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Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. III. Band.

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Und wie man sich, um aus diesen innern Widersprüchen herauszukommen,
immer tiefer darin verwickelt; wohin die Versuche führen, die erforderliche Lohn¬
höhe, anstatt durch die natürlichen Gesetze des Arbeitsmarktes, auf dem Weg
willkürlicher Verordnung zu decretiren; und wie man zuletzt doch die eigne
Impotenz durch den Appell an die Wohlthätigkeit, als letzte Consequenz des
Systems einzugestehen genöthigt ist, das haben wir im Vorstehenden näher
darzulegen versucht.




Die Kalifenstadt am Nil.
' " ^ ' ' ' ' ,' ^. , I .'^ > /^'! (!^!
Die Physiognomie der Straßen. Bazars. Moscheen. Ausflüge
vor den Thoren.

Wenn wir keinen Augenblick anstehen mürden, dem Panorama von Kon¬
stantinopel vor dem von Kairo die Palme der größeren Schönheit zuzuerkennen,
so scheint uns fast ebenso unzweifelhaft, daß ein Vergleich des Innern der
beiden Städte zu Gunsten der Kalifenstadt am Nil ausfallen muß. Schon der
Umstand, daß in Stambul die Holzarchitektur, und zwar in ihren einfachsten
Formen vorherrscht, während die Häuser Kahiras beinahe durchgehende von
Stein erbaut sind, wult sehr bedeutend auf Stimmung und Urtheil. Kon-
stantinopel kann in vielen seiner Quartirre die Vermuthung erwecken, diese
armseligen, plumpe", rohbemalten Breterbuden wären erst vor Kurzem an die
Stelle der Zeltgassen getreten, in denen früher das türkische Nomadenvolk
gewohnt, und es kann sich daran die Meinung knüpfen, die Stadt möge der¬
einst wieder ein Lager werden. In Kairo dagegen gewinnt der Beobachter
sofort das Bewußtsein, daß er sich in der Metropole eines seit Jahrhunderten
seßhaften, im morgenländischen Sinne hochgebildeten, kunstreichen und gedie¬
genen Geschlechts befindet.

Allerdings hat man sich auch hier europäischer Begriffe von Bequemlich¬
keit, Anmuth und Pracht vielfach zu einschlagen, bevor man zu wnklichem
Genusse gelangt. Der Verfall deS orientalischen Lebens prägt sich allenthalben
deutlich auch in den Physiognomien der Städte deS Morgenlandes aus. Die
alte" schönen Bauten der Sarazenenherrschaft hat die Trägheit oder Gleich¬
gültigkeit der spätern Fürsten und Machthaber überall, wo sie dem Zahn der
Zeit nicht zu fest waren, in Trümmer sinken, bersten und zerbröckeln lassen,
ohne eine Hand zur Ausbesserung zu regen. Die neuern sind der Mehrzahl
nach nüchtern; wo dies nicht der Fall ist, Werke eines Geschmacks, den man
orientalisches Rococo nennen könnte, oft auch ganz unnational, waS ramene-


Und wie man sich, um aus diesen innern Widersprüchen herauszukommen,
immer tiefer darin verwickelt; wohin die Versuche führen, die erforderliche Lohn¬
höhe, anstatt durch die natürlichen Gesetze des Arbeitsmarktes, auf dem Weg
willkürlicher Verordnung zu decretiren; und wie man zuletzt doch die eigne
Impotenz durch den Appell an die Wohlthätigkeit, als letzte Consequenz des
Systems einzugestehen genöthigt ist, das haben wir im Vorstehenden näher
darzulegen versucht.




Die Kalifenstadt am Nil.
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Die Physiognomie der Straßen. Bazars. Moscheen. Ausflüge
vor den Thoren.

Wenn wir keinen Augenblick anstehen mürden, dem Panorama von Kon¬
stantinopel vor dem von Kairo die Palme der größeren Schönheit zuzuerkennen,
so scheint uns fast ebenso unzweifelhaft, daß ein Vergleich des Innern der
beiden Städte zu Gunsten der Kalifenstadt am Nil ausfallen muß. Schon der
Umstand, daß in Stambul die Holzarchitektur, und zwar in ihren einfachsten
Formen vorherrscht, während die Häuser Kahiras beinahe durchgehende von
Stein erbaut sind, wult sehr bedeutend auf Stimmung und Urtheil. Kon-
stantinopel kann in vielen seiner Quartirre die Vermuthung erwecken, diese
armseligen, plumpe», rohbemalten Breterbuden wären erst vor Kurzem an die
Stelle der Zeltgassen getreten, in denen früher das türkische Nomadenvolk
gewohnt, und es kann sich daran die Meinung knüpfen, die Stadt möge der¬
einst wieder ein Lager werden. In Kairo dagegen gewinnt der Beobachter
sofort das Bewußtsein, daß er sich in der Metropole eines seit Jahrhunderten
seßhaften, im morgenländischen Sinne hochgebildeten, kunstreichen und gedie¬
genen Geschlechts befindet.

