Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. III. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

Monarchien ist den Republiken das Festhalten an der angestammten Rechts¬
ordnung die Lebenslust, ohne welche sie keinen Bestand haben. Wie große
Störungen auch in einer Monarchie jene Rechtsordnung erleidet, so bleibt doch
die Person des Fürsten, als der Mittelpunkt zurück, um den der Organismus
sich wieder zusammenfügen kann, während im Freistaat der Umsturz der Ver¬
fassung alle Gliederung auflöst und eben deshalb überall gleichmüßig nach
Bürgerkriegen entweder zur Willkürherrschaft eines Einzelnen, oder zur Unter¬
werfung unter fremde Botmäßigkeit führt."




Die Angelegenheit des !)>-. Beckhans.

Während der letzten Zeit hat ein Vorfall, der sich bei der Universität Bonn
zugetragen, die Aufmerksamkeit der Presse und des Publicums in hohem Grade be¬
schäftigt. Dr. Deckhaus, seit vier Jahren als Privatdocent der Jurisprudenz da¬
selbst habilitirt, hat die Mittheilung erhalten, daß die juristische Facultät ihm aus
Grund des ez. 57 ihrer Statuten die Liccntia docendi nicht zu verlängern beschlossen
habe. Jenen Paragraphen, welcher bestimmt, daß die Liccntia docendi einem Privat¬
docenten anfangs nur auf vier Jahre ertheilt werden dürfe, sedoch nach Ablauf
diefes Zeitraums durch einen einfachen Beschluß der Facultät erneuert werden könne,
hatte man sich allgemein gewöhnt, als einen völlig bedeutungslosen und das dem
Privatdocenten einmal genährte Privilegium als ein dauerndes zu betrachten ; daher
die Ueberraschung des Publicums, das zugleich durch das anfänglich von der Fa¬
cultät über die Maßregel beobachtete Schweigen verletzt wurde. Noch mehr aber
machte sich das sehr richtige Gefühl geltend, daß der Hergang einen die ohnehin
schwankende Stellung der Privatdocenten auf das äußerste bedrohenden gefährlichen
Präccdcnzsall bilde. Den Privytdoccnten legt in der Regel schon ihre materielle Lage
und der natürliche Wunsch nach Beförderung manche Rücksichten auf; was soll aber
vollends daraus werde", wenn selbst die bescheidene Lebensstellung, welche sie inne
haben, ihnen nicht sicher ist und deren Fortdauer von der Laune einiger einflu߬
reichen Ordinarien abhängt? Mag es auch sein, daß Beschlüsse wie der in dem Bcck-
hausschen Falle gefaßte nur sehr selten zu Stande kommen werden, so ist doch der
Gedanke an das über dem Haupte drohende Damoklesschwert viel schlimmer, als
das Herabfallen desselben und ein unerschrockenes Erforschen und Bekennen der Wahr¬
heit, bei dem der Conflict mit älteren Gelehrten nicht immer vermieden werden kann,
in einer solchen Lage kaum möglich. Die Bestimmung stammt offenbar aus einer
Zeit, in welcher man es als eine Anomalie ansehen mußte, wenn ein Privatdocent
vier Jahre nach seiner Habilitation noch nicht zum Professor aufgerückt war; wird


Monarchien ist den Republiken das Festhalten an der angestammten Rechts¬
ordnung die Lebenslust, ohne welche sie keinen Bestand haben. Wie große
Störungen auch in einer Monarchie jene Rechtsordnung erleidet, so bleibt doch
die Person des Fürsten, als der Mittelpunkt zurück, um den der Organismus
sich wieder zusammenfügen kann, während im Freistaat der Umsturz der Ver¬
fassung alle Gliederung auflöst und eben deshalb überall gleichmüßig nach
Bürgerkriegen entweder zur Willkürherrschaft eines Einzelnen, oder zur Unter¬
werfung unter fremde Botmäßigkeit führt."




Die Angelegenheit des !)>-. Beckhans.

