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Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, I. Semester. II. Band.

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Kitschi-GlMli.

Kitschi.Gaul oder Erzählungen vom Obern See, Ein Beitrag zur Charak¬
teristik der amerikanischen Indianer von I. G, Kohl, 2. Bd. Bremen,
Schünemann.

Der Verfasser hielt sich während des Sommers 1855 eine Zeitlang am
User des Obern Sees auf, dem die Indianer jenen Namen geben. Dort
sammelte er aus dem Munde der Eingebornen die Geschichten, Sagen und
Gebräuche ihres Stammes, die er hier zu einem höchst anziehenden und
mannigfaltigen Gemälde ausgearbeitet hat. Als Probe theilen wir auszugs¬
weise eine der Sagen mit.

Der indianische Menaboshu ist nicht blos der Schöpfer oder Wieder¬
erzeuger dieser Erde, der sich, wie wol die Weltschöpfer in andern Mythen¬
kreisen, nachdem er sein Werk vollendet hat, in den Himmel zurückzieht. Er
bleibt vielmehr selbst aus dieser Erde, auf der er wie ein Indianer und
auch unter den Indianern selber fortlebt und allerlei Abenteuer besteht. Die
Odjivbewäs verflechten in seine Sage alle Ereignisse. Zustände und Phase"
ihres eigenen Lebens, freilich auf eine sehr phantastische und groteske
Weise. In den Leiden, Nöthen und Anfechtungen, die sie ihren Mena¬
boshu bestehen lassen, erkennt man die Leiden, Nöthe und Anfechtungen,
die ein indianischer Jäger Jahr aus Jahr ein auf seinem Lebenswege selbst
Zu ertragen hat. In dem Muthe, den Menaboshu entfaltet, in den Listen
und Kniffen, mit denen er sich hilft, gewahrt man ein treues Bild des Muthes
und der List, welcher ein Indianer fähig ist. Die Zaubermittel, die jener
anwendet, sind die Zaubermittel, an die der Indianer glaubt und die Ungc-
thinne und bösen Geister, von denen der mythische Held betraut und bedrängt
wird, sind auch dieselben, die der abergläubische Indianer als seine eigenen
Feinde im Wald, Wasser und Felsenversteck zu erblicken vermeint.

"Du hast mir gestern erzählt, wie Menaboshu sich wieder eine neue Welt
gestaltete, nachdem die bösen Schlangen die alte Natur zerstört und ersäuft
hatten. Aber sage mir, wo blieben den mittlerweile diese Schlangen. Hörten
sie auf. den Menaboshu in seiner neuen Welt zu necken? Waren sie todt oder ver¬
schwunden?" so hub ich am andern Tage zu La Fleures alter Mutter an. als ich
wieder gemüthlich meine Pfeife rauchend, auf ihrer Matte neben ihr und bei ihrem
Feuer Platz genommen hatte. Ich traf sie eben bei einer zum Erzählen sehr
passenden Beschäftigung. Sie flocht Schnüre aus dem Baste des sogenannten
^'Bois Blanc". Sie hatte eine Menge dünner Zweiglein von diesem Holze
in einem Wasserküvcl vor sich liegen, zupfte sie einem nach dem andern her-


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Kitschi-GlMli.

Kitschi.Gaul oder Erzählungen vom Obern See, Ein Beitrag zur Charak¬
teristik der amerikanischen Indianer von I. G, Kohl, 2. Bd. Bremen,
Schünemann.

Der Verfasser hielt sich während des Sommers 1855 eine Zeitlang am
User des Obern Sees auf, dem die Indianer jenen Namen geben. Dort
sammelte er aus dem Munde der Eingebornen die Geschichten, Sagen und
Gebräuche ihres Stammes, die er hier zu einem höchst anziehenden und
mannigfaltigen Gemälde ausgearbeitet hat. Als Probe theilen wir auszugs¬
weise eine der Sagen mit.

Der indianische Menaboshu ist nicht blos der Schöpfer oder Wieder¬
erzeuger dieser Erde, der sich, wie wol die Weltschöpfer in andern Mythen¬
kreisen, nachdem er sein Werk vollendet hat, in den Himmel zurückzieht. Er
bleibt vielmehr selbst aus dieser Erde, auf der er wie ein Indianer und
auch unter den Indianern selber fortlebt und allerlei Abenteuer besteht. Die
Odjivbewäs verflechten in seine Sage alle Ereignisse. Zustände und Phase»
ihres eigenen Lebens, freilich auf eine sehr phantastische und groteske
Weise. In den Leiden, Nöthen und Anfechtungen, die sie ihren Mena¬
boshu bestehen lassen, erkennt man die Leiden, Nöthe und Anfechtungen,
die ein indianischer Jäger Jahr aus Jahr ein auf seinem Lebenswege selbst
Zu ertragen hat. In dem Muthe, den Menaboshu entfaltet, in den Listen
und Kniffen, mit denen er sich hilft, gewahrt man ein treues Bild des Muthes
und der List, welcher ein Indianer fähig ist. Die Zaubermittel, die jener
anwendet, sind die Zaubermittel, an die der Indianer glaubt und die Ungc-
thinne und bösen Geister, von denen der mythische Held betraut und bedrängt
wird, sind auch dieselben, die der abergläubische Indianer als seine eigenen
Feinde im Wald, Wasser und Felsenversteck zu erblicken vermeint.

