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Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. IV. Band.

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Das trübe Jahr, welches Preußen in eine so zweifelhafte Lage zu den übrigen
europäischen Mächten gebracht, hat nun endlich einen glücklichen Ausgang gesunden.
Durch die Proclamation der Regentschaft ist die einheitliche und unabhängige Negie¬
rung, deren der Staat dringender bedürfte als je, hergestellt und durch die politisch
correcte Form, in welcher dieser Act vor sich gegangen ist, das Rechtsbewußtsein des
Volks wieder aufgefrischt worden. Alle Intriguen sind vereitelt und wir können
einer Zukunft entgegensetzn, die wenigstens klarer sein wird als die verflossenen
zehn Jahre. Ueber die materiellen Veränderungen, welche dieser Regierungswechsel
mit sich bringen wird, können wir natürlich für jetzt noch keine Vorstellung haben,
aber ein äußerst günstiges Zeichen ist die neue Besetzung des Ministeriums des In¬
nern, welche an demselben Tage stattgefunden hat. Grade diese Gleichzeitigkeit ist
das Erfreulichste daran. Denn daß auf die Länge das gegenwärtige Bcaufsichtigungs-
system sich nicht halten würde, war freilich vorauszusehn. Wir glauben, daß.man
die Bedeutung des Herrn von Westphalen in der politischen Entwicklung der letzten
Jahre zu gering angeschlagen IM Es kommt gar nicht darauf an. wie viel Geist,
Scharfsinn und Bildung an dieser Stelle aufgewandt wird, ein zäher Wille, der
kein Bedenken kennt, der an ein enges System geknüpft, in unablässiger Geschäf¬
tigkeit "ach dieser einen Seite hin arbeitet, richtet im Lauf der Jahre mehr aus,
als die feinste Intrigue. Das System, welches durch den Eintritt des Herrn von
Westphalen in das Ministerium indicirt wurde, das absolute Polizeircgimcnt im Inter¬
esse der feudalistischen Partei, hätte keinen wirksameren Träger finden können; mit
welcher Unverdrossenst und wie allseitig es ins Werk gesetzt worden, darüber
werden wol bald interessante Enthüllungen folgen. Der glänzendste Erfolg dieses
Systems war der Landtag, der in einigen Tagen zum letzte" Mal zusammentritt und
die stauncnswürdigste Leistung des Systems war die Rede, mit welcher der Herr
geheime Regierungsrath Hahn im Dienst des Herrn von Westphalen diesen Erfolg
mit völligster Unbefangenheit der Kammer verkündete. Es wäre zeitgemäß, diese
Rede wieder ins Gedächtniß zurückzurufen.

Der Name des Mannes, welchem die interimistische Vertretung dieses Ministe¬
riums anvertraut ist, bürgt dafür, daß die schon früher, aber immer nur heimlich
angekündigte Versicherung des Prinzen von Preußen, die neuen Wahlen sollten ohne
willkürliche Einmischung der Polizei vor sich gehn, jetzt zur Wahrheit werden wird.
Ein Staatsmann aus der altpreußischen Schule, an gesunden Menschenverstand und
an Rechtschaffenheit der Amtsführung gewöhnt, wird er dafür sorgen, daß man mit dem
Gesetz nicht spielt. Das Resultat der Wahlen ist also in die Hand der Wähler
gegeben; es wird sich jetzt zeigen, ob das preußische Volk zur constitutionellen Ver¬
fassung reif ist.

Eine freilich sehr unerquickliche aber durchaus nothwendige Aufgabe des neuen
Landtags wird nun sein, die Wirksamkeit und die Folgen des jetzt zu Grabe ge¬
tragenen Systems ausführlich zu Tage zu bringen. Es mag zu beklagen sein,
daß die Verfassung sür den unbestimmten Begriff der ministeriellen Verantwortlichkeit
keine gesetzlichen Formen gefunden hat, aber es handelt sich hier anch nur darum.


