Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, I. Semester. II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

Landes nothwendig erscheint, machen die gewaltsamsten Entschlüsse nicht mehr
unwahrscheinlich.

Die Aussichten, welche Oestreich in Italien hat. verlangen eure aus¬
führlichere Besprechung, als hier gegeben werden kann. Die ungünstige Lage des
Kaiserstaates ist, daß er nach allen Seiten hin Ansprüche erhebt. Die Herrschaft
über Italien, die Herrschaft über Deutschland, die Herrschaft über die Donau¬
länder! Das sind der Wünsche zu viele. Sie nehmen Oestreich die Mög¬
lichkeit, feste Alliirte zu finden, und setzen diese Macht der Gefahr aus, nichts
von allem zu erhalten.

Und deshalb sei zum Schluß wiederholt, daß wir die Vereinigung der
italienischen Staaten zu einer Einheit lebhaft wünschen, -- aber erst nachdem
? wir zu politischer Einheit gekommen sind.




Zohmnles von Müller und seine Zeit.
5.
Wien, 1792--1803.

Nachdem Müller am 12. Febr. 1793 vom Kurfürsten seine Entlassung
erhalten, wurde er als k. k. wirklicher Hofrath bei der geheimen Hos- und
Staatsranzlei vereidigt. "Ich bin mir bewußt, auch hierher ohne das min¬
deste Zuthun von meiner Seite unter den sonderbarsten Umständen gekommen
zu sein, und noch ist nicht erschienen, was wir sein werden; ich erlaube mir
aber auch nicht leicht einige Selbsteinwirkung in die Leitung meiner Schick¬
sale." Das östreichische Volk schien ihm vortrefflich, der Hof von den besten
Absichten erfüllt. Bei seiner guten Einnahme verschmerzte er leicht, daß ihn
Tronchin, de< damals starb, enterbte. Auf der Hofkanzlei, seinem täglichen
Aufenthalt, hatte er wenig zu thun und stürzte sich sofort in seine historischen
Arbeiten, mit einer Ausdauer, gegen die seine frühere Thätigkeit nur ein
schwaches Vorspiel war. Wie er es schon mit den Schriftstellern des Alter-
thums gehalten, ercerpirte er alle Thatsachen und Beobachtungen, die er in
seinen Quellen vorfand, in 30 Folianten, welche die verschiedenen Register
seiner allgemeinen Weltgeschichte vorstellten, so daß jede Thatsache sofort ihren
richtigen Platz fand. Diesmal waren es namentlich die Byzantiner und die
arabischen Schriftsteller, die er studirte, letztere mit Beihilfe des jungen Ham¬
mer, mit dem ihn bald eine zärtliche Freundschaft verband. Ursprünglich
waren alle diese Excerpte bestimmt, in jene allgemeine Geschichte aufgenommen


Landes nothwendig erscheint, machen die gewaltsamsten Entschlüsse nicht mehr
unwahrscheinlich.

Die Aussichten, welche Oestreich in Italien hat. verlangen eure aus¬
führlichere Besprechung, als hier gegeben werden kann. Die ungünstige Lage des
Kaiserstaates ist, daß er nach allen Seiten hin Ansprüche erhebt. Die Herrschaft
über Italien, die Herrschaft über Deutschland, die Herrschaft über die Donau¬
länder! Das sind der Wünsche zu viele. Sie nehmen Oestreich die Mög¬
lichkeit, feste Alliirte zu finden, und setzen diese Macht der Gefahr aus, nichts
von allem zu erhalten.

Und deshalb sei zum Schluß wiederholt, daß wir die Vereinigung der
italienischen Staaten zu einer Einheit lebhaft wünschen, — aber erst nachdem
? wir zu politischer Einheit gekommen sind.




Zohmnles von Müller und seine Zeit.
5.
Wien, 1792—1803.