Während der letzten Zeit hat ein Vorfall, der sich bei der Universität Bonn
zugetragen, die Aufmerksamkeit der Presse und des Publicums in hohem Grade be¬
schäftigt. Dr. Deckhaus, seit vier Jahren als Privatdocent der Jurisprudenz da¬
selbst habilitirt, hat die Mittheilung erhalten, daß die juristische Facultät ihm aus
Grund des ez. 57 ihrer Statuten die Liccntia docendi nicht zu verlängern beschlossen
habe. Jenen Paragraphen, welcher bestimmt, daß die Liccntia docendi einem Privat¬
docenten anfangs nur auf vier Jahre ertheilt werden dürfe, sedoch nach Ablauf
diefes Zeitraums durch einen einfachen Beschluß der Facultät erneuert werden könne,
hatte man sich allgemein gewöhnt, als einen völlig bedeutungslosen und das dem
Privatdocenten einmal genährte Privilegium als ein dauerndes zu betrachten ; daher
die Ueberraschung des Publicums, das zugleich durch das anfänglich von der Fa¬
cultät über die Maßregel beobachtete Schweigen verletzt wurde. Noch mehr aber
machte sich das sehr richtige Gefühl geltend, daß der Hergang einen die ohnehin
schwankende Stellung der Privatdocenten auf das äußerste bedrohenden gefährlichen
Präccdcnzsall bilde. Den Privytdoccnten legt in der Regel schon ihre materielle Lage
und der natürliche Wunsch nach Beförderung manche Rücksichten auf; was soll aber
vollends daraus werde», wenn selbst die bescheidene Lebensstellung, welche sie inne
haben, ihnen nicht sicher ist und deren Fortdauer von der Laune einiger einflu߬
reichen Ordinarien abhängt? Mag es auch sein, daß Beschlüsse wie der in dem Bcck-
hausschen Falle gefaßte nur sehr selten zu Stande kommen werden, so ist doch der
Gedanke an das über dem Haupte drohende Damoklesschwert viel schlimmer, als
das Herabfallen desselben und ein unerschrockenes Erforschen und Bekennen der Wahr¬
heit, bei dem der Conflict mit älteren Gelehrten nicht immer vermieden werden kann,
in einer solchen Lage kaum möglich. Die Bestimmung stammt offenbar aus einer
Zeit, in welcher man es als eine Anomalie ansehen mußte, wenn ein Privatdocent
vier Jahre nach seiner Habilitation noch nicht zum Professor aufgerückt war; wird


