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Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, I. Semester. II. Band.

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Schiller als Historiker.

Schillers Beschäftigung mit der Geschichte war freilich nur eine Episode
in seiner glänzenden Laufbahn, aber charakteristisch für die Art seines Schaffens
und Beobachters, einflußreich auf seine weitere Entwickelung und von nicht
geringen Folgen für die deutsche Geschichtschreibung im Allgemeinen. Wenn
er sie bald zu Gunsten philosophischer Studien aufgab und in den letzteren
die Unruhe seines Geistes und den Trieb zur Construction mehr befriedigen
konnte, so dürfte doch für seine wirkliche Bildung das bescheidenere Studium
nachhaltiger gewesen sein: die Geschichte gab ihm Stoff und wies ihm Gren¬
zen, während die Speculation seiner ohnehin schon sehr angespannten Selbst¬
thätigkeit unbestimmte und daher im Ganzen unpoetische Aussichten eröffnete.
Wallenstein und Tell hätte er schwerlich geschrieben, ohne vorhergehende Uebung
des historischen Blicks; die in diesen und andern Stücken hervortretenden
Spekulationen würde man gern entbehren.

Als Schiller mit genialer Keckheit durch das wilde Nachtgemälde der
Räuber die deutsche Jugend in Aufruhr setzte, waltete das Gefühl seiner
schöpferischen Kraft um so unbedingter in ihm, da seine Bildung ihm keine
Schranken zeigte. Er hatte die Militärakademie sehr unwissend verlassen
und der Verkehr mit Schauspielern und untergeordneten Persönlichkeiten konnte
ihn auf die Mängel seines Geistes nicht aufmerksam machen, und doch war
er nicht zufrieden mit sich, da sich der Kritiker frühzeitig in ihm regte. Erst
der Umgang mit dem harmonisch gebildeten Körner verrieth ihm, was ihm>
fehlte, und wie liebevoll sich auch Körner dem Genius unterordnete, so wußte
er doch in der Kritik die Ueberlegenheit seiner Bildung sehr heilsam geltend
zu machen. Schillers Ehrgeiz konnte auf die Dauer dies Gefühl nicht er¬
tragen, und bei seiner unermüdlichen Energie mochte er sich "wol zutraun, das
Verhältniß bald zu seinem Vortheil zu wenden. Schon Fiesco und Don
Carlos hatten ihn flüchtig für die Geschichte gewonnen; in Dresden scheint er
trotz seiner Beschäftigung mit den philosophischen Briefen eifriger darauf ein¬
gegangen zu sein, wenigstens findet sich folgende Stelle in einem Brief an
Körner 15. April 17861 "Täglich wird mir die Geschichte theurer. Ich habe


Grenzboten II. 1859. 56
Schiller als Historiker.

Schillers Beschäftigung mit der Geschichte war freilich nur eine Episode
in seiner glänzenden Laufbahn, aber charakteristisch für die Art seines Schaffens
und Beobachters, einflußreich auf seine weitere Entwickelung und von nicht
geringen Folgen für die deutsche Geschichtschreibung im Allgemeinen. Wenn
er sie bald zu Gunsten philosophischer Studien aufgab und in den letzteren
die Unruhe seines Geistes und den Trieb zur Construction mehr befriedigen
konnte, so dürfte doch für seine wirkliche Bildung das bescheidenere Studium
nachhaltiger gewesen sein: die Geschichte gab ihm Stoff und wies ihm Gren¬
zen, während die Speculation seiner ohnehin schon sehr angespannten Selbst¬
thätigkeit unbestimmte und daher im Ganzen unpoetische Aussichten eröffnete.
Wallenstein und Tell hätte er schwerlich geschrieben, ohne vorhergehende Uebung
des historischen Blicks; die in diesen und andern Stücken hervortretenden
Spekulationen würde man gern entbehren.

