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Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, I. Semester. I. Band.

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keiner Zeit gefehlt, aber sie haben sich stets bemüht, wenn nicht ihre Schlacht¬
opfer, so doch das Publicum für die Strenge ihres Urtheils durch anmuthige
gefällige Formen zu entschädigen. Dieses Mittel verschmähte Planche durchaus, er
suchte für sein Urtheil geflissentlich die schroffsten Formen, und so kann man sich
leicht erklären, daß er der hauptsächliche Gegenstand des Hasses war. Was ein
erboster Versmacher, dem man nachweist, daß er kein Dichter sei, an Injurien
zu Tage fördern kann, ist uns auch in Deutschland nicht unbekannt. Wenn die
bodenlose Gemeinheit, die sich in unsern Tages- und Wochenblättern hervordrängt,
wo die Literatur sich aus verkommenen Subjecten rccrutirt, die für jede Stellung,
welche ein Examen erfordert, zu schlecht sind, in Frankreich unmöglich ist, wo ein
gewisses Gefühl der Ehre und des Anstandes in den Formen doch bis zu den
untersten Classen hinabreicht, so fühlen sich dagegen die gefeierten Größen des
Tages, an einen betäubenden Weihrauch gewöhnt, weit mehr berechtigt, als bei
uns, wo fast jeder Dichter auch ein Kritiker ist, gegen die Kritik im Allgemeinen
eine gründliche Verachtung auszusprechen. Und so hat denn im Verlauf der
letzten 25 Jahre fast jeder Dichter sein Votum über Planche, den Repräsentanten
der absoluten Kritik, abgegeben, und man Hütte glauben sollen, daß er vollständig
vernichtet war. Jetzt nach feinem Tode erfolgt dagegen eine Anerkennung, die mit¬
unter wie eine Apotheose aussieht und in manchen Punkten über das richtige
Maß hinausgeht. Der Grund ist sehr begreiflich: er liegt einmal in der natür¬
lichen Reaction gegen eine frühere Ungerechtigkeit, dann aber in der instinctiven Ver¬
ehrung von etwas, das in Frankreich immer seltener wird: der Uneigennützigkeit.
Zwar übertreibt man bei uns sehr stark die Vorstellung von der Bestechlichkeit der
französischen Kritik, aber ziemlich arg ist es damit allerdings, die menschlichen Rück¬
sichten spielen im Urtheil wie im Leben eine übergroße Rolle, und ein Mann, der
lediglich seinem Gewissen folgt, wird zuerst wie eine seltene Erscheinung angestaunt,
dann verabscheut, endlich, sobald er aufhört lästig zu fallen, bewundert. So war
es zu den Zeiten des Cato, vielleicht wird es bald eine, grade des Ungewöhnlichen
wegen sichere Speculation sein, den Cato zu spielen.




Verantwortlicher Redacteur: v, Moritz Busch -- Verlag von F, L. Herbig
in Leipzig.
Druck von C. E> Elbert in Leipzig.


Abonnementsanzeige zum neuen Jahr.
Mit dem Anfänge des neuen Jahres beginnen die Grenzboten
denXVRI. Jahrgang. Die unterzeichnete Verlagshandlung erlaubt
sich zur Pränumeration aus denselben einzuladen, und bemerkt, daß alle
Buchhandlungen und Postämter Bestellungen annehmen.
Leipzig, im December 1857. Fr. Ludw. Herbig.


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keiner Zeit gefehlt, aber sie haben sich stets bemüht, wenn nicht ihre Schlacht¬
opfer, so doch das Publicum für die Strenge ihres Urtheils durch anmuthige
gefällige Formen zu entschädigen. Dieses Mittel verschmähte Planche durchaus, er
suchte für sein Urtheil geflissentlich die schroffsten Formen, und so kann man sich
leicht erklären, daß er der hauptsächliche Gegenstand des Hasses war. Was ein
erboster Versmacher, dem man nachweist, daß er kein Dichter sei, an Injurien
zu Tage fördern kann, ist uns auch in Deutschland nicht unbekannt. Wenn die
bodenlose Gemeinheit, die sich in unsern Tages- und Wochenblättern hervordrängt,
wo die Literatur sich aus verkommenen Subjecten rccrutirt, die für jede Stellung,
welche ein Examen erfordert, zu schlecht sind, in Frankreich unmöglich ist, wo ein
gewisses Gefühl der Ehre und des Anstandes in den Formen doch bis zu den
untersten Classen hinabreicht, so fühlen sich dagegen die gefeierten Größen des
Tages, an einen betäubenden Weihrauch gewöhnt, weit mehr berechtigt, als bei
uns, wo fast jeder Dichter auch ein Kritiker ist, gegen die Kritik im Allgemeinen
eine gründliche Verachtung auszusprechen. Und so hat denn im Verlauf der
letzten 25 Jahre fast jeder Dichter sein Votum über Planche, den Repräsentanten
der absoluten Kritik, abgegeben, und man Hütte glauben sollen, daß er vollständig
vernichtet war. Jetzt nach feinem Tode erfolgt dagegen eine Anerkennung, die mit¬
unter wie eine Apotheose aussieht und in manchen Punkten über das richtige
Maß hinausgeht. Der Grund ist sehr begreiflich: er liegt einmal in der natür¬
lichen Reaction gegen eine frühere Ungerechtigkeit, dann aber in der instinctiven Ver¬
ehrung von etwas, das in Frankreich immer seltener wird: der Uneigennützigkeit.
Zwar übertreibt man bei uns sehr stark die Vorstellung von der Bestechlichkeit der
französischen Kritik, aber ziemlich arg ist es damit allerdings, die menschlichen Rück¬
sichten spielen im Urtheil wie im Leben eine übergroße Rolle, und ein Mann, der
lediglich seinem Gewissen folgt, wird zuerst wie eine seltene Erscheinung angestaunt,
dann verabscheut, endlich, sobald er aufhört lästig zu fallen, bewundert. So war
es zu den Zeiten des Cato, vielleicht wird es bald eine, grade des Ungewöhnlichen
wegen sichere Speculation sein, den Cato zu spielen.




Verantwortlicher Redacteur: v, Moritz Busch — Verlag von F, L. Herbig
in Leipzig.
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Leipzig, im December 1857. Fr. Ludw. Herbig.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_105276/128>, abgerufen am 22.12.2024.