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Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. III. Band.

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Die Gefangennahme des Papstes Paschalis von Lessing.

Nach längerer Pause ist Lessing wieder mit einem großen historischen Ge¬
mälde hervorgetreten. Treu seinem alten Glauben, heute wie vor zehn und
zwanzig Jahren von der Ueberzeugung durchdrungen, der uralte Streit zwi¬
schen Kirche und Staat habe auch für das gegenwärtige Geschlecht ein unmit¬
telbares, stoffliches Interesse, die Kämpfe, zu welchen er im Mittelalter Ver¬
anlassung gab, seien uns naheliegend und verständlich genug, um für ihre Schil¬
derung noch jetzt warme und lebendige Empfindungen zu erregen, führt Lessing
aus diesmal Kaiser und Papst in heftigem Widerstreit begriffen uns vor. Als
Bildmotiv wählte er die bekannte Scene, welche am 12. Febr. 1111 in der
römischen Peterskirche stattfand. Kaiser Heinrich 5. war zur feierlichen Krö¬
nung hier eingezogen und sah sein Haupt im Geiste schon mit dem Diadem
geschmückt, als mitten in der heiligen Handlung entgegengesetzte Forderungen
bezüglich der Investitur deu Kaiser und Papst Paschalis 2. entzweiten, die
Leidenschaften in Brand setzten und den folgereichen Aufruhr im Innern der
Kirche weckten, der mit der Gefangennahme des widerstrebenden Papstes schloß.
Diesen entscheidenden Ausgang des Streites hat Lessing dargestellt. Links vom
Beschauer im Vordergründe ragt über das ganze reiche Fürsiengcfolge die
mächtige Gestalt Kaiser Heinrichs empor. Zornentflammt. durch den Wider¬
spruch des Papstes in seiner Herrschermacht gereizt, ist er vom Throne auf¬
gesprungen und ruft mit ausgestrecktem Arme die Krieger auf, seinen Gegner
zu greifen. Schon stürzen auch dieselben aus dem Hintergrunde herbei, un¬
bekümmert um den schwachen Widerstand, den ihnen ein vor Schrecken in die
Knie gesunkener Bischof mit dem Stube entgegenstellt. Dem Kaiser gegen¬
über im rechten Vordergrunde sitzt auf Petri StAhle Paschalis, ruhig, auf
sein Schicksal gefaßt, unfähig, seine Würde zu vergessen, und dem Feinde den
Triumph über seine Schwäche zu gönnen. Nur leise bewegt die Spannung
den einen und andern Gesichtsmuskcl. nur in der Art. wie die Hand ein Buch
krampfhaft festhält, ahnt man. daß auch Sorge für die Sicherheit. Furcht
vor dem Grimme des Feindes seiner Brust nicht ganz fremd sind. Um den
Papst drängt sich sein geistliches Gefolge. Die einen hat der Schrecken re¬
gungslos gemacht, die andern sind entsetzt über das unglaubliche Wagniß. Man
sieht es ihnen an, daß sie von keinem größeren Frevel wissen, und bei Ge¬
legenheit schwere Vergeltung üben werden. Noch andere rufen um Hilfe zum
Himmel, während im Hintergrunde die Schar der Neugierigen, welche die Ur¬
sache des Aufruhrs nicht kennt oder wie der Pöbel zu allen Zeiten am Lärmen
sich freut, die Hülse reckt und mit Auge und Ohr die Scene durchdringen
möchte. Doch wir wollen die Schilderung nicht noch weiter spinnen. In


Die Gefangennahme des Papstes Paschalis von Lessing.

