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Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. IV. Band.

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Theologie In der Regel nimmt sie dann auch die Wendung, eine doppelte
Vernunft vorauszusetzen, eine überirdische und eine irdische, von welchen die
eine die Gesetze der andern aufheben soll. Im Grund verfällt die Meta¬
physik in denselben Fehler. Auch der Pantheismus wie der Materialismus
gehn von Ideen aus, welche jene dem Erkenntnißvermögen immanente Anti¬
nomie außer Acht lassen, und verfallen daher ebenso der logischen Kritik. Es
hilft der Theologie nichts, wenn sie sich mit ihren Lehren auf eine höhere
Offenbarung beruft, denn auch bei der Offenbarung ist die menschliche Ver¬
nunft genöthigt, ihre ewigen Gesetze in Anwendung zu bringen: sie kann
überhaupt nicht denken, wenn sie nicht nach diesen Gesetzen denkt. "Wenn es
euch," ruft der Verfasser seinen Gegnern zu. "genügt, um diesem unvermeid-
lichen Schluß zu entgehn, euch eine Welt zu träumen, die außer und über der
Natur steht, wo das Fabelhafte wahr, das Chimärische wirklich, das Absurde
vernünftig wird, so thut es immerhin, wir werden euern Frieden nicht stören.
Schlaft und träumt nach Belieben; wenn ihr aber mit uns disputiren wollt,
so wartet ab, bis ihr erwacht seid, bis ihr den Gebrauch der Sprache, die
von den Wachenden gesprochen wird, wiedererlangt habt, denn nur dann
können wir euch versteh"." Weit gefährlicher für das praktische Leben aber
als die Idee eines doppelten Denkgesetzes ist die Idee eines doppelten Rechts,
denn sie würde allen Rechtsbegriff überhaupt aufheben; und hier weist der
Verfasser sehr glücklich nach, daß die Theologie mit ihrer Behauptung eines
offenbarten Rechts sich stets in Illusionen verliert, daß sie doch regelmäßig
ihr übernatürliches Recht vor dem angebornen Gewissen zu rechtfertigen sucht,
und er setzt hinzu, daß es unter diesen Umständen einfacher ist , es bei dem
letztern bewenden zu lassen.




Friedrich der Große von Carlyle.

Histor^ qf I'risÄrieb II. ok I^ussis., ealleä ?röäeriol: tuo Ki-cat. 1'Iioing,8
'Okrl^is. vox^riZIit Däitior>. I>sixiiig, L. TÄuodnit-i (volleetion ok
Lritisb ^.utbors, laue-Knit-s Däition). Vol. 1--5.

Erst seit kurzer Zeit ist Macaul aus Abhandlung über Friedrich den
Großen bei uns bekannt geworden, die man. obgleich sie schon 1842 geschrieben
war, bis dahin dem deutschen Publicum vorenthalten hatte. Wäre der Ruf
des berühmten Geschichtschreibers nicht über alle Anfechtung sicher gestellt, so
würde sich wahrscheinlich ein allgemeiner Schrei der Entrüstung dagegen er-


Theologie In der Regel nimmt sie dann auch die Wendung, eine doppelte
Vernunft vorauszusetzen, eine überirdische und eine irdische, von welchen die
eine die Gesetze der andern aufheben soll. Im Grund verfällt die Meta¬
physik in denselben Fehler. Auch der Pantheismus wie der Materialismus
gehn von Ideen aus, welche jene dem Erkenntnißvermögen immanente Anti¬
nomie außer Acht lassen, und verfallen daher ebenso der logischen Kritik. Es
hilft der Theologie nichts, wenn sie sich mit ihren Lehren auf eine höhere
Offenbarung beruft, denn auch bei der Offenbarung ist die menschliche Ver¬
nunft genöthigt, ihre ewigen Gesetze in Anwendung zu bringen: sie kann
überhaupt nicht denken, wenn sie nicht nach diesen Gesetzen denkt. „Wenn es
euch," ruft der Verfasser seinen Gegnern zu. „genügt, um diesem unvermeid-
lichen Schluß zu entgehn, euch eine Welt zu träumen, die außer und über der
Natur steht, wo das Fabelhafte wahr, das Chimärische wirklich, das Absurde
vernünftig wird, so thut es immerhin, wir werden euern Frieden nicht stören.
Schlaft und träumt nach Belieben; wenn ihr aber mit uns disputiren wollt,
so wartet ab, bis ihr erwacht seid, bis ihr den Gebrauch der Sprache, die
von den Wachenden gesprochen wird, wiedererlangt habt, denn nur dann
können wir euch versteh»." Weit gefährlicher für das praktische Leben aber
als die Idee eines doppelten Denkgesetzes ist die Idee eines doppelten Rechts,
denn sie würde allen Rechtsbegriff überhaupt aufheben; und hier weist der
Verfasser sehr glücklich nach, daß die Theologie mit ihrer Behauptung eines
offenbarten Rechts sich stets in Illusionen verliert, daß sie doch regelmäßig
ihr übernatürliches Recht vor dem angebornen Gewissen zu rechtfertigen sucht,
und er setzt hinzu, daß es unter diesen Umständen einfacher ist , es bei dem
letztern bewenden zu lassen.