Nachdem Müller am 12. Febr. 1793 vom Kurfürsten seine Entlassung
erhalten, wurde er als k. k. wirklicher Hofrath bei der geheimen Hos- und
Staatsranzlei vereidigt. „Ich bin mir bewußt, auch hierher ohne das min¬
deste Zuthun von meiner Seite unter den sonderbarsten Umständen gekommen
zu sein, und noch ist nicht erschienen, was wir sein werden; ich erlaube mir
aber auch nicht leicht einige Selbsteinwirkung in die Leitung meiner Schick¬
sale." Das östreichische Volk schien ihm vortrefflich, der Hof von den besten
Absichten erfüllt. Bei seiner guten Einnahme verschmerzte er leicht, daß ihn
Tronchin, de< damals starb, enterbte. Auf der Hofkanzlei, seinem täglichen
Aufenthalt, hatte er wenig zu thun und stürzte sich sofort in seine historischen
Arbeiten, mit einer Ausdauer, gegen die seine frühere Thätigkeit nur ein
schwaches Vorspiel war. Wie er es schon mit den Schriftstellern des Alter-
thums gehalten, ercerpirte er alle Thatsachen und Beobachtungen, die er in
seinen Quellen vorfand, in 30 Folianten, welche die verschiedenen Register
seiner allgemeinen Weltgeschichte vorstellten, so daß jede Thatsache sofort ihren
richtigen Platz fand. Diesmal waren es namentlich die Byzantiner und die
arabischen Schriftsteller, die er studirte, letztere mit Beihilfe des jungen Ham¬
mer, mit dem ihn bald eine zärtliche Freundschaft verband. Ursprünglich
waren alle diese Excerpte bestimmt, in jene allgemeine Geschichte aufgenommen


