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Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, I. Semester. II. Band.

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Ausblicke ans den Kriegsschauplatz.
W^

Mitte Mai des Jahres 1800 standen die Dinge in Piemont folgender¬
maßen. Die Oestreicher unter Melas hatten das Centrum der französischen
Armee unter Massena durchbrochen. Massen" selbst mit 28,000 Mann, unter
denen aber fast zwei Drittel Kranke, war nach Genua zurückgeworfen und ward
hier von 24,000 Oestreichern unter Ott blockirt. Der linke Flügel Massenas
unter Suchet, höchstens 16,000 Mann, war an den Var zurückgetrieben und
ihm gegenüber stand Melas mit 45,000 Mann. Kleinere östreichische Abthei¬
lungen beobachteten die nördlichen und nordwestlichen Alpenpässe.

Unterdessen hatte Bonaparte seine Reservearmee versammelt und begann
mit dieser, 36,000 Mann, am 15. Mai über den großen Se. Bernhard nach Ita¬
lien hinabzusteigen; verschiedene kleinere Abtheilungen, zusammen 25,000 bis
28,000 Mann, überschritten ungefähr gleichzeitig in seinen beiden Flanken den
Mont Cenis, den kleinen Se. Bernhard, den Simplon, den Gotthard.

Am 27. Mai hatte die Avantgarde der Reservearmee unter Lannes die
Schwierigkeiten der Alpen und des berühmten Forts Bart im Aostathal über¬
wunden und trat bei Jvrea in das Niederland ein; sie rückte nach Chivasso
vor, und hinter ihr marschirte das Gros der Reservearmee über Buffalora
nach Mailand, wo es am 1. und 2. Juni eintraf und sich mit den über den,
Simplon und Se. Gotthard hinabgekommenen Abtheilungen in Verbindung setzte;
auch Lannes ward von Chivasso herangezogen und am 5. und 6. Juni ließ
Bonaparte seine Avantgarde unter Lannes und Murat, der in den folgenden
Tagen die ganze Armee nachzog, bei Piacenza an das rechte (südliche) Pouser
übergehn, um zum Entsatz Genuas zu schreiten.

Am 18. hatte Melas erfahren, daß der Uebergang Bonapartes über die
Alpen begonnen habe; er ließ gegen Suchet am Var nur eine Division unter
Elsnitz zurück und marschirte mit den übrigen Truppen auf Turin; auch Ott
erhielt Befehl, Genua Genua sein zu lassen und sich mit der östreichischen
Hauptmacht zu vereinigen.

Indessen war Genua bereits so in die Enge getrieben, daß Massena eine
ihm allerdings äußerst günstige Convention mit Ott, der keine Zeit, hatte,
den Franzosen ungünstigere Bedingungen abzupressen, schließen mußte. Am
4. Juni ward diese Kapitulation besiegelt und am 6. Juni marschirte Ott
zur Vereinigung mit Melas auf Tortona ab.

Am 26. Mai war Melas in Turin eingetroffen, von wo er auf weitere


Ausblicke ans den Kriegsschauplatz.
W^

Mitte Mai des Jahres 1800 standen die Dinge in Piemont folgender¬
maßen. Die Oestreicher unter Melas hatten das Centrum der französischen
Armee unter Massena durchbrochen. Massen« selbst mit 28,000 Mann, unter
denen aber fast zwei Drittel Kranke, war nach Genua zurückgeworfen und ward
hier von 24,000 Oestreichern unter Ott blockirt. Der linke Flügel Massenas
unter Suchet, höchstens 16,000 Mann, war an den Var zurückgetrieben und
ihm gegenüber stand Melas mit 45,000 Mann. Kleinere östreichische Abthei¬
lungen beobachteten die nördlichen und nordwestlichen Alpenpässe.

Unterdessen hatte Bonaparte seine Reservearmee versammelt und begann
mit dieser, 36,000 Mann, am 15. Mai über den großen Se. Bernhard nach Ita¬
lien hinabzusteigen; verschiedene kleinere Abtheilungen, zusammen 25,000 bis
28,000 Mann, überschritten ungefähr gleichzeitig in seinen beiden Flanken den
Mont Cenis, den kleinen Se. Bernhard, den Simplon, den Gotthard.

