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Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. IV. Band.

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nothwendig erkannten, nicht länger mehr zu umgehenden Regelung dieser in
das gewerbliche Leben so tief einschneidenden Frage unverweilt zu schreiten.
Die Staaten, welche sich dieser Nothwendigkeit entziehen, haben den unaus¬
bleiblichen Nachtheil sich allein zuzuschreiben.




. Die deutsche allgemeine und historische Knnstmisstellung
in München.

Es besteht in England eine Künstlersekte, welche eine übermäßige und
blos aus gedankenloser Nachbetung des Ueberlieferten erklärliche Macht des
Konventionellen in der neuern Malerei entdeckt zu haben meint und mit ge¬
waltigem Geräusch nun gegen diese Herrschaft ankämpft, nur die reine Natur,
nichts als die Natur, die natürlichste Natur in der Kunst wiederzubildcn er¬
strebt. Als conventionell betrachten diese Männer die Farbenharmonie, die
Mehrzahl der perspectivischen Gesetze, vor allem die sogenannte Luftperspective;
auch die Auswahl der Formen, die Rücksicht auf reinen Linienfluß in der
Zeichnung hallen sie vom Uebel, überhaupt die Entwicklung der Malerei seit
dem sechzehnten Jahrhundert sür eine dauernde Berirrung. Die Schutzpatrone
dieser Sekte sind die italienischen Maler des fünfzehnten Jahrhunderts, der
Name, unter welchem sie sich in England eingebürgert hat, jener der Prae-
raphacliten. Wir besitzen in Deutschland nicht den Namen, wol aber die Sache.
Die erkünstelten Schönheitsformen, die Aufgedunsenheit, die als markige Kraft
galt, die verzwickte Geziertheit^ die für Grazie genommen wurde, kurz alle in
akademischen Rumpelkammern bewahrte Schablonen fanden vor vierzig oder
fünfzig Jahren auch bei uns in der strebenden Künstlerjugend heftige Gegner
und erzeugten in dieser' den Entschluß zur Rückkehr auf primitive Formen.
Mitbestimmend wirkten literarische Einflüsse und jene bekannte Gemüthsdespcra-
tion, die, zu schwach, um aus den Wirren der neuern Zeit sich herauszuarbeiten,
die letztere lieber völlig verneinte. Die Flucht aus der Gegenwart war hier
ganz anders gemeint, als bei den antik gesinnten Künstlern. Diese nehmen
auf ihre einsamen Höhen doch eine allgemeine Lebensfreude, eine für alles
Schöne offene Stimmung mit, sie stehen mit dieser grade jetzt existirenden
Menschheit, nicht mit der Menschheit überhaupt im Unfrieden, bei der letzteren


nothwendig erkannten, nicht länger mehr zu umgehenden Regelung dieser in
das gewerbliche Leben so tief einschneidenden Frage unverweilt zu schreiten.
Die Staaten, welche sich dieser Nothwendigkeit entziehen, haben den unaus¬
bleiblichen Nachtheil sich allein zuzuschreiben.




. Die deutsche allgemeine und historische Knnstmisstellung
in München.

Es besteht in England eine Künstlersekte, welche eine übermäßige und
blos aus gedankenloser Nachbetung des Ueberlieferten erklärliche Macht des
Konventionellen in der neuern Malerei entdeckt zu haben meint und mit ge¬
waltigem Geräusch nun gegen diese Herrschaft ankämpft, nur die reine Natur,
nichts als die Natur, die natürlichste Natur in der Kunst wiederzubildcn er¬
strebt. Als conventionell betrachten diese Männer die Farbenharmonie, die
Mehrzahl der perspectivischen Gesetze, vor allem die sogenannte Luftperspective;
auch die Auswahl der Formen, die Rücksicht auf reinen Linienfluß in der
Zeichnung hallen sie vom Uebel, überhaupt die Entwicklung der Malerei seit
dem sechzehnten Jahrhundert sür eine dauernde Berirrung. Die Schutzpatrone
dieser Sekte sind die italienischen Maler des fünfzehnten Jahrhunderts, der
Name, unter welchem sie sich in England eingebürgert hat, jener der Prae-
raphacliten. Wir besitzen in Deutschland nicht den Namen, wol aber die Sache.
Die erkünstelten Schönheitsformen, die Aufgedunsenheit, die als markige Kraft
galt, die verzwickte Geziertheit^ die für Grazie genommen wurde, kurz alle in
akademischen Rumpelkammern bewahrte Schablonen fanden vor vierzig oder
fünfzig Jahren auch bei uns in der strebenden Künstlerjugend heftige Gegner
und erzeugten in dieser' den Entschluß zur Rückkehr auf primitive Formen.
Mitbestimmend wirkten literarische Einflüsse und jene bekannte Gemüthsdespcra-
tion, die, zu schwach, um aus den Wirren der neuern Zeit sich herauszuarbeiten,
die letztere lieber völlig verneinte. Die Flucht aus der Gegenwart war hier
ganz anders gemeint, als bei den antik gesinnten Künstlern. Diese nehmen
auf ihre einsamen Höhen doch eine allgemeine Lebensfreude, eine für alles
Schöne offene Stimmung mit, sie stehen mit dieser grade jetzt existirenden
Menschheit, nicht mit der Menschheit überhaupt im Unfrieden, bei der letzteren


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_266356/60>, abgerufen am 05.07.2024.