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Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. IV. Band.

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Geschichte der baicnschen Knmmeranflösung.
i.

Am 30. September wurde die venerische Kammer aufgelöst, nachdem sie
erst am 25. desselben Monats zusammengetreten, noch nicht einmal formell
eröffnet und eben erst in ihrex Constituirung begriffen war. Zum ersten Prä¬
sidenten hatte sie, wie in allen Sessionen seit 1849 den Grafen Hegnenberg-
Dux ernannt, zu Secrctüren mit derselben konservativen Konsequenz die
ebenso lange fungirenden, von der Regierung wahrend und wegen ihrer wohl¬
gefälligen parlamentarischen Wirksamkeit zum Regierungsrath und zum Consi-
storialrath beförderten ehemaligen Bürgermeister nar und Maier. Den zweiten
Präsidentensessel besetzte sie mit dem, nach Auflösung der Gesetzgebungsaus¬
schüsse von seiner Würzburger Professur, trotz aller Gegenpctitionen zum cich-
städtcr Appellationsgericht als Rath versetzten Dr. Weiß. Daß jene Beförderung
nicht als Gunsterweis zu gelten hatte, läßt sich nur daraus schließen, daß
der jetzige Ministerpräsident Dr. Ludwig Freiherr v. d. Pfordten, wie dessen
offiziöse Biographien ausdrücklich sagen, unter dem Ministerium Abel seiner
damals mißliebigen politischen Ueberzeugungen halber ebenfalls von seiner
Würzburger Professur an das Appellationsgericht Aschaffenburg versetzt worden
war, weshalb er den Ruf nach Leipzig angenommen habe und solchermaßen
seinem engeren Vaterland mehre Jahre lang entzogen geblieben sei. Demnach
wird die höchst überraschende Kammerauflösung, seit 1848 die dritte, selbst
schon in den telegraphischen Depeschen an die Wahl des Dr. Weiß zum Vice-
präsidenten gebunden.

In unsrer parlamentarisch ernüchterten Zeit ist eine Kammerauflösung
^ so gewaltsamer Schritt, daß es beinahe blos eine Blasphemie der betannt-
hch immer wühlenden Propaganda des Umsturzes sein kann, wenn einer er¬
leuchteten und starken Regierung dafür ein so untergeordnetes Motiv unter¬
geschoben wird. Man hat daher gewiß den Grund viel tiefer zu suchen, man


Grenzboten IV. 1SSS. 16
Geschichte der baicnschen Knmmeranflösung.
i.

Am 30. September wurde die venerische Kammer aufgelöst, nachdem sie
erst am 25. desselben Monats zusammengetreten, noch nicht einmal formell
eröffnet und eben erst in ihrex Constituirung begriffen war. Zum ersten Prä¬
sidenten hatte sie, wie in allen Sessionen seit 1849 den Grafen Hegnenberg-
Dux ernannt, zu Secrctüren mit derselben konservativen Konsequenz die
ebenso lange fungirenden, von der Regierung wahrend und wegen ihrer wohl¬
gefälligen parlamentarischen Wirksamkeit zum Regierungsrath und zum Consi-
storialrath beförderten ehemaligen Bürgermeister nar und Maier. Den zweiten
Präsidentensessel besetzte sie mit dem, nach Auflösung der Gesetzgebungsaus¬
schüsse von seiner Würzburger Professur, trotz aller Gegenpctitionen zum cich-
städtcr Appellationsgericht als Rath versetzten Dr. Weiß. Daß jene Beförderung
nicht als Gunsterweis zu gelten hatte, läßt sich nur daraus schließen, daß
der jetzige Ministerpräsident Dr. Ludwig Freiherr v. d. Pfordten, wie dessen
offiziöse Biographien ausdrücklich sagen, unter dem Ministerium Abel seiner
damals mißliebigen politischen Ueberzeugungen halber ebenfalls von seiner
Würzburger Professur an das Appellationsgericht Aschaffenburg versetzt worden
war, weshalb er den Ruf nach Leipzig angenommen habe und solchermaßen
seinem engeren Vaterland mehre Jahre lang entzogen geblieben sei. Demnach
wird die höchst überraschende Kammerauflösung, seit 1848 die dritte, selbst
schon in den telegraphischen Depeschen an die Wahl des Dr. Weiß zum Vice-
präsidenten gebunden.

In unsrer parlamentarisch ernüchterten Zeit ist eine Kammerauflösung
^ so gewaltsamer Schritt, daß es beinahe blos eine Blasphemie der betannt-
hch immer wühlenden Propaganda des Umsturzes sein kann, wenn einer er¬
leuchteten und starken Regierung dafür ein so untergeordnetes Motiv unter¬
geschoben wird. Man hat daher gewiß den Grund viel tiefer zu suchen, man


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[0129] Geschichte der baicnschen Knmmeranflösung. i. Am 30. September wurde die venerische Kammer aufgelöst, nachdem sie erst am 25. desselben Monats zusammengetreten, noch nicht einmal formell eröffnet und eben erst in ihrex Constituirung begriffen war. Zum ersten Prä¬ sidenten hatte sie, wie in allen Sessionen seit 1849 den Grafen Hegnenberg- Dux ernannt, zu Secrctüren mit derselben konservativen Konsequenz die ebenso lange fungirenden, von der Regierung wahrend und wegen ihrer wohl¬ gefälligen parlamentarischen Wirksamkeit zum Regierungsrath und zum Consi- storialrath beförderten ehemaligen Bürgermeister nar und Maier. Den zweiten Präsidentensessel besetzte sie mit dem, nach Auflösung der Gesetzgebungsaus¬ schüsse von seiner Würzburger Professur, trotz aller Gegenpctitionen zum cich- städtcr Appellationsgericht als Rath versetzten Dr. Weiß. Daß jene Beförderung nicht als Gunsterweis zu gelten hatte, läßt sich nur daraus schließen, daß der jetzige Ministerpräsident Dr. Ludwig Freiherr v. d. Pfordten, wie dessen offiziöse Biographien ausdrücklich sagen, unter dem Ministerium Abel seiner damals mißliebigen politischen Ueberzeugungen halber ebenfalls von seiner Würzburger Professur an das Appellationsgericht Aschaffenburg versetzt worden war, weshalb er den Ruf nach Leipzig angenommen habe und solchermaßen seinem engeren Vaterland mehre Jahre lang entzogen geblieben sei. Demnach wird die höchst überraschende Kammerauflösung, seit 1848 die dritte, selbst schon in den telegraphischen Depeschen an die Wahl des Dr. Weiß zum Vice- präsidenten gebunden. In unsrer parlamentarisch ernüchterten Zeit ist eine Kammerauflösung ^ so gewaltsamer Schritt, daß es beinahe blos eine Blasphemie der betannt- hch immer wühlenden Propaganda des Umsturzes sein kann, wenn einer er¬ leuchteten und starken Regierung dafür ein so untergeordnetes Motiv unter¬ geschoben wird. Man hat daher gewiß den Grund viel tiefer zu suchen, man Grenzboten IV. 1SSS. 16

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_266356/129>, abgerufen am 28.06.2024.