Friedrich der Große von Carlyle.

Histor^ qf I'risÄrieb II. ok I^ussis., ealleä ?röäeriol: tuo Ki-cat. 1'Iioing,8
'Okrl^is. vox^riZIit Däitior>. I>sixiiig, L. TÄuodnit-i (volleetion ok
Lritisb ^.utbors, laue-Knit-s Däition). Vol. 1—5.

Erst seit kurzer Zeit ist Macaul aus Abhandlung über Friedrich den
Großen bei uns bekannt geworden, die man. obgleich sie schon 1842 geschrieben
war, bis dahin dem deutschen Publicum vorenthalten hatte. Wäre der Ruf
des berühmten Geschichtschreibers nicht über alle Anfechtung sicher gestellt, so
würde sich wahrscheinlich ein allgemeiner Schrei der Entrüstung dagegen er-


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[0295] Theologie In der Regel nimmt sie dann auch die Wendung, eine doppelte Vernunft vorauszusetzen, eine überirdische und eine irdische, von welchen die eine die Gesetze der andern aufheben soll. Im Grund verfällt die Meta¬ physik in denselben Fehler. Auch der Pantheismus wie der Materialismus gehn von Ideen aus, welche jene dem Erkenntnißvermögen immanente Anti¬ nomie außer Acht lassen, und verfallen daher ebenso der logischen Kritik. Es hilft der Theologie nichts, wenn sie sich mit ihren Lehren auf eine höhere Offenbarung beruft, denn auch bei der Offenbarung ist die menschliche Ver¬ nunft genöthigt, ihre ewigen Gesetze in Anwendung zu bringen: sie kann überhaupt nicht denken, wenn sie nicht nach diesen Gesetzen denkt. „Wenn es euch," ruft der Verfasser seinen Gegnern zu. „genügt, um diesem unvermeid- lichen Schluß zu entgehn, euch eine Welt zu träumen, die außer und über der Natur steht, wo das Fabelhafte wahr, das Chimärische wirklich, das Absurde vernünftig wird, so thut es immerhin, wir werden euern Frieden nicht stören. Schlaft und träumt nach Belieben; wenn ihr aber mit uns disputiren wollt, so wartet ab, bis ihr erwacht seid, bis ihr den Gebrauch der Sprache, die von den Wachenden gesprochen wird, wiedererlangt habt, denn nur dann können wir euch versteh»." Weit gefährlicher für das praktische Leben aber als die Idee eines doppelten Denkgesetzes ist die Idee eines doppelten Rechts, denn sie würde allen Rechtsbegriff überhaupt aufheben; und hier weist der Verfasser sehr glücklich nach, daß die Theologie mit ihrer Behauptung eines offenbarten Rechts sich stets in Illusionen verliert, daß sie doch regelmäßig ihr übernatürliches Recht vor dem angebornen Gewissen zu rechtfertigen sucht, und er setzt hinzu, daß es unter diesen Umständen einfacher ist , es bei dem letztern bewenden zu lassen. Friedrich der Große von Carlyle. Histor^ qf I'risÄrieb II. ok I^ussis., ealleä ?röäeriol: tuo Ki-cat. 1'Iioing,8 'Okrl^is. vox^riZIit Däitior>. I>sixiiig, L. TÄuodnit-i (volleetion ok Lritisb ^.utbors, laue-Knit-s Däition). Vol. 1—5. Erst seit kurzer Zeit ist Macaul aus Abhandlung über Friedrich den Großen bei uns bekannt geworden, die man. obgleich sie schon 1842 geschrieben war, bis dahin dem deutschen Publicum vorenthalten hatte. Wäre der Ruf des berühmten Geschichtschreibers nicht über alle Anfechtung sicher gestellt, so würde sich wahrscheinlich ein allgemeiner Schrei der Entrüstung dagegen er-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_266356/295>, abgerufen am 28.06.2024.