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0162" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/105973"/>
          <p xml:id="ID_421" prev="#ID_420"> Monarchien ist den Republiken das Festhalten an der angestammten Rechts¬<lb/>
ordnung die Lebenslust, ohne welche sie keinen Bestand haben. Wie große<lb/>
Störungen auch in einer Monarchie jene Rechtsordnung erleidet, so bleibt doch<lb/>
die Person des Fürsten, als der Mittelpunkt zurück, um den der Organismus<lb/>
sich wieder zusammenfügen kann, während im Freistaat der Umsturz der Ver¬<lb/>
fassung alle Gliederung auflöst und eben deshalb überall gleichmüßig nach<lb/>
Bürgerkriegen entweder zur Willkürherrschaft eines Einzelnen, oder zur Unter¬<lb/>
werfung unter fremde Botmäßigkeit führt."</p><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
        </div>
        <div n="1">
          <head> Die Angelegenheit des !)&gt;-. Beckhans.</head><lb/>
          <p xml:id="ID_422" next="#ID_423"> Während der letzten Zeit hat ein Vorfall, der sich bei der Universität Bonn<lb/>
zugetragen, die Aufmerksamkeit der Presse und des Publicums in hohem Grade be¬<lb/>
schäftigt. Dr. Deckhaus, seit vier Jahren als Privatdocent der Jurisprudenz da¬<lb/>
selbst habilitirt, hat die Mittheilung erhalten, daß die juristische Facultät ihm aus<lb/>
Grund des ez. 57 ihrer Statuten die Liccntia docendi nicht zu verlängern beschlossen<lb/>
habe. Jenen Paragraphen, welcher bestimmt, daß die Liccntia docendi einem Privat¬<lb/>
docenten anfangs nur auf vier Jahre ertheilt werden dürfe, sedoch nach Ablauf<lb/>
diefes Zeitraums durch einen einfachen Beschluß der Facultät erneuert werden könne,<lb/>
hatte man sich allgemein gewöhnt, als einen völlig bedeutungslosen und das dem<lb/>
Privatdocenten einmal genährte Privilegium als ein dauerndes zu betrachten ; daher<lb/>
die Ueberraschung des Publicums, das zugleich durch das anfänglich von der Fa¬<lb/>
cultät über die Maßregel beobachtete Schweigen verletzt wurde. Noch mehr aber<lb/>
machte sich das sehr richtige Gefühl geltend, daß der Hergang einen die ohnehin<lb/>
schwankende Stellung der Privatdocenten auf das äußerste bedrohenden gefährlichen<lb/>
Präccdcnzsall bilde. Den Privytdoccnten legt in der Regel schon ihre materielle Lage<lb/>
und der natürliche Wunsch nach Beförderung manche Rücksichten auf; was soll aber<lb/>
vollends daraus werde», wenn selbst die bescheidene Lebensstellung, welche sie inne<lb/>
haben, ihnen nicht sicher ist und deren Fortdauer von der Laune einiger einflu߬<lb/>
reichen Ordinarien abhängt? Mag es auch sein, daß Beschlüsse wie der in dem Bcck-<lb/>
hausschen Falle gefaßte nur sehr selten zu Stande kommen werden, so ist doch der<lb/>
Gedanke an das über dem Haupte drohende Damoklesschwert viel schlimmer, als<lb/>
das Herabfallen desselben und ein unerschrockenes Erforschen und Bekennen der Wahr¬<lb/>
heit, bei dem der Conflict mit älteren Gelehrten nicht immer vermieden werden kann,<lb/>
in einer solchen Lage kaum möglich. Die Bestimmung stammt offenbar aus einer<lb/>
Zeit, in welcher man es als eine Anomalie ansehen mußte, wenn ein Privatdocent<lb/>
vier Jahre nach seiner Habilitation noch nicht zum Professor aufgerückt war; wird</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0162] Monarchien ist den Republiken das Festhalten an der angestammten Rechts¬ ordnung die Lebenslust, ohne welche sie keinen Bestand haben. Wie große Störungen auch in einer Monarchie jene Rechtsordnung erleidet, so bleibt doch die Person des Fürsten, als der Mittelpunkt zurück, um den der Organismus sich wieder zusammenfügen kann, während im Freistaat der Umsturz der Ver¬ fassung alle Gliederung auflöst und eben deshalb überall gleichmüßig nach Bürgerkriegen entweder zur Willkürherrschaft eines Einzelnen, oder zur Unter¬ werfung unter fremde Botmäßigkeit führt." Die Angelegenheit des !)>-. Beckhans. Während der letzten Zeit hat ein Vorfall, der sich bei der Universität Bonn zugetragen, die Aufmerksamkeit der Presse und des Publicums in hohem Grade be¬ schäftigt. Dr. Deckhaus, seit vier Jahren als Privatdocent der Jurisprudenz da¬ selbst habilitirt, hat die Mittheilung erhalten, daß die juristische Facultät ihm aus Grund des ez. 57 ihrer Statuten die Liccntia docendi nicht zu verlängern beschlossen habe. Jenen Paragraphen, welcher bestimmt, daß die Liccntia docendi einem Privat¬ docenten anfangs nur auf vier Jahre ertheilt werden dürfe, sedoch nach Ablauf diefes Zeitraums durch einen einfachen Beschluß der Facultät erneuert werden könne, hatte man sich allgemein gewöhnt, als einen völlig bedeutungslosen und das dem Privatdocenten einmal genährte Privilegium als ein dauerndes zu betrachten ; daher die Ueberraschung des Publicums, das zugleich durch das anfänglich von der Fa¬ cultät über die Maßregel beobachtete Schweigen verletzt wurde. Noch mehr aber machte sich das sehr richtige Gefühl geltend, daß der Hergang einen die ohnehin schwankende Stellung der Privatdocenten auf das äußerste bedrohenden gefährlichen Präccdcnzsall bilde. Den Privytdoccnten legt in der Regel schon ihre materielle Lage und der natürliche Wunsch nach Beförderung manche Rücksichten auf; was soll aber vollends daraus werde», wenn selbst die bescheidene Lebensstellung, welche sie inne haben, ihnen nicht sicher ist und deren Fortdauer von der Laune einiger einflu߬ reichen Ordinarien abhängt? Mag es auch sein, daß Beschlüsse wie der in dem Bcck- hausschen Falle gefaßte nur sehr selten zu Stande kommen werden, so ist doch der Gedanke an das über dem Haupte drohende Damoklesschwert viel schlimmer, als das Herabfallen desselben und ein unerschrockenes Erforschen und Bekennen der Wahr¬ heit, bei dem der Conflict mit älteren Gelehrten nicht immer vermieden werden kann, in einer solchen Lage kaum möglich. Die Bestimmung stammt offenbar aus einer Zeit, in welcher man es als eine Anomalie ansehen mußte, wenn ein Privatdocent vier Jahre nach seiner Habilitation noch nicht zum Professor aufgerückt war; wird

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_105810
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_105810/162
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_105810/162>, abgerufen am 22.07.2024.