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Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, I. Semester. II. Band.

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Napoleon der Dritte und die italienische Frage.

Charakter und Politik des Mannes, welcher seit zehn Jahren mehr als
jeder andere Erdgeborne die Geschicke der civilisirten Welt aufregt, sind zu¬
weilen in d. Bl. besprochen worden. Es sei erlaubt, jetzt, wo die öffentliche
Meinung Deutschlands heftig gegen sein Wesen aufwallt, an früher Gesagtes
anzuknüpfen, und über ihn mit der Unbefangenheit zu reden, weiche sicherer da¬
zu hilft, den Gegner und das eigene Interesse zu verstehen, als heftige De¬
klamation. Es wird keine Indiscretion sein, seine Persönlichkeit, so weit sie
aus der Ferne verständlich ist. offener darzustellen, als man sonst vor lebenden
Herrschern thut; er selbst hat ein Recht dazu gegeben, denn er liebt es. sich
selbst, seine eigne Einsicht und sein Urtheil vor der Oeffentlichkeit zu zeigen.

Der Kaiser, von nicht unbedeutender, obgleich einseitiger Bildung, nicht
reich an Geist und fruchtbaren Gedanken, aber begabt mit einer starken Dosis
gesunden Menschenverstandes, langsam in seinen geistigen Operationen, zögernd
und vorsichtig vor dem Entschluß, aber von allem, was er sich zurecht gelegt,
sehr erfüllt, zäh und beharrlich, von schwerflüssigen Metall, ein verschlossener
Grübler, indolent und doch ein scharfer Beobachter, leicht gereizt, schwer ver¬
söhnt, leidet an dem Uebelstand, welchen der glückliche Emporkömmling schwer
überwindet, an großer Empfindlichkeit gegenüber den älteren Häusern. Lange
bekämpft, bricht eine verletzte Empfindung hervor und bestimmt im entschei¬
denden Augenblick seine Handlungen. Der langathmigen sichern Selbstsucht
der legitimen Dynastien steht dann plötzlich der wilde Egoismus des Aben¬
teurers gegenüber, der loyalen Rechtgläubigkeit von Gottes Gnaden ein trotzi¬
ger Fatalismus, und dem sicheren Gange traditioneller Politik das unruhige
Fordern einer oppositionellen Begehrlichkeit. Als Sohn eines Geschlechtes,
welches durch die Revolution groß geworden war, in Zeiten, wo die Macht
der Waffen jede alte Autorität zerstört hatte, wo Verträge und Eidschwüre zu
einem Spiel der Starken entwürdigt waren, hat er die Unruhe und Gewalt¬
samkeit seines Hauses geerbt, und seine Achtung vor geschriebenen Recht und
bestehenden Verträgen ist nicht größer, als die eines Ausgestoßenen, der im
Rotzigen Einzelkampfe gegen die bürgerliche Gesellschaft untergeht. Und wie


Grenzboten II. 18SS. 46
Napoleon der Dritte und die italienische Frage.

Charakter und Politik des Mannes, welcher seit zehn Jahren mehr als
jeder andere Erdgeborne die Geschicke der civilisirten Welt aufregt, sind zu¬
weilen in d. Bl. besprochen worden. Es sei erlaubt, jetzt, wo die öffentliche
Meinung Deutschlands heftig gegen sein Wesen aufwallt, an früher Gesagtes
anzuknüpfen, und über ihn mit der Unbefangenheit zu reden, weiche sicherer da¬
zu hilft, den Gegner und das eigene Interesse zu verstehen, als heftige De¬
klamation. Es wird keine Indiscretion sein, seine Persönlichkeit, so weit sie
aus der Ferne verständlich ist. offener darzustellen, als man sonst vor lebenden
Herrschern thut; er selbst hat ein Recht dazu gegeben, denn er liebt es. sich
selbst, seine eigne Einsicht und sein Urtheil vor der Oeffentlichkeit zu zeigen.

