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Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, I. Semester. II. Band.

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Rückblick aus die neueste Geschichte Venezuelas.
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Seine politische Entwickelung von 1843 an.

Der tiefe Frieden, welcher sich während der zweiten Präsidentschaft von
Paez über Venezuela breitete und dem materiellen Gedeihen nach innen wie
einer achtbaren Stellung nach außen förderlich war, dauerte noch in die
ersten Amtsjahre des milden und redlichen Soublette hinein, der, ein alter
bewährter General des Befreiungskrieges und gegen Ende des Jahres 1842
zum Präsidenten erwählt, ganz im Geiste seines Borgängers die Verwaltung
leitete. Beide hatten eine Stütze an dem intelligenten und besitzenden Theile
der Gesellschaft, den man füglich die conservative Partei nennen kann. Ihr
Streben war, die freisinnige Constitution zu erhalten und an ihrer Hand
einigermaßen civilisatorische Elemente Wurzel fassen zu lassen. Es war eine
gewisse Aristokratie, und deren Kern die altspanischen Familien, aber eine
Aristokratie ohne Titel, ohne Privilegien, den übrigen Weißen gegenüber
auch ohne Kastengeist und ohne Ansprüche auf irgendwelche Alleinherrschaft.
Als Träger der vorhandenen Bildung und Aufklärung schien sie den Beruf
zu haben, das Ruder des Staates zu führen, denn jede andre Art zu regie¬
ren konnte nur zur Barbarei führen. So waren diese factisch "Oligarchen",
wie sie freilich erst später betitelt wurden; denn im Verhältniß zu der starken
Mischlingsbevölterung und den Negern befanden sie sich durchaus in der
großen Minderheit; umsomehr, da die immer noch grollenden Militärs, welche
nur persönlicher Ehrgeiz leitete, größtenteils auch der weißen Classe, ja zum
Theil, wie General Marino u. A., angesehenen Familien angehörten. Um
dauernd, wie es zu wünschen war. sich die Herrschaft zu behaupten, brauchten
die Konservativen auch nicht numerisch das Uebergewicht zu haben, denn die-
Massen sind dort guter Gemüthsart und sehr lenksamer Natur. Die patriar¬
chalische Colonialregierung einerseits, andrerseits das erschlaffende Klima und
die fast 300jührige Stagnation aller geistigen Bewegung haben dem ganzen
Volke Venezuelas, höchstens den Llnnero ausgenommen, einen Stempel der
Weichheit aufgedrückt, die nur zu leicht einem energischen Drucke von außen
nachgibt. Aber desto intensiver hätte die Kraft dieser Partei sein müssen,
um -- wie es die Aufgabe war -- in den lockern gesellschaftlichen Körper,
in die so wenig cohärenten Theile der Bevölkerung von einem festen Mittel¬
punkte aus innern Zusammenhang zu bringen. Es galt zunächst, mit staats¬
männischem Scharfblick die drohenden Gefahren zu erkennen und abzuwenden.
Es galt rührig und rastlos zu sein zuerst um die eigne Bildung zu vertiefen.


Grenzboten II. 13S8. 5Y
Rückblick aus die neueste Geschichte Venezuelas.
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Seine politische Entwickelung von 1843 an.