Als Schiller mit genialer Keckheit durch das wilde Nachtgemälde der
Räuber die deutsche Jugend in Aufruhr setzte, waltete das Gefühl seiner
schöpferischen Kraft um so unbedingter in ihm, da seine Bildung ihm keine
Schranken zeigte. Er hatte die Militärakademie sehr unwissend verlassen
und der Verkehr mit Schauspielern und untergeordneten Persönlichkeiten konnte
ihn auf die Mängel seines Geistes nicht aufmerksam machen, und doch war
er nicht zufrieden mit sich, da sich der Kritiker frühzeitig in ihm regte. Erst
der Umgang mit dem harmonisch gebildeten Körner verrieth ihm, was ihm>
fehlte, und wie liebevoll sich auch Körner dem Genius unterordnete, so wußte
er doch in der Kritik die Ueberlegenheit seiner Bildung sehr heilsam geltend
zu machen. Schillers Ehrgeiz konnte auf die Dauer dies Gefühl nicht er¬
tragen, und bei seiner unermüdlichen Energie mochte er sich »wol zutraun, das
Verhältniß bald zu seinem Vortheil zu wenden. Schon Fiesco und Don
Carlos hatten ihn flüchtig für die Geschichte gewonnen; in Dresden scheint er
trotz seiner Beschäftigung mit den philosophischen Briefen eifriger darauf ein¬
gegangen zu sein, wenigstens findet sich folgende Stelle in einem Brief an
Körner 15. April 17861 „Täglich wird mir die Geschichte theurer. Ich habe


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[0451] Schiller als Historiker. Schillers Beschäftigung mit der Geschichte war freilich nur eine Episode in seiner glänzenden Laufbahn, aber charakteristisch für die Art seines Schaffens und Beobachters, einflußreich auf seine weitere Entwickelung und von nicht geringen Folgen für die deutsche Geschichtschreibung im Allgemeinen. Wenn er sie bald zu Gunsten philosophischer Studien aufgab und in den letzteren die Unruhe seines Geistes und den Trieb zur Construction mehr befriedigen konnte, so dürfte doch für seine wirkliche Bildung das bescheidenere Studium nachhaltiger gewesen sein: die Geschichte gab ihm Stoff und wies ihm Gren¬ zen, während die Speculation seiner ohnehin schon sehr angespannten Selbst¬ thätigkeit unbestimmte und daher im Ganzen unpoetische Aussichten eröffnete. Wallenstein und Tell hätte er schwerlich geschrieben, ohne vorhergehende Uebung des historischen Blicks; die in diesen und andern Stücken hervortretenden Spekulationen würde man gern entbehren. Als Schiller mit genialer Keckheit durch das wilde Nachtgemälde der Räuber die deutsche Jugend in Aufruhr setzte, waltete das Gefühl seiner schöpferischen Kraft um so unbedingter in ihm, da seine Bildung ihm keine Schranken zeigte. Er hatte die Militärakademie sehr unwissend verlassen und der Verkehr mit Schauspielern und untergeordneten Persönlichkeiten konnte ihn auf die Mängel seines Geistes nicht aufmerksam machen, und doch war er nicht zufrieden mit sich, da sich der Kritiker frühzeitig in ihm regte. Erst der Umgang mit dem harmonisch gebildeten Körner verrieth ihm, was ihm> fehlte, und wie liebevoll sich auch Körner dem Genius unterordnete, so wußte er doch in der Kritik die Ueberlegenheit seiner Bildung sehr heilsam geltend zu machen. Schillers Ehrgeiz konnte auf die Dauer dies Gefühl nicht er¬ tragen, und bei seiner unermüdlichen Energie mochte er sich »wol zutraun, das Verhältniß bald zu seinem Vortheil zu wenden. Schon Fiesco und Don Carlos hatten ihn flüchtig für die Geschichte gewonnen; in Dresden scheint er trotz seiner Beschäftigung mit den philosophischen Briefen eifriger darauf ein¬ gegangen zu sein, wenigstens findet sich folgende Stelle in einem Brief an Körner 15. April 17861 „Täglich wird mir die Geschichte theurer. Ich habe Grenzboten II. 1859. 56

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341590_107046/451>, abgerufen am 22.12.2024.