„Du hast mir gestern erzählt, wie Menaboshu sich wieder eine neue Welt
gestaltete, nachdem die bösen Schlangen die alte Natur zerstört und ersäuft
hatten. Aber sage mir, wo blieben den mittlerweile diese Schlangen. Hörten
sie auf. den Menaboshu in seiner neuen Welt zu necken? Waren sie todt oder ver¬
schwunden?" so hub ich am andern Tage zu La Fleures alter Mutter an. als ich
wieder gemüthlich meine Pfeife rauchend, auf ihrer Matte neben ihr und bei ihrem
Feuer Platz genommen hatte. Ich traf sie eben bei einer zum Erzählen sehr
passenden Beschäftigung. Sie flocht Schnüre aus dem Baste des sogenannten
^'Bois Blanc". Sie hatte eine Menge dünner Zweiglein von diesem Holze
in einem Wasserküvcl vor sich liegen, zupfte sie einem nach dem andern her-


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[0357] Kitschi-GlMli. Kitschi.Gaul oder Erzählungen vom Obern See, Ein Beitrag zur Charak¬ teristik der amerikanischen Indianer von I. G, Kohl, 2. Bd. Bremen, Schünemann. Der Verfasser hielt sich während des Sommers 1855 eine Zeitlang am User des Obern Sees auf, dem die Indianer jenen Namen geben. Dort sammelte er aus dem Munde der Eingebornen die Geschichten, Sagen und Gebräuche ihres Stammes, die er hier zu einem höchst anziehenden und mannigfaltigen Gemälde ausgearbeitet hat. Als Probe theilen wir auszugs¬ weise eine der Sagen mit. Der indianische Menaboshu ist nicht blos der Schöpfer oder Wieder¬ erzeuger dieser Erde, der sich, wie wol die Weltschöpfer in andern Mythen¬ kreisen, nachdem er sein Werk vollendet hat, in den Himmel zurückzieht. Er bleibt vielmehr selbst aus dieser Erde, auf der er wie ein Indianer und auch unter den Indianern selber fortlebt und allerlei Abenteuer besteht. Die Odjivbewäs verflechten in seine Sage alle Ereignisse. Zustände und Phase» ihres eigenen Lebens, freilich auf eine sehr phantastische und groteske Weise. In den Leiden, Nöthen und Anfechtungen, die sie ihren Mena¬ boshu bestehen lassen, erkennt man die Leiden, Nöthe und Anfechtungen, die ein indianischer Jäger Jahr aus Jahr ein auf seinem Lebenswege selbst Zu ertragen hat. In dem Muthe, den Menaboshu entfaltet, in den Listen und Kniffen, mit denen er sich hilft, gewahrt man ein treues Bild des Muthes und der List, welcher ein Indianer fähig ist. Die Zaubermittel, die jener anwendet, sind die Zaubermittel, an die der Indianer glaubt und die Ungc- thinne und bösen Geister, von denen der mythische Held betraut und bedrängt wird, sind auch dieselben, die der abergläubische Indianer als seine eigenen Feinde im Wald, Wasser und Felsenversteck zu erblicken vermeint. „Du hast mir gestern erzählt, wie Menaboshu sich wieder eine neue Welt gestaltete, nachdem die bösen Schlangen die alte Natur zerstört und ersäuft hatten. Aber sage mir, wo blieben den mittlerweile diese Schlangen. Hörten sie auf. den Menaboshu in seiner neuen Welt zu necken? Waren sie todt oder ver¬ schwunden?" so hub ich am andern Tage zu La Fleures alter Mutter an. als ich wieder gemüthlich meine Pfeife rauchend, auf ihrer Matte neben ihr und bei ihrem Feuer Platz genommen hatte. Ich traf sie eben bei einer zum Erzählen sehr passenden Beschäftigung. Sie flocht Schnüre aus dem Baste des sogenannten ^'Bois Blanc". Sie hatte eine Menge dünner Zweiglein von diesem Holze in einem Wasserküvcl vor sich liegen, zupfte sie einem nach dem andern her- 44*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341590_107046/357>, abgerufen am 22.12.2024.