Das trübe Jahr, welches Preußen in eine so zweifelhafte Lage zu den übrigen
europäischen Mächten gebracht, hat nun endlich einen glücklichen Ausgang gesunden.
Durch die Proclamation der Regentschaft ist die einheitliche und unabhängige Negie¬
rung, deren der Staat dringender bedürfte als je, hergestellt und durch die politisch
correcte Form, in welcher dieser Act vor sich gegangen ist, das Rechtsbewußtsein des
Volks wieder aufgefrischt worden. Alle Intriguen sind vereitelt und wir können
einer Zukunft entgegensetzn, die wenigstens klarer sein wird als die verflossenen
zehn Jahre. Ueber die materiellen Veränderungen, welche dieser Regierungswechsel
mit sich bringen wird, können wir natürlich für jetzt noch keine Vorstellung haben,
aber ein äußerst günstiges Zeichen ist die neue Besetzung des Ministeriums des In¬
nern, welche an demselben Tage stattgefunden hat. Grade diese Gleichzeitigkeit ist
das Erfreulichste daran. Denn daß auf die Länge das gegenwärtige Bcaufsichtigungs-
system sich nicht halten würde, war freilich vorauszusehn. Wir glauben, daß.man
die Bedeutung des Herrn von Westphalen in der politischen Entwicklung der letzten
Jahre zu gering angeschlagen IM Es kommt gar nicht darauf an. wie viel Geist,
Scharfsinn und Bildung an dieser Stelle aufgewandt wird, ein zäher Wille, der
kein Bedenken kennt, der an ein enges System geknüpft, in unablässiger Geschäf¬
tigkeit »ach dieser einen Seite hin arbeitet, richtet im Lauf der Jahre mehr aus,
als die feinste Intrigue. Das System, welches durch den Eintritt des Herrn von
Westphalen in das Ministerium indicirt wurde, das absolute Polizeircgimcnt im Inter¬
esse der feudalistischen Partei, hätte keinen wirksameren Träger finden können; mit
welcher Unverdrossenst und wie allseitig es ins Werk gesetzt worden, darüber
werden wol bald interessante Enthüllungen folgen. Der glänzendste Erfolg dieses
Systems war der Landtag, der in einigen Tagen zum letzte» Mal zusammentritt und
die stauncnswürdigste Leistung des Systems war die Rede, mit welcher der Herr
geheime Regierungsrath Hahn im Dienst des Herrn von Westphalen diesen Erfolg
mit völligster Unbefangenheit der Kammer verkündete. Es wäre zeitgemäß, diese
Rede wieder ins Gedächtniß zurückzurufen.

Der Name des Mannes, welchem die interimistische Vertretung dieses Ministe¬
riums anvertraut ist, bürgt dafür, daß die schon früher, aber immer nur heimlich
angekündigte Versicherung des Prinzen von Preußen, die neuen Wahlen sollten ohne
willkürliche Einmischung der Polizei vor sich gehn, jetzt zur Wahrheit werden wird.
Ein Staatsmann aus der altpreußischen Schule, an gesunden Menschenverstand und
an Rechtschaffenheit der Amtsführung gewöhnt, wird er dafür sorgen, daß man mit dem
Gesetz nicht spielt. Das Resultat der Wahlen ist also in die Hand der Wähler
gegeben; es wird sich jetzt zeigen, ob das preußische Volk zur constitutionellen Ver¬
fassung reif ist.

Eine freilich sehr unerquickliche aber durchaus nothwendige Aufgabe des neuen
Landtags wird nun sein, die Wirksamkeit und die Folgen des jetzt zu Grabe ge¬
tragenen Systems ausführlich zu Tage zu bringen. Es mag zu beklagen sein,
daß die Verfassung sür den unbestimmten Begriff der ministeriellen Verantwortlichkeit
keine gesetzlichen Formen gefunden hat, aber es handelt sich hier anch nur darum.


