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Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, I. Semester. II. Band.

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Von der preußischen Grenze.

Weshalb mobilisiren wir eigentlich?

Diese Frage geht durch alle Stände, alle Berufs- und Altersklassen; durch alle
Parteien, alle Provinzen; ja in sämmtlichen deutschen Staaten, zum Theil selbst
unter den ehemaligen Kriegsschrcicrn sieht man langgezogene bedenkliche Gesichter.

Es könnte kommen, daß einmal Preußen angeklagt wird, das deutsche Volk
muthwillig in einen zwecklosen Krieg gestürzt zu haben; namentlich wenn der er¬
wünschte Erfolg ausbleibt.

Was ist vorgefallen, daß wir jetzt mobilisiren?

Die Frage legt sich jedermann vor, eine Antwort haben wir noch nicht gehört.
Eingeweide scheinen nur zwei Personen zu sein, die Pr. Z. und die Rat. Z., we¬
nigstens deuten beide an, sie könnten gar viel sagen, es wäre indeß schicklicher, noch
zu schweigen.

Die Aufklärungen, die sie bisher gegeben haben, sind nicht ausreichend; im
Gegentheil wird man nur noch mehr dadurch verwirrt.

Es scheint, als ob sie die Mobilmachung nicht in dem Sinn der Kreuzzei-
tung auffassen: daß nämlich Preußen einfach seine Bundes-, mit andern Worten
seine Lehnspflicht gegen Oestreich zu leisten habe, obgleich dieses den Krieg gegen den
entschiedenen Widerspruch Preußens übernommen hat. Auch wäre eine andere Auffassung
ganz gegen die bisherige Haltung dieser Blätter. Preußen soll nach ihnen nicht Oest¬
reichs, sondern seine eignen und Deutschlands Interessen vertreten. Die Pr. A vom
17. Juni sagt: ,,Die Richtung, welche Preußen in seinem innern Staatsleben ver¬
folgt, gibt hinlängliche Bürgschaft für die Bestrebungen seiner auswärtigen Politik.
-- Und wenn Preußen die Erhaltung der Grundlagen des europäischen Rechts-
zustandes auf seine Fahne geschrieben hat, so wird es Veranlassung haben zu zeigen,
daß es nicht gemeint ist, den Tendenzen der Unterdrückung oder der Vergewaltigung
Vorschub zu leisten."

Das klingt fast revolutionär; aber wie weit reicht die Tragweite dieser Worte?
-- Wo kommt denn ,.Unterdrückung" und "Vergewaltigung" vor? -- doch nicht
in Italien? -- Wenigstens unser stammverwandter und künftiger Alliirtcr versichert
wiederholt, das seien alles Verleumdungen. Tyrannei eristirt in Italien nur unter
der "kleinen aber despotischen revolutionären Partei" in Piemont, von welcher der
Feldzeugmeister Giulay die unterdrückten Piemontesen zu befreien verhieß. -- Jene
"kleine revolutionäre Partei" ist der König Victor Emanuel; wenn Oestreich diese
zu vertreiben verspricht, so ist es zwar nicht genau nach dem Recht der Verträge,
doch keine "Vergewaltigung", sondern ein Act der wahren Freiheit. -- Also mit
jenen Worten ist nicht viel gesagt.

Daß die Mobilisirung einen rein defensiven Charakter an sich trägt, versteht
sich von selbst; alle beteiligten Mächte verfahren rein defensiv; Piemont hat gerüstet,
weil es fürchtete, von Oestreich angegriffen zu werden; Oestreich, weil Graf Cavour
die Freischaren ihm auf den Leib schicken wollen; Frankreich vollends hat gar nicht
gerüstet.


Von der preußischen Grenze.

Weshalb mobilisiren wir eigentlich?

Diese Frage geht durch alle Stände, alle Berufs- und Altersklassen; durch alle
Parteien, alle Provinzen; ja in sämmtlichen deutschen Staaten, zum Theil selbst
unter den ehemaligen Kriegsschrcicrn sieht man langgezogene bedenkliche Gesichter.

Es könnte kommen, daß einmal Preußen angeklagt wird, das deutsche Volk
muthwillig in einen zwecklosen Krieg gestürzt zu haben; namentlich wenn der er¬
wünschte Erfolg ausbleibt.

Was ist vorgefallen, daß wir jetzt mobilisiren?

Die Frage legt sich jedermann vor, eine Antwort haben wir noch nicht gehört.
Eingeweide scheinen nur zwei Personen zu sein, die Pr. Z. und die Rat. Z., we¬
nigstens deuten beide an, sie könnten gar viel sagen, es wäre indeß schicklicher, noch
zu schweigen.

Die Aufklärungen, die sie bisher gegeben haben, sind nicht ausreichend; im
Gegentheil wird man nur noch mehr dadurch verwirrt.

Es scheint, als ob sie die Mobilmachung nicht in dem Sinn der Kreuzzei-
tung auffassen: daß nämlich Preußen einfach seine Bundes-, mit andern Worten
seine Lehnspflicht gegen Oestreich zu leisten habe, obgleich dieses den Krieg gegen den
entschiedenen Widerspruch Preußens übernommen hat. Auch wäre eine andere Auffassung
ganz gegen die bisherige Haltung dieser Blätter. Preußen soll nach ihnen nicht Oest¬
reichs, sondern seine eignen und Deutschlands Interessen vertreten. Die Pr. A vom
17. Juni sagt: ,,Die Richtung, welche Preußen in seinem innern Staatsleben ver¬
folgt, gibt hinlängliche Bürgschaft für die Bestrebungen seiner auswärtigen Politik.
— Und wenn Preußen die Erhaltung der Grundlagen des europäischen Rechts-
zustandes auf seine Fahne geschrieben hat, so wird es Veranlassung haben zu zeigen,
daß es nicht gemeint ist, den Tendenzen der Unterdrückung oder der Vergewaltigung
Vorschub zu leisten."

Das klingt fast revolutionär; aber wie weit reicht die Tragweite dieser Worte?
— Wo kommt denn ,.Unterdrückung" und „Vergewaltigung" vor? — doch nicht
in Italien? — Wenigstens unser stammverwandter und künftiger Alliirtcr versichert
wiederholt, das seien alles Verleumdungen. Tyrannei eristirt in Italien nur unter
der „kleinen aber despotischen revolutionären Partei" in Piemont, von welcher der
Feldzeugmeister Giulay die unterdrückten Piemontesen zu befreien verhieß. — Jene
„kleine revolutionäre Partei" ist der König Victor Emanuel; wenn Oestreich diese
zu vertreiben verspricht, so ist es zwar nicht genau nach dem Recht der Verträge,
doch keine „Vergewaltigung", sondern ein Act der wahren Freiheit. — Also mit
jenen Worten ist nicht viel gesagt.

Daß die Mobilisirung einen rein defensiven Charakter an sich trägt, versteht
sich von selbst; alle beteiligten Mächte verfahren rein defensiv; Piemont hat gerüstet,
weil es fürchtete, von Oestreich angegriffen zu werden; Oestreich, weil Graf Cavour
die Freischaren ihm auf den Leib schicken wollen; Frankreich vollends hat gar nicht
gerüstet.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341590_107046/522>, abgerufen am 22.12.2024.