Der Kaiser, von nicht unbedeutender, obgleich einseitiger Bildung, nicht
reich an Geist und fruchtbaren Gedanken, aber begabt mit einer starken Dosis
gesunden Menschenverstandes, langsam in seinen geistigen Operationen, zögernd
und vorsichtig vor dem Entschluß, aber von allem, was er sich zurecht gelegt,
sehr erfüllt, zäh und beharrlich, von schwerflüssigen Metall, ein verschlossener
Grübler, indolent und doch ein scharfer Beobachter, leicht gereizt, schwer ver¬
söhnt, leidet an dem Uebelstand, welchen der glückliche Emporkömmling schwer
überwindet, an großer Empfindlichkeit gegenüber den älteren Häusern. Lange
bekämpft, bricht eine verletzte Empfindung hervor und bestimmt im entschei¬
denden Augenblick seine Handlungen. Der langathmigen sichern Selbstsucht
der legitimen Dynastien steht dann plötzlich der wilde Egoismus des Aben¬
teurers gegenüber, der loyalen Rechtgläubigkeit von Gottes Gnaden ein trotzi¬
ger Fatalismus, und dem sicheren Gange traditioneller Politik das unruhige
Fordern einer oppositionellen Begehrlichkeit. Als Sohn eines Geschlechtes,
welches durch die Revolution groß geworden war, in Zeiten, wo die Macht
der Waffen jede alte Autorität zerstört hatte, wo Verträge und Eidschwüre zu
einem Spiel der Starken entwürdigt waren, hat er die Unruhe und Gewalt¬
samkeit seines Hauses geerbt, und seine Achtung vor geschriebenen Recht und
bestehenden Verträgen ist nicht größer, als die eines Ausgestoßenen, der im
Rotzigen Einzelkampfe gegen die bürgerliche Gesellschaft untergeht. Und wie


Grenzboten II. 18SS. 46
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[0371] Napoleon der Dritte und die italienische Frage. Charakter und Politik des Mannes, welcher seit zehn Jahren mehr als jeder andere Erdgeborne die Geschicke der civilisirten Welt aufregt, sind zu¬ weilen in d. Bl. besprochen worden. Es sei erlaubt, jetzt, wo die öffentliche Meinung Deutschlands heftig gegen sein Wesen aufwallt, an früher Gesagtes anzuknüpfen, und über ihn mit der Unbefangenheit zu reden, weiche sicherer da¬ zu hilft, den Gegner und das eigene Interesse zu verstehen, als heftige De¬ klamation. Es wird keine Indiscretion sein, seine Persönlichkeit, so weit sie aus der Ferne verständlich ist. offener darzustellen, als man sonst vor lebenden Herrschern thut; er selbst hat ein Recht dazu gegeben, denn er liebt es. sich selbst, seine eigne Einsicht und sein Urtheil vor der Oeffentlichkeit zu zeigen. Der Kaiser, von nicht unbedeutender, obgleich einseitiger Bildung, nicht reich an Geist und fruchtbaren Gedanken, aber begabt mit einer starken Dosis gesunden Menschenverstandes, langsam in seinen geistigen Operationen, zögernd und vorsichtig vor dem Entschluß, aber von allem, was er sich zurecht gelegt, sehr erfüllt, zäh und beharrlich, von schwerflüssigen Metall, ein verschlossener Grübler, indolent und doch ein scharfer Beobachter, leicht gereizt, schwer ver¬ söhnt, leidet an dem Uebelstand, welchen der glückliche Emporkömmling schwer überwindet, an großer Empfindlichkeit gegenüber den älteren Häusern. Lange bekämpft, bricht eine verletzte Empfindung hervor und bestimmt im entschei¬ denden Augenblick seine Handlungen. Der langathmigen sichern Selbstsucht der legitimen Dynastien steht dann plötzlich der wilde Egoismus des Aben¬ teurers gegenüber, der loyalen Rechtgläubigkeit von Gottes Gnaden ein trotzi¬ ger Fatalismus, und dem sicheren Gange traditioneller Politik das unruhige Fordern einer oppositionellen Begehrlichkeit. Als Sohn eines Geschlechtes, welches durch die Revolution groß geworden war, in Zeiten, wo die Macht der Waffen jede alte Autorität zerstört hatte, wo Verträge und Eidschwüre zu einem Spiel der Starken entwürdigt waren, hat er die Unruhe und Gewalt¬ samkeit seines Hauses geerbt, und seine Achtung vor geschriebenen Recht und bestehenden Verträgen ist nicht größer, als die eines Ausgestoßenen, der im Rotzigen Einzelkampfe gegen die bürgerliche Gesellschaft untergeht. Und wie Grenzboten II. 18SS. 46

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341590_107046/371>, abgerufen am 22.12.2024.