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Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, I. Semester. II. Band.

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Der Fall des Cagliari.

Die Wegnahme des sardinischen Dampfers Cagliari durch die neapoli.
dänische Regierung hat infolge der Umstände, welche dieselbe begleiteten, den
Charakter einer ernsten Verwicklung gewonnen, welche zu einem Bruche der
betreffenden beiden Staaten führen kann, wenn die Vermittelung der Seemächte
fehlschlügt. Der Fall ist also schon an sich so bedeutend, daß er eine nähere
Betrachtung verdient, aber diese wird um so mehr gerechtfertigt, wenn man
sieht, von welcher allgemeinen Wichtigkeit die völkerrechtlichen Grundsätze sind,
die hierbei in Frage kommen. Beide Regierungen haben kürzlich Denkschriften
an ihre diplomatischen Vertreter gesandt, wodurch die Cabinete Europas von
dem Rechte, das aus der einen oder der andern Seite ist, überzeugt wer¬
den sollen, diese Denkschriften find bekannt geworden, und wir besitzen darin,
so wie in dem letzthin veröffentlichten englischen Blaubuch, hinreichendes Material,
uns die Verhältnisse klar machen zu können. Der sachliche Verlauf der Ge¬
schichte ist folgender.

Am Abend des 25. Juni 1857 fuhr der Dampfer Cagliari. Capitän Sitzio.
der Gesellschaft Rubettiuo gehörig, von Genua ab nach dem Hafen Cagliari
auf der Insel Sardinien und nach Tunis. Das Schiff hatte eine bekannte
und vorher angezeigte Bestimmung, es versah den regelmäßigen Dienst und
war außerdem von der Negierung mit der Beförderung der Depeschen und
der Packete der PostVerwaltung beauftragt. Der Cagliari hatte sein Natio¬
nalitätspatent und die ordnungsmäßigen Schiffspapiere. Der Zweck seiner
Fahrt war friedlich und gesetzlich. Er hatte dreiunddreißig Passagiere an
Bord. Wenige Stunden nach der Abfahrt bemächtigen sich 25 derselben,
während ein Theil der Bemannung im Dienst beschäftigt war und der andere
Theil ruhete, mit Gewalt der Person des Kapitäns, ziehen ihn aufs Deck,
nöthigen einen der Passagiere den Befehl über das Schiff zu nehmen, und
zwingen, die Pistole in der Hand, die Bemannung ihven Forderungen zu ge¬
horchen. Hierauf lenken die Aufständischen das Schiff auf die neapolitanische
Insel Ponza. wo sie landen, die Gefangnen, welche sich dort befinden, befreien
und mit denselben nach Sapri gehen. Hier geben sie dem Capitän Sitzio die
Freiheit wieder, der sogleich aus Neapel zusteuert, um dem Vertreter Sardiniens


ÄMijbotm II. 1358. 21
Der Fall des Cagliari.

Die Wegnahme des sardinischen Dampfers Cagliari durch die neapoli.
dänische Regierung hat infolge der Umstände, welche dieselbe begleiteten, den
Charakter einer ernsten Verwicklung gewonnen, welche zu einem Bruche der
betreffenden beiden Staaten führen kann, wenn die Vermittelung der Seemächte
fehlschlügt. Der Fall ist also schon an sich so bedeutend, daß er eine nähere
Betrachtung verdient, aber diese wird um so mehr gerechtfertigt, wenn man
sieht, von welcher allgemeinen Wichtigkeit die völkerrechtlichen Grundsätze sind,
die hierbei in Frage kommen. Beide Regierungen haben kürzlich Denkschriften
an ihre diplomatischen Vertreter gesandt, wodurch die Cabinete Europas von
dem Rechte, das aus der einen oder der andern Seite ist, überzeugt wer¬
den sollen, diese Denkschriften find bekannt geworden, und wir besitzen darin,
so wie in dem letzthin veröffentlichten englischen Blaubuch, hinreichendes Material,
uns die Verhältnisse klar machen zu können. Der sachliche Verlauf der Ge¬
schichte ist folgender.

