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Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. III. Band.

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zu Theil werden lassen. Man hatte die schon früher an den Tag getretene Zunei¬
gung zu katholischen Interessen für erkünstelt und für ein Werk der Politik erachtet.
Es soll ihr aber nach dem, was ich darüber höre, eine aufrichtige Gemüths-
richtung zu Grunde liegen. Die russische Negierung sendete den greisen Diplo¬
maten wol nur hierher, um das Werk der Versöhnung anzubahnen. Im Herbst
ist seine Aufgabe, wie man annimmt, vollendet, und es wird sich dann darum han¬
deln, einen Nachfolger zu finden. Daß Herr von Titoff dieser nicht sein wird, würde
auch dann fest stehen, wenn derselbe nicht, indem er zum Erzieher des Großfürsten
Cäsarewitsch ernannt worden ist, einen festen und wichtigen Posten erhalten hatte.

Das Gewitter, unter dessen Donner ich meinen Brief begann, dauert fort, und
scheint sich jenseits der Meerenge zu entladen. Der Wind ist stärker geworden; die
Wellen tragen Schaumtäppchcn, und die auf der Rhede liegenden größern und klei¬
nern Fahrzeuge, einige Kriegsschiffe mit einbegriffen, tanzen lustig um ihre Ankcr-
kettcn.




Die Kluilbachschm Illustratimien zu Shakespeare.

Man konnte es kaum anders als einen unglücklichen Gedanken nennen, wenn
der Künstler, welcher den gräcisirenden idealistischen Klassicismus in unserer Kunst
am ausgesprochensten vertritt, sich die Aufgabe stellte, dem realistischsten aller Dichter,
Shakespeare, naehzuschaffen, und man durfte von vornherein fast mit Sicherheit an¬
nehmen, daß daraus niemals irgend etwas Erquickliches entspringen könne. Der
Erfolg hat dieser Meinung nur zu sehr Recht gegeben. -- Es ist einer der Grund¬
mängel der idealistischen Richtungen, daß sie statt an der Unerschöpflichkeit der Natur
in ihren Bildungen Theil ,zu nehmen, auf eine größere oder geringere Anzahl ihnen
geläufig gewordener Typen beschränkt sind und durch die unablässige Wiederholung der¬
selben zuletzt bis zur Unerträglichkeit langweilig werden. An diesem Uebel leidet
denn auch der Kaulbachsche Shakespeare, und zwar mehr als die übrigen Producte des
Meisters, er ist das Schwächste, was derselbe bisher veröffentlicht hat. Kaulbach
ist bereits so Manicrist geworden, daß er indische, persische Gedichte, die Bibel, den
Homer, einen Kirchenvater, ein nordisches Märchen oder modernste Geschichte illu-
striren kann, und Eines genau aussieht wie das Andere. Immer treten dieselben Fi¬
guren uns entgegen, er vermag die Natur we^er recht anzusehen noch recht nachzu¬
ahmen-, wenn er sogenannte Charaktere bilden will, so schafft er in der Regel
Caricaturcn, wie in seinem König Johann, wo die Zusammenkunft mit dem Dau¬
phin von Frankreich wol das Absurdeste ist, wodurch der große Dichter nur verun¬
staltet werden konnte. Nirgend tritt die ungemeine innere Kälte Kaulbachs, das
angekünstelte, aller Unmittelbarkeit und Frische entbehrende Wesen dieses Künstlers, sein
peinliches Verstandesraffinement so hervor als in diesem Blatt, wo alles Grimasse,
nichts wahre, warme Empfindung, nichts der Natur abgelauscht, oder liebevoll von
ihr geschenkt ist. Nicht minder widerwärtig ist der Tod des Königs Johann, ja
er ist vielleicht noch ärger, da er ganz ebenso wenig wie Lady Macbeth mit ihrer
berühmten Wahnfinnssccne auf uns den Eindruck eines bedeutenden, großartig an-


