen
Ortschaften des fruchtbaren Thales; so Teglio, welches ihm den Namen gab,
Sondrio, Tirano, Morbegno, und nördlich dem Ursprung der Adda am
nächsten, nicht fern von den Grenzen von Graubünden und Tirol das wichtige
Bormio (Wälsch-Worms), welches die Straße über das Stilfser Joch beherrscht
und den Verkehr mit dem Jnnthal vermittelt. Nach der entgegengesetzten
Seite hin bildet das Thal von Chiavenna die nothwendige Ergänzung zu
diesem in sich geschlossenen Complex; der Splügcn bildet hier die Wasserscheide
des Rheins und der Adda, und über seinen Paß steigt man herab in das
Thal des Rheins und nach Chur, der Hauptstadt Graubündtens.

Wie das Veltlin seiner geographischen Lage, seiner physischen Beschaffen¬
heit, seiner Sprache, seinen Produkten nach zur Lombardei gehört, so hat es
auch das ganze Mittelalter hindurch an den Schicksalen derselben Theil genom¬
men. Von früher Zeit an finden wir es in nächster Verbindung mit Como.
dessen Bischof bis hierher seine geistliche Herrschaft ausdehnte; in den Zeiten
der Welsen- und Ghibellinenkämpfe wiederholte sich in den Ortschaften des
Veltlin der erbitterte Streit zwischen den Anhängern der welsischen Vitani und
der ghibellinischen Rusconi; indem es aber doch dem Mittelpunkt dieser Kämpfe
ferner stand, mochte es ihm wol gelingen, eher als die übrigen Theile des
comoschen Territoriums zur Ruhe und zu festen Zuständen zu gelangen und
dabei seine Stellung allmälig zu einer weniger abhängigen zu machen. Als


Grenzboten III. 1859. 11
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[0095] Tas Vcltlin. Eine historische Skizze. Wo in der Ortlcsspitze die rhätischen und tiroler Alpen zusammenstoßen, da entspringt an dem Abhang des Stilfser Jochs die Adda; in ihrem Lauf bis dahin, wo sie sich in den Comersee ergießt, bildet sie, von hohen Gebirgs- zügen im Norden, von niedrigeren im Süden begleitet, ein Thal von etwa acht Meilen Länge und einer von zwei bis fünf Meilen wechselnden Breite, die Valtellina, das Veltlin. Borden Bergen im Norden und Süden strö¬ men zahllose Bäche und Flüßchen der Adda zu, und meist an der Mündung der so entstehenden Querthäler liegen zu beiden Seiten die kleinen aber zahlreichen Ortschaften des fruchtbaren Thales; so Teglio, welches ihm den Namen gab, Sondrio, Tirano, Morbegno, und nördlich dem Ursprung der Adda am nächsten, nicht fern von den Grenzen von Graubünden und Tirol das wichtige Bormio (Wälsch-Worms), welches die Straße über das Stilfser Joch beherrscht und den Verkehr mit dem Jnnthal vermittelt. Nach der entgegengesetzten Seite hin bildet das Thal von Chiavenna die nothwendige Ergänzung zu diesem in sich geschlossenen Complex; der Splügcn bildet hier die Wasserscheide des Rheins und der Adda, und über seinen Paß steigt man herab in das Thal des Rheins und nach Chur, der Hauptstadt Graubündtens. Wie das Veltlin seiner geographischen Lage, seiner physischen Beschaffen¬ heit, seiner Sprache, seinen Produkten nach zur Lombardei gehört, so hat es auch das ganze Mittelalter hindurch an den Schicksalen derselben Theil genom¬ men. Von früher Zeit an finden wir es in nächster Verbindung mit Como. dessen Bischof bis hierher seine geistliche Herrschaft ausdehnte; in den Zeiten der Welsen- und Ghibellinenkämpfe wiederholte sich in den Ortschaften des Veltlin der erbitterte Streit zwischen den Anhängern der welsischen Vitani und der ghibellinischen Rusconi; indem es aber doch dem Mittelpunkt dieser Kämpfe ferner stand, mochte es ihm wol gelingen, eher als die übrigen Theile des comoschen Territoriums zur Ruhe und zu festen Zuständen zu gelangen und dabei seine Stellung allmälig zu einer weniger abhängigen zu machen. Als Grenzboten III. 1859. 11

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341590_107585/95>, abgerufen am 27.12.2024.