Am 27. Mai hatte die Avantgarde der Reservearmee unter Lannes die
Schwierigkeiten der Alpen und des berühmten Forts Bart im Aostathal über¬
wunden und trat bei Jvrea in das Niederland ein; sie rückte nach Chivasso
vor, und hinter ihr marschirte das Gros der Reservearmee über Buffalora
nach Mailand, wo es am 1. und 2. Juni eintraf und sich mit den über den,
Simplon und Se. Gotthard hinabgekommenen Abtheilungen in Verbindung setzte;
auch Lannes ward von Chivasso herangezogen und am 5. und 6. Juni ließ
Bonaparte seine Avantgarde unter Lannes und Murat, der in den folgenden
Tagen die ganze Armee nachzog, bei Piacenza an das rechte (südliche) Pouser
übergehn, um zum Entsatz Genuas zu schreiten.

Am 18. hatte Melas erfahren, daß der Uebergang Bonapartes über die
Alpen begonnen habe; er ließ gegen Suchet am Var nur eine Division unter
Elsnitz zurück und marschirte mit den übrigen Truppen auf Turin; auch Ott
erhielt Befehl, Genua Genua sein zu lassen und sich mit der östreichischen
Hauptmacht zu vereinigen.

Indessen war Genua bereits so in die Enge getrieben, daß Massena eine
ihm allerdings äußerst günstige Convention mit Ott, der keine Zeit, hatte,
den Franzosen ungünstigere Bedingungen abzupressen, schließen mußte. Am
4. Juni ward diese Kapitulation besiegelt und am 6. Juni marschirte Ott
zur Vereinigung mit Melas auf Tortona ab.

Am 26. Mai war Melas in Turin eingetroffen, von wo er auf weitere


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[0438] Ausblicke ans den Kriegsschauplatz. W^ Mitte Mai des Jahres 1800 standen die Dinge in Piemont folgender¬ maßen. Die Oestreicher unter Melas hatten das Centrum der französischen Armee unter Massena durchbrochen. Massen« selbst mit 28,000 Mann, unter denen aber fast zwei Drittel Kranke, war nach Genua zurückgeworfen und ward hier von 24,000 Oestreichern unter Ott blockirt. Der linke Flügel Massenas unter Suchet, höchstens 16,000 Mann, war an den Var zurückgetrieben und ihm gegenüber stand Melas mit 45,000 Mann. Kleinere östreichische Abthei¬ lungen beobachteten die nördlichen und nordwestlichen Alpenpässe. Unterdessen hatte Bonaparte seine Reservearmee versammelt und begann mit dieser, 36,000 Mann, am 15. Mai über den großen Se. Bernhard nach Ita¬ lien hinabzusteigen; verschiedene kleinere Abtheilungen, zusammen 25,000 bis 28,000 Mann, überschritten ungefähr gleichzeitig in seinen beiden Flanken den Mont Cenis, den kleinen Se. Bernhard, den Simplon, den Gotthard. Am 27. Mai hatte die Avantgarde der Reservearmee unter Lannes die Schwierigkeiten der Alpen und des berühmten Forts Bart im Aostathal über¬ wunden und trat bei Jvrea in das Niederland ein; sie rückte nach Chivasso vor, und hinter ihr marschirte das Gros der Reservearmee über Buffalora nach Mailand, wo es am 1. und 2. Juni eintraf und sich mit den über den, Simplon und Se. Gotthard hinabgekommenen Abtheilungen in Verbindung setzte; auch Lannes ward von Chivasso herangezogen und am 5. und 6. Juni ließ Bonaparte seine Avantgarde unter Lannes und Murat, der in den folgenden Tagen die ganze Armee nachzog, bei Piacenza an das rechte (südliche) Pouser übergehn, um zum Entsatz Genuas zu schreiten. Am 18. hatte Melas erfahren, daß der Uebergang Bonapartes über die Alpen begonnen habe; er ließ gegen Suchet am Var nur eine Division unter Elsnitz zurück und marschirte mit den übrigen Truppen auf Turin; auch Ott erhielt Befehl, Genua Genua sein zu lassen und sich mit der östreichischen Hauptmacht zu vereinigen. Indessen war Genua bereits so in die Enge getrieben, daß Massena eine ihm allerdings äußerst günstige Convention mit Ott, der keine Zeit, hatte, den Franzosen ungünstigere Bedingungen abzupressen, schließen mußte. Am 4. Juni ward diese Kapitulation besiegelt und am 6. Juni marschirte Ott zur Vereinigung mit Melas auf Tortona ab. Am 26. Mai war Melas in Turin eingetroffen, von wo er auf weitere

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341590_107046/438>, abgerufen am 22.12.2024.