Der tiefe Frieden, welcher sich während der zweiten Präsidentschaft von
Paez über Venezuela breitete und dem materiellen Gedeihen nach innen wie
einer achtbaren Stellung nach außen förderlich war, dauerte noch in die
ersten Amtsjahre des milden und redlichen Soublette hinein, der, ein alter
bewährter General des Befreiungskrieges und gegen Ende des Jahres 1842
zum Präsidenten erwählt, ganz im Geiste seines Borgängers die Verwaltung
leitete. Beide hatten eine Stütze an dem intelligenten und besitzenden Theile
der Gesellschaft, den man füglich die conservative Partei nennen kann. Ihr
Streben war, die freisinnige Constitution zu erhalten und an ihrer Hand
einigermaßen civilisatorische Elemente Wurzel fassen zu lassen. Es war eine
gewisse Aristokratie, und deren Kern die altspanischen Familien, aber eine
Aristokratie ohne Titel, ohne Privilegien, den übrigen Weißen gegenüber
auch ohne Kastengeist und ohne Ansprüche auf irgendwelche Alleinherrschaft.
Als Träger der vorhandenen Bildung und Aufklärung schien sie den Beruf
zu haben, das Ruder des Staates zu führen, denn jede andre Art zu regie¬
ren konnte nur zur Barbarei führen. So waren diese factisch „Oligarchen",
wie sie freilich erst später betitelt wurden; denn im Verhältniß zu der starken
Mischlingsbevölterung und den Negern befanden sie sich durchaus in der
großen Minderheit; umsomehr, da die immer noch grollenden Militärs, welche
nur persönlicher Ehrgeiz leitete, größtenteils auch der weißen Classe, ja zum
Theil, wie General Marino u. A., angesehenen Familien angehörten. Um
dauernd, wie es zu wünschen war. sich die Herrschaft zu behaupten, brauchten
die Konservativen auch nicht numerisch das Uebergewicht zu haben, denn die-
Massen sind dort guter Gemüthsart und sehr lenksamer Natur. Die patriar¬
chalische Colonialregierung einerseits, andrerseits das erschlaffende Klima und
die fast 300jührige Stagnation aller geistigen Bewegung haben dem ganzen
Volke Venezuelas, höchstens den Llnnero ausgenommen, einen Stempel der
Weichheit aufgedrückt, die nur zu leicht einem energischen Drucke von außen
nachgibt. Aber desto intensiver hätte die Kraft dieser Partei sein müssen,
um — wie es die Aufgabe war — in den lockern gesellschaftlichen Körper,
in die so wenig cohärenten Theile der Bevölkerung von einem festen Mittel¬
punkte aus innern Zusammenhang zu bringen. Es galt zunächst, mit staats¬
männischem Scharfblick die drohenden Gefahren zu erkennen und abzuwenden.
Es galt rührig und rastlos zu sein zuerst um die eigne Bildung zu vertiefen.


Grenzboten II. 13S8. 5Y
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[0473] Rückblick aus die neueste Geschichte Venezuelas. w j^M^Mois child'Miwsch M ''-!,N^-, !et>r/i' ^ Seine politische Entwickelung von 1843 an. Der tiefe Frieden, welcher sich während der zweiten Präsidentschaft von Paez über Venezuela breitete und dem materiellen Gedeihen nach innen wie einer achtbaren Stellung nach außen förderlich war, dauerte noch in die ersten Amtsjahre des milden und redlichen Soublette hinein, der, ein alter bewährter General des Befreiungskrieges und gegen Ende des Jahres 1842 zum Präsidenten erwählt, ganz im Geiste seines Borgängers die Verwaltung leitete. Beide hatten eine Stütze an dem intelligenten und besitzenden Theile der Gesellschaft, den man füglich die conservative Partei nennen kann. Ihr Streben war, die freisinnige Constitution zu erhalten und an ihrer Hand einigermaßen civilisatorische Elemente Wurzel fassen zu lassen. Es war eine gewisse Aristokratie, und deren Kern die altspanischen Familien, aber eine Aristokratie ohne Titel, ohne Privilegien, den übrigen Weißen gegenüber auch ohne Kastengeist und ohne Ansprüche auf irgendwelche Alleinherrschaft. Als Träger der vorhandenen Bildung und Aufklärung schien sie den Beruf zu haben, das Ruder des Staates zu führen, denn jede andre Art zu regie¬ ren konnte nur zur Barbarei führen. So waren diese factisch „Oligarchen", wie sie freilich erst später betitelt wurden; denn im Verhältniß zu der starken Mischlingsbevölterung und den Negern befanden sie sich durchaus in der großen Minderheit; umsomehr, da die immer noch grollenden Militärs, welche nur persönlicher Ehrgeiz leitete, größtenteils auch der weißen Classe, ja zum Theil, wie General Marino u. A., angesehenen Familien angehörten. Um dauernd, wie es zu wünschen war. sich die Herrschaft zu behaupten, brauchten die Konservativen auch nicht numerisch das Uebergewicht zu haben, denn die- Massen sind dort guter Gemüthsart und sehr lenksamer Natur. Die patriar¬ chalische Colonialregierung einerseits, andrerseits das erschlaffende Klima und die fast 300jührige Stagnation aller geistigen Bewegung haben dem ganzen Volke Venezuelas, höchstens den Llnnero ausgenommen, einen Stempel der Weichheit aufgedrückt, die nur zu leicht einem energischen Drucke von außen nachgibt. Aber desto intensiver hätte die Kraft dieser Partei sein müssen, um — wie es die Aufgabe war — in den lockern gesellschaftlichen Körper, in die so wenig cohärenten Theile der Bevölkerung von einem festen Mittel¬ punkte aus innern Zusammenhang zu bringen. Es galt zunächst, mit staats¬ männischem Scharfblick die drohenden Gefahren zu erkennen und abzuwenden. Es galt rührig und rastlos zu sein zuerst um die eigne Bildung zu vertiefen. Grenzboten II. 13S8. 5Y

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_186412/473>, abgerufen am 21.12.2024.