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Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. III. Band.

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Stützung der von allen Seiten wieder aufgetauchten Adelsansprüche. Forderungen,
an deren Vorhandensein der Staat kein anderes Interesse hat. als daß sie
beseitigt werden, Ansprüche, denen neun Zehntel der Bevölkerung feindselig ent¬
gegenstelln, sind bewilligt worden, blos um die Anhänger der Zeitrichtung zu är¬
gern, bewilligt worden an eine Classe, die äußerlich und innerlich machtlos die
Letzten sein werden, welche wankende Throne zu stützen vermögen. Und kaum
hat diese Umkehr, zu der leider auch die preußische Regierung so viel beige¬
tragen, sich vollzogen, so erntet Preußen die ersten Früchte davon, indem von
allen Seiten zugleich ein Feldzug gegen dessen'noch mehr geistige als materielle
Suprematie in Deutschland erhoben wird. Was die Geschichte als Bodensatz
von begründeten und unbegründeten Abneigungen gegen Preußen hinterlassen
hat, wird systcmcttisch angefacht und ausgebeutet, und selbst eine Regierung
wie die von Baden fühlt sich berechtigt, der preußischen den Fehdehandschuh
hinzuwerfen. In Preußen selbst arbeiten die. welche seit einem Jahrzehnt
das Monopol des Patriotismus in Anspruch genommen, dem Gewinnen eines
festen Bodens für die Regierung nach Kräften entgegen. Große Entwicklungen
vollziehen sich in ganz Europa. Deutschland aber steht ldeen- und thatlos da.
Jeder Tag kann einen Wendepunkt herbeiführen, in Deutschland lebt und handelt
man, als ob das, was draußen geschieht, von eben gar keiner Bedeutung
und ohne jeglichen Rückeinfluß aus uns selbst sei. Kommen wir nicht heute,
kommen wir morgen, und kommen wir nicht morgen, kommen wir gar nicht.
Wir fürchten, das wird das Ende vom Liede sein.




Die preußischen Justizreformen seit 1848.

'''...j.,
Schon 1801 war in Preußen die Revision des gesammten Kriminalrechts
beschlossen worden*), dessen erster Theil denn auch 1805 in der großen Theils
noch heute geltenden Criminalordnung publicirt worden ist. Die dann fol¬
genden Stürme, welche die Existenz des Staats in Frage stellten, ließen zu¬
nächst andere Arbeiten in den Vordergrund treten. Mit der wiedergewonnenen
Sicherheit tauchten aber sogleich die alten Pläne wieder auf und zwar im
großartigsten Maßstabe: der völlig veränderten äußern Gestalt des Landes
sollte eine Umarbeitung des ganzen Rechts entsprechen, welches zu diesem Zweck
in 16 Perser getheilt wurde. 1826 begannen die Arbeiten mit dem ersten
und einzigen Pensum, an welches überhaupt bis jetzt gedacht worden ist, mit
dem lnndrechtlichen Strafrecht; bis 1847 war mit kurzen Unterbrechungen theils



') S. Heft 21. d. Bl.
14*

Stützung der von allen Seiten wieder aufgetauchten Adelsansprüche. Forderungen,
an deren Vorhandensein der Staat kein anderes Interesse hat. als daß sie
beseitigt werden, Ansprüche, denen neun Zehntel der Bevölkerung feindselig ent¬
gegenstelln, sind bewilligt worden, blos um die Anhänger der Zeitrichtung zu är¬
gern, bewilligt worden an eine Classe, die äußerlich und innerlich machtlos die
Letzten sein werden, welche wankende Throne zu stützen vermögen. Und kaum
hat diese Umkehr, zu der leider auch die preußische Regierung so viel beige¬
tragen, sich vollzogen, so erntet Preußen die ersten Früchte davon, indem von
allen Seiten zugleich ein Feldzug gegen dessen'noch mehr geistige als materielle
Suprematie in Deutschland erhoben wird. Was die Geschichte als Bodensatz
von begründeten und unbegründeten Abneigungen gegen Preußen hinterlassen
hat, wird systcmcttisch angefacht und ausgebeutet, und selbst eine Regierung
wie die von Baden fühlt sich berechtigt, der preußischen den Fehdehandschuh
hinzuwerfen. In Preußen selbst arbeiten die. welche seit einem Jahrzehnt
das Monopol des Patriotismus in Anspruch genommen, dem Gewinnen eines
festen Bodens für die Regierung nach Kräften entgegen. Große Entwicklungen
vollziehen sich in ganz Europa. Deutschland aber steht ldeen- und thatlos da.
Jeder Tag kann einen Wendepunkt herbeiführen, in Deutschland lebt und handelt
man, als ob das, was draußen geschieht, von eben gar keiner Bedeutung
und ohne jeglichen Rückeinfluß aus uns selbst sei. Kommen wir nicht heute,
kommen wir morgen, und kommen wir nicht morgen, kommen wir gar nicht.
Wir fürchten, das wird das Ende vom Liede sein.




Die preußischen Justizreformen seit 1848.

'''...j.,
Schon 1801 war in Preußen die Revision des gesammten Kriminalrechts
beschlossen worden*), dessen erster Theil denn auch 1805 in der großen Theils
noch heute geltenden Criminalordnung publicirt worden ist. Die dann fol¬
genden Stürme, welche die Existenz des Staats in Frage stellten, ließen zu¬
nächst andere Arbeiten in den Vordergrund treten. Mit der wiedergewonnenen
Sicherheit tauchten aber sogleich die alten Pläne wieder auf und zwar im
großartigsten Maßstabe: der völlig veränderten äußern Gestalt des Landes
sollte eine Umarbeitung des ganzen Rechts entsprechen, welches zu diesem Zweck
in 16 Perser getheilt wurde. 1826 begannen die Arbeiten mit dem ersten
und einzigen Pensum, an welches überhaupt bis jetzt gedacht worden ist, mit
dem lnndrechtlichen Strafrecht; bis 1847 war mit kurzen Unterbrechungen theils



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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_105810/115>, abgerufen am 22.07.2024.