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0269" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/186681"/>
          <p xml:id="ID_622" prev="#ID_621"> Landes nothwendig erscheint, machen die gewaltsamsten Entschlüsse nicht mehr<lb/>
unwahrscheinlich.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_623"> Die Aussichten, welche Oestreich in Italien hat. verlangen eure aus¬<lb/>
führlichere Besprechung, als hier gegeben werden kann. Die ungünstige Lage des<lb/>
Kaiserstaates ist, daß er nach allen Seiten hin Ansprüche erhebt. Die Herrschaft<lb/>
über Italien, die Herrschaft über Deutschland, die Herrschaft über die Donau¬<lb/>
länder! Das sind der Wünsche zu viele. Sie nehmen Oestreich die Mög¬<lb/>
lichkeit, feste Alliirte zu finden, und setzen diese Macht der Gefahr aus, nichts<lb/>
von allem zu erhalten.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_624"> Und deshalb sei zum Schluß wiederholt, daß wir die Vereinigung der<lb/>
italienischen Staaten zu einer Einheit lebhaft wünschen, &#x2014; aber erst nachdem<lb/><note type="byline"> ?</note> wir zu politischer Einheit gekommen sind. </p><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
        </div>
        <div n="1">
          <head> Zohmnles von Müller und seine Zeit.</head><lb/>
          <div n="2">
            <head> 5.<lb/>
Wien, 1792&#x2014;1803.</head><lb/>
            <p xml:id="ID_625" next="#ID_626"> Nachdem Müller am 12. Febr. 1793 vom Kurfürsten seine Entlassung<lb/>
erhalten, wurde er als k. k. wirklicher Hofrath bei der geheimen Hos- und<lb/>
Staatsranzlei vereidigt. &#x201E;Ich bin mir bewußt, auch hierher ohne das min¬<lb/>
deste Zuthun von meiner Seite unter den sonderbarsten Umständen gekommen<lb/>
zu sein, und noch ist nicht erschienen, was wir sein werden; ich erlaube mir<lb/>
aber auch nicht leicht einige Selbsteinwirkung in die Leitung meiner Schick¬<lb/>
sale." Das östreichische Volk schien ihm vortrefflich, der Hof von den besten<lb/>
Absichten erfüllt. Bei seiner guten Einnahme verschmerzte er leicht, daß ihn<lb/>
Tronchin, de&lt; damals starb, enterbte. Auf der Hofkanzlei, seinem täglichen<lb/>
Aufenthalt, hatte er wenig zu thun und stürzte sich sofort in seine historischen<lb/>
Arbeiten, mit einer Ausdauer, gegen die seine frühere Thätigkeit nur ein<lb/>
schwaches Vorspiel war. Wie er es schon mit den Schriftstellern des Alter-<lb/>
thums gehalten, ercerpirte er alle Thatsachen und Beobachtungen, die er in<lb/>
seinen Quellen vorfand, in 30 Folianten, welche die verschiedenen Register<lb/>
seiner allgemeinen Weltgeschichte vorstellten, so daß jede Thatsache sofort ihren<lb/>
richtigen Platz fand. Diesmal waren es namentlich die Byzantiner und die<lb/>
arabischen Schriftsteller, die er studirte, letztere mit Beihilfe des jungen Ham¬<lb/>
mer, mit dem ihn bald eine zärtliche Freundschaft verband. Ursprünglich<lb/>
waren alle diese Excerpte bestimmt, in jene allgemeine Geschichte aufgenommen</p><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0269] Landes nothwendig erscheint, machen die gewaltsamsten Entschlüsse nicht mehr unwahrscheinlich. Die Aussichten, welche Oestreich in Italien hat. verlangen eure aus¬ führlichere Besprechung, als hier gegeben werden kann. Die ungünstige Lage des Kaiserstaates ist, daß er nach allen Seiten hin Ansprüche erhebt. Die Herrschaft über Italien, die Herrschaft über Deutschland, die Herrschaft über die Donau¬ länder! Das sind der Wünsche zu viele. Sie nehmen Oestreich die Mög¬ lichkeit, feste Alliirte zu finden, und setzen diese Macht der Gefahr aus, nichts von allem zu erhalten. Und deshalb sei zum Schluß wiederholt, daß wir die Vereinigung der italienischen Staaten zu einer Einheit lebhaft wünschen, — aber erst nachdem ? wir zu politischer Einheit gekommen sind. Zohmnles von Müller und seine Zeit. 5. Wien, 1792—1803. Nachdem Müller am 12. Febr. 1793 vom Kurfürsten seine Entlassung erhalten, wurde er als k. k. wirklicher Hofrath bei der geheimen Hos- und Staatsranzlei vereidigt. „Ich bin mir bewußt, auch hierher ohne das min¬ deste Zuthun von meiner Seite unter den sonderbarsten Umständen gekommen zu sein, und noch ist nicht erschienen, was wir sein werden; ich erlaube mir aber auch nicht leicht einige Selbsteinwirkung in die Leitung meiner Schick¬ sale." Das östreichische Volk schien ihm vortrefflich, der Hof von den besten Absichten erfüllt. Bei seiner guten Einnahme verschmerzte er leicht, daß ihn Tronchin, de< damals starb, enterbte. Auf der Hofkanzlei, seinem täglichen Aufenthalt, hatte er wenig zu thun und stürzte sich sofort in seine historischen Arbeiten, mit einer Ausdauer, gegen die seine frühere Thätigkeit nur ein schwaches Vorspiel war. Wie er es schon mit den Schriftstellern des Alter- thums gehalten, ercerpirte er alle Thatsachen und Beobachtungen, die er in seinen Quellen vorfand, in 30 Folianten, welche die verschiedenen Register seiner allgemeinen Weltgeschichte vorstellten, so daß jede Thatsache sofort ihren richtigen Platz fand. Diesmal waren es namentlich die Byzantiner und die arabischen Schriftsteller, die er studirte, letztere mit Beihilfe des jungen Ham¬ mer, mit dem ihn bald eine zärtliche Freundschaft verband. Ursprünglich waren alle diese Excerpte bestimmt, in jene allgemeine Geschichte aufgenommen

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_186412
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_186412/269
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_186412/269>, abgerufen am 21.12.2024.