Am Abend des 25. Juni 1857 fuhr der Dampfer Cagliari. Capitän Sitzio.
der Gesellschaft Rubettiuo gehörig, von Genua ab nach dem Hafen Cagliari
auf der Insel Sardinien und nach Tunis. Das Schiff hatte eine bekannte
und vorher angezeigte Bestimmung, es versah den regelmäßigen Dienst und
war außerdem von der Negierung mit der Beförderung der Depeschen und
der Packete der PostVerwaltung beauftragt. Der Cagliari hatte sein Natio¬
nalitätspatent und die ordnungsmäßigen Schiffspapiere. Der Zweck seiner
Fahrt war friedlich und gesetzlich. Er hatte dreiunddreißig Passagiere an
Bord. Wenige Stunden nach der Abfahrt bemächtigen sich 25 derselben,
während ein Theil der Bemannung im Dienst beschäftigt war und der andere
Theil ruhete, mit Gewalt der Person des Kapitäns, ziehen ihn aufs Deck,
nöthigen einen der Passagiere den Befehl über das Schiff zu nehmen, und
zwingen, die Pistole in der Hand, die Bemannung ihven Forderungen zu ge¬
horchen. Hierauf lenken die Aufständischen das Schiff auf die neapolitanische
Insel Ponza. wo sie landen, die Gefangnen, welche sich dort befinden, befreien
und mit denselben nach Sapri gehen. Hier geben sie dem Capitän Sitzio die
Freiheit wieder, der sogleich aus Neapel zusteuert, um dem Vertreter Sardiniens


ÄMijbotm II. 1358. 21
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[0169] Der Fall des Cagliari. Die Wegnahme des sardinischen Dampfers Cagliari durch die neapoli. dänische Regierung hat infolge der Umstände, welche dieselbe begleiteten, den Charakter einer ernsten Verwicklung gewonnen, welche zu einem Bruche der betreffenden beiden Staaten führen kann, wenn die Vermittelung der Seemächte fehlschlügt. Der Fall ist also schon an sich so bedeutend, daß er eine nähere Betrachtung verdient, aber diese wird um so mehr gerechtfertigt, wenn man sieht, von welcher allgemeinen Wichtigkeit die völkerrechtlichen Grundsätze sind, die hierbei in Frage kommen. Beide Regierungen haben kürzlich Denkschriften an ihre diplomatischen Vertreter gesandt, wodurch die Cabinete Europas von dem Rechte, das aus der einen oder der andern Seite ist, überzeugt wer¬ den sollen, diese Denkschriften find bekannt geworden, und wir besitzen darin, so wie in dem letzthin veröffentlichten englischen Blaubuch, hinreichendes Material, uns die Verhältnisse klar machen zu können. Der sachliche Verlauf der Ge¬ schichte ist folgender. Am Abend des 25. Juni 1857 fuhr der Dampfer Cagliari. Capitän Sitzio. der Gesellschaft Rubettiuo gehörig, von Genua ab nach dem Hafen Cagliari auf der Insel Sardinien und nach Tunis. Das Schiff hatte eine bekannte und vorher angezeigte Bestimmung, es versah den regelmäßigen Dienst und war außerdem von der Negierung mit der Beförderung der Depeschen und der Packete der PostVerwaltung beauftragt. Der Cagliari hatte sein Natio¬ nalitätspatent und die ordnungsmäßigen Schiffspapiere. Der Zweck seiner Fahrt war friedlich und gesetzlich. Er hatte dreiunddreißig Passagiere an Bord. Wenige Stunden nach der Abfahrt bemächtigen sich 25 derselben, während ein Theil der Bemannung im Dienst beschäftigt war und der andere Theil ruhete, mit Gewalt der Person des Kapitäns, ziehen ihn aufs Deck, nöthigen einen der Passagiere den Befehl über das Schiff zu nehmen, und zwingen, die Pistole in der Hand, die Bemannung ihven Forderungen zu ge¬ horchen. Hierauf lenken die Aufständischen das Schiff auf die neapolitanische Insel Ponza. wo sie landen, die Gefangnen, welche sich dort befinden, befreien und mit denselben nach Sapri gehen. Hier geben sie dem Capitän Sitzio die Freiheit wieder, der sogleich aus Neapel zusteuert, um dem Vertreter Sardiniens ÄMijbotm II. 1358. 21

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_186412/169>, abgerufen am 21.12.2024.