zu Theil werden lassen. Man hatte die schon früher an den Tag getretene Zunei¬
gung zu katholischen Interessen für erkünstelt und für ein Werk der Politik erachtet.
Es soll ihr aber nach dem, was ich darüber höre, eine aufrichtige Gemüths-
richtung zu Grunde liegen. Die russische Negierung sendete den greisen Diplo¬
maten wol nur hierher, um das Werk der Versöhnung anzubahnen. Im Herbst
ist seine Aufgabe, wie man annimmt, vollendet, und es wird sich dann darum han¬
deln, einen Nachfolger zu finden. Daß Herr von Titoff dieser nicht sein wird, würde
auch dann fest stehen, wenn derselbe nicht, indem er zum Erzieher des Großfürsten
Cäsarewitsch ernannt worden ist, einen festen und wichtigen Posten erhalten hatte.

Das Gewitter, unter dessen Donner ich meinen Brief begann, dauert fort, und
scheint sich jenseits der Meerenge zu entladen. Der Wind ist stärker geworden; die
Wellen tragen Schaumtäppchcn, und die auf der Rhede liegenden größern und klei¬
nern Fahrzeuge, einige Kriegsschiffe mit einbegriffen, tanzen lustig um ihre Ankcr-
kettcn.




Die Kluilbachschm Illustratimien zu Shakespeare.

Man konnte es kaum anders als einen unglücklichen Gedanken nennen, wenn
der Künstler, welcher den gräcisirenden idealistischen Klassicismus in unserer Kunst
am ausgesprochensten vertritt, sich die Aufgabe stellte, dem realistischsten aller Dichter,
Shakespeare, naehzuschaffen, und man durfte von vornherein fast mit Sicherheit an¬
nehmen, daß daraus niemals irgend etwas Erquickliches entspringen könne. Der
Erfolg hat dieser Meinung nur zu sehr Recht gegeben. — Es ist einer der Grund¬
mängel der idealistischen Richtungen, daß sie statt an der Unerschöpflichkeit der Natur
in ihren Bildungen Theil ,zu nehmen, auf eine größere oder geringere Anzahl ihnen
geläufig gewordener Typen beschränkt sind und durch die unablässige Wiederholung der¬
selben zuletzt bis zur Unerträglichkeit langweilig werden. An diesem Uebel leidet
denn auch der Kaulbachsche Shakespeare, und zwar mehr als die übrigen Producte des
Meisters, er ist das Schwächste, was derselbe bisher veröffentlicht hat. Kaulbach
ist bereits so Manicrist geworden, daß er indische, persische Gedichte, die Bibel, den
Homer, einen Kirchenvater, ein nordisches Märchen oder modernste Geschichte illu-
striren kann, und Eines genau aussieht wie das Andere. Immer treten dieselben Fi¬
guren uns entgegen, er vermag die Natur we^er recht anzusehen noch recht nachzu¬
ahmen-, wenn er sogenannte Charaktere bilden will, so schafft er in der Regel
Caricaturcn, wie in seinem König Johann, wo die Zusammenkunft mit dem Dau¬
phin von Frankreich wol das Absurdeste ist, wodurch der große Dichter nur verun¬
staltet werden konnte. Nirgend tritt die ungemeine innere Kälte Kaulbachs, das
angekünstelte, aller Unmittelbarkeit und Frische entbehrende Wesen dieses Künstlers, sein
peinliches Verstandesraffinement so hervor als in diesem Blatt, wo alles Grimasse,
nichts wahre, warme Empfindung, nichts der Natur abgelauscht, oder liebevoll von
ihr geschenkt ist. Nicht minder widerwärtig ist der Tod des Königs Johann, ja
er ist vielleicht noch ärger, da er ganz ebenso wenig wie Lady Macbeth mit ihrer
berühmten Wahnfinnssccne auf uns den Eindruck eines bedeutenden, großartig an-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_105810/84>, abgerufen am 22.07.2024.