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[0127] Das trübe Jahr, welches Preußen in eine so zweifelhafte Lage zu den übrigen europäischen Mächten gebracht, hat nun endlich einen glücklichen Ausgang gesunden. Durch die Proclamation der Regentschaft ist die einheitliche und unabhängige Negie¬ rung, deren der Staat dringender bedürfte als je, hergestellt und durch die politisch correcte Form, in welcher dieser Act vor sich gegangen ist, das Rechtsbewußtsein des Volks wieder aufgefrischt worden. Alle Intriguen sind vereitelt und wir können einer Zukunft entgegensetzn, die wenigstens klarer sein wird als die verflossenen zehn Jahre. Ueber die materiellen Veränderungen, welche dieser Regierungswechsel mit sich bringen wird, können wir natürlich für jetzt noch keine Vorstellung haben, aber ein äußerst günstiges Zeichen ist die neue Besetzung des Ministeriums des In¬ nern, welche an demselben Tage stattgefunden hat. Grade diese Gleichzeitigkeit ist das Erfreulichste daran. Denn daß auf die Länge das gegenwärtige Bcaufsichtigungs- system sich nicht halten würde, war freilich vorauszusehn. Wir glauben, daß.man die Bedeutung des Herrn von Westphalen in der politischen Entwicklung der letzten Jahre zu gering angeschlagen IM Es kommt gar nicht darauf an. wie viel Geist, Scharfsinn und Bildung an dieser Stelle aufgewandt wird, ein zäher Wille, der kein Bedenken kennt, der an ein enges System geknüpft, in unablässiger Geschäf¬ tigkeit »ach dieser einen Seite hin arbeitet, richtet im Lauf der Jahre mehr aus, als die feinste Intrigue. Das System, welches durch den Eintritt des Herrn von Westphalen in das Ministerium indicirt wurde, das absolute Polizeircgimcnt im Inter¬ esse der feudalistischen Partei, hätte keinen wirksameren Träger finden können; mit welcher Unverdrossenst und wie allseitig es ins Werk gesetzt worden, darüber werden wol bald interessante Enthüllungen folgen. Der glänzendste Erfolg dieses Systems war der Landtag, der in einigen Tagen zum letzte» Mal zusammentritt und die stauncnswürdigste Leistung des Systems war die Rede, mit welcher der Herr geheime Regierungsrath Hahn im Dienst des Herrn von Westphalen diesen Erfolg mit völligster Unbefangenheit der Kammer verkündete. Es wäre zeitgemäß, diese Rede wieder ins Gedächtniß zurückzurufen. Der Name des Mannes, welchem die interimistische Vertretung dieses Ministe¬ riums anvertraut ist, bürgt dafür, daß die schon früher, aber immer nur heimlich angekündigte Versicherung des Prinzen von Preußen, die neuen Wahlen sollten ohne willkürliche Einmischung der Polizei vor sich gehn, jetzt zur Wahrheit werden wird. Ein Staatsmann aus der altpreußischen Schule, an gesunden Menschenverstand und an Rechtschaffenheit der Amtsführung gewöhnt, wird er dafür sorgen, daß man mit dem Gesetz nicht spielt. Das Resultat der Wahlen ist also in die Hand der Wähler gegeben; es wird sich jetzt zeigen, ob das preußische Volk zur constitutionellen Ver¬ fassung reif ist. Eine freilich sehr unerquickliche aber durchaus nothwendige Aufgabe des neuen Landtags wird nun sein, die Wirksamkeit und die Folgen des jetzt zu Grabe ge¬ tragenen Systems ausführlich zu Tage zu bringen. Es mag zu beklagen sein, daß die Verfassung sür den unbestimmten Begriff der ministeriellen Verantwortlichkeit keine gesetzlichen Formen gefunden hat, aber es handelt sich hier anch nur darum.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_266356/127>, abgerufen am 05.07.2024.