Nach längerer Pause ist Lessing wieder mit einem großen historischen Ge¬
mälde hervorgetreten. Treu seinem alten Glauben, heute wie vor zehn und
zwanzig Jahren von der Ueberzeugung durchdrungen, der uralte Streit zwi¬
schen Kirche und Staat habe auch für das gegenwärtige Geschlecht ein unmit¬
telbares, stoffliches Interesse, die Kämpfe, zu welchen er im Mittelalter Ver¬
anlassung gab, seien uns naheliegend und verständlich genug, um für ihre Schil¬
derung noch jetzt warme und lebendige Empfindungen zu erregen, führt Lessing
aus diesmal Kaiser und Papst in heftigem Widerstreit begriffen uns vor. Als
Bildmotiv wählte er die bekannte Scene, welche am 12. Febr. 1111 in der
römischen Peterskirche stattfand. Kaiser Heinrich 5. war zur feierlichen Krö¬
nung hier eingezogen und sah sein Haupt im Geiste schon mit dem Diadem
geschmückt, als mitten in der heiligen Handlung entgegengesetzte Forderungen
bezüglich der Investitur deu Kaiser und Papst Paschalis 2. entzweiten, die
Leidenschaften in Brand setzten und den folgereichen Aufruhr im Innern der
Kirche weckten, der mit der Gefangennahme des widerstrebenden Papstes schloß.
Diesen entscheidenden Ausgang des Streites hat Lessing dargestellt. Links vom
Beschauer im Vordergründe ragt über das ganze reiche Fürsiengcfolge die
mächtige Gestalt Kaiser Heinrichs empor. Zornentflammt. durch den Wider¬
spruch des Papstes in seiner Herrschermacht gereizt, ist er vom Throne auf¬
gesprungen und ruft mit ausgestrecktem Arme die Krieger auf, seinen Gegner
zu greifen. Schon stürzen auch dieselben aus dem Hintergrunde herbei, un¬
bekümmert um den schwachen Widerstand, den ihnen ein vor Schrecken in die
Knie gesunkener Bischof mit dem Stube entgegenstellt. Dem Kaiser gegen¬
über im rechten Vordergrunde sitzt auf Petri StAhle Paschalis, ruhig, auf
sein Schicksal gefaßt, unfähig, seine Würde zu vergessen, und dem Feinde den
Triumph über seine Schwäche zu gönnen. Nur leise bewegt die Spannung
den einen und andern Gesichtsmuskcl. nur in der Art. wie die Hand ein Buch
krampfhaft festhält, ahnt man. daß auch Sorge für die Sicherheit. Furcht
vor dem Grimme des Feindes seiner Brust nicht ganz fremd sind. Um den
Papst drängt sich sein geistliches Gefolge. Die einen hat der Schrecken re¬
gungslos gemacht, die andern sind entsetzt über das unglaubliche Wagniß. Man
sieht es ihnen an, daß sie von keinem größeren Frevel wissen, und bei Ge¬
legenheit schwere Vergeltung üben werden. Noch andere rufen um Hilfe zum
Himmel, während im Hintergrunde die Schar der Neugierigen, welche die Ur¬
sache des Aufruhrs nicht kennt oder wie der Pöbel zu allen Zeiten am Lärmen
sich freut, die Hülse reckt und mit Auge und Ohr die Scene durchdringen
möchte. Doch wir wollen die Schilderung nicht noch weiter spinnen. In


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[0020] Die Gefangennahme des Papstes Paschalis von Lessing. Nach längerer Pause ist Lessing wieder mit einem großen historischen Ge¬ mälde hervorgetreten. Treu seinem alten Glauben, heute wie vor zehn und zwanzig Jahren von der Ueberzeugung durchdrungen, der uralte Streit zwi¬ schen Kirche und Staat habe auch für das gegenwärtige Geschlecht ein unmit¬ telbares, stoffliches Interesse, die Kämpfe, zu welchen er im Mittelalter Ver¬ anlassung gab, seien uns naheliegend und verständlich genug, um für ihre Schil¬ derung noch jetzt warme und lebendige Empfindungen zu erregen, führt Lessing aus diesmal Kaiser und Papst in heftigem Widerstreit begriffen uns vor. Als Bildmotiv wählte er die bekannte Scene, welche am 12. Febr. 1111 in der römischen Peterskirche stattfand. Kaiser Heinrich 5. war zur feierlichen Krö¬ nung hier eingezogen und sah sein Haupt im Geiste schon mit dem Diadem geschmückt, als mitten in der heiligen Handlung entgegengesetzte Forderungen bezüglich der Investitur deu Kaiser und Papst Paschalis 2. entzweiten, die Leidenschaften in Brand setzten und den folgereichen Aufruhr im Innern der Kirche weckten, der mit der Gefangennahme des widerstrebenden Papstes schloß. Diesen entscheidenden Ausgang des Streites hat Lessing dargestellt. Links vom Beschauer im Vordergründe ragt über das ganze reiche Fürsiengcfolge die mächtige Gestalt Kaiser Heinrichs empor. Zornentflammt. durch den Wider¬ spruch des Papstes in seiner Herrschermacht gereizt, ist er vom Throne auf¬ gesprungen und ruft mit ausgestrecktem Arme die Krieger auf, seinen Gegner zu greifen. Schon stürzen auch dieselben aus dem Hintergrunde herbei, un¬ bekümmert um den schwachen Widerstand, den ihnen ein vor Schrecken in die Knie gesunkener Bischof mit dem Stube entgegenstellt. Dem Kaiser gegen¬ über im rechten Vordergrunde sitzt auf Petri StAhle Paschalis, ruhig, auf sein Schicksal gefaßt, unfähig, seine Würde zu vergessen, und dem Feinde den Triumph über seine Schwäche zu gönnen. Nur leise bewegt die Spannung den einen und andern Gesichtsmuskcl. nur in der Art. wie die Hand ein Buch krampfhaft festhält, ahnt man. daß auch Sorge für die Sicherheit. Furcht vor dem Grimme des Feindes seiner Brust nicht ganz fremd sind. Um den Papst drängt sich sein geistliches Gefolge. Die einen hat der Schrecken re¬ gungslos gemacht, die andern sind entsetzt über das unglaubliche Wagniß. Man sieht es ihnen an, daß sie von keinem größeren Frevel wissen, und bei Ge¬ legenheit schwere Vergeltung üben werden. Noch andere rufen um Hilfe zum Himmel, während im Hintergrunde die Schar der Neugierigen, welche die Ur¬ sache des Aufruhrs nicht kennt oder wie der Pöbel zu allen Zeiten am Lärmen sich freut, die Hülse reckt und mit Auge und Ohr die Scene durchdringen möchte. Doch wir wollen die Schilderung nicht noch weiter spinnen. In

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_105810/20>, abgerufen am 03.07.2024.