Allerdings hat man sich auch hier europäischer Begriffe von Bequemlich¬
keit, Anmuth und Pracht vielfach zu einschlagen, bevor man zu wnklichem
Genusse gelangt. Der Verfall deS orientalischen Lebens prägt sich allenthalben
deutlich auch in den Physiognomien der Städte deS Morgenlandes aus. Die
alte» schönen Bauten der Sarazenenherrschaft hat die Trägheit oder Gleich¬
gültigkeit der spätern Fürsten und Machthaber überall, wo sie dem Zahn der
Zeit nicht zu fest waren, in Trümmer sinken, bersten und zerbröckeln lassen,
ohne eine Hand zur Ausbesserung zu regen. Die neuern sind der Mehrzahl
nach nüchtern; wo dies nicht der Fall ist, Werke eines Geschmacks, den man
orientalisches Rococo nennen könnte, oft auch ganz unnational, waS ramene-


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[0422] Und wie man sich, um aus diesen innern Widersprüchen herauszukommen, immer tiefer darin verwickelt; wohin die Versuche führen, die erforderliche Lohn¬ höhe, anstatt durch die natürlichen Gesetze des Arbeitsmarktes, auf dem Weg willkürlicher Verordnung zu decretiren; und wie man zuletzt doch die eigne Impotenz durch den Appell an die Wohlthätigkeit, als letzte Consequenz des Systems einzugestehen genöthigt ist, das haben wir im Vorstehenden näher darzulegen versucht. Die Kalifenstadt am Nil. ' " ^ ' ' ' ' ,' ^. , I .'^ > /^'! (!^! Die Physiognomie der Straßen. Bazars. Moscheen. Ausflüge vor den Thoren. Wenn wir keinen Augenblick anstehen mürden, dem Panorama von Kon¬ stantinopel vor dem von Kairo die Palme der größeren Schönheit zuzuerkennen, so scheint uns fast ebenso unzweifelhaft, daß ein Vergleich des Innern der beiden Städte zu Gunsten der Kalifenstadt am Nil ausfallen muß. Schon der Umstand, daß in Stambul die Holzarchitektur, und zwar in ihren einfachsten Formen vorherrscht, während die Häuser Kahiras beinahe durchgehende von Stein erbaut sind, wult sehr bedeutend auf Stimmung und Urtheil. Kon- stantinopel kann in vielen seiner Quartirre die Vermuthung erwecken, diese armseligen, plumpe», rohbemalten Breterbuden wären erst vor Kurzem an die Stelle der Zeltgassen getreten, in denen früher das türkische Nomadenvolk gewohnt, und es kann sich daran die Meinung knüpfen, die Stadt möge der¬ einst wieder ein Lager werden. In Kairo dagegen gewinnt der Beobachter sofort das Bewußtsein, daß er sich in der Metropole eines seit Jahrhunderten seßhaften, im morgenländischen Sinne hochgebildeten, kunstreichen und gedie¬ genen Geschlechts befindet. Allerdings hat man sich auch hier europäischer Begriffe von Bequemlich¬ keit, Anmuth und Pracht vielfach zu einschlagen, bevor man zu wnklichem Genusse gelangt. Der Verfall deS orientalischen Lebens prägt sich allenthalben deutlich auch in den Physiognomien der Städte deS Morgenlandes aus. Die alte» schönen Bauten der Sarazenenherrschaft hat die Trägheit oder Gleich¬ gültigkeit der spätern Fürsten und Machthaber überall, wo sie dem Zahn der Zeit nicht zu fest waren, in Trümmer sinken, bersten und zerbröckeln lassen, ohne eine Hand zur Ausbesserung zu regen. Die neuern sind der Mehrzahl nach nüchtern; wo dies nicht der Fall ist, Werke eines Geschmacks, den man orientalisches Rococo nennen könnte, oft auch ganz unnational, waS ramene-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_104200/422>, abgerufen am 29.06.2024.