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Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. III. Band.

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Bilder ans der deutschen Vergangenheit.
Die Kipper und Wipper im 30jährigen Kriege.

Von den Schrecken des langen Vernichtungskampfes erschien dem Volke
selbst keiner so unheimlich, als eine plötzliche Entwerthung des Geldes, welche
in den ersten Jahren deS Krieges eintrat und wie eine Seuche in wenig
Monaten das Gefüge der bürgerlichen Gesellschaft auszulösen drohte. Für
die Phantasie des leidenden Geschlechts wurde das Uebel um so ärger, weil
es in die trübe Stimmung der Jahre scheinbar plötzlich einfiel, treit es über¬
all die gehässigsten Leidenschaften aufwühlte und Unfriede in den Familien,
Haß und Empörung zwischen Gläubiger und Schuldner, Hunger, Armuth,
Bettelhaftigkeit und Entsittlichung zurückließ. Es machte ehrsame Bürger zu
Spielern, Trunkenbolden und Troßknechten, jagte Prediger und Schullehrer
aus ihren Aemtern, brachte wohlhabende Familien an den Bettelstab, stürzte
alles Regiment in heillose Verwirrung und bedrohte nach einer gesegneten
Ernte die Bewohner der Städte mit dem Hungertode.

Es war das dritte Jahr der Kriegsunruhen. Zwar hatte in Böhmen
und Schlesien die Kriegsflamme bereits Vieles verdorben und überall züngelte
dort noch die Gluth aus den Trümmerhaufen, in welchen die kaiserlichen
Truppen das Kreuz des alten Glaubens unter Blut und Gräueln aufrichte¬
ten. Ueberall war schwüle Luft, in allen Kreisen deS Reiches rüstete und
sorgte man für die Zukunft. Aber der Verkehr mit den Landschaften, in denen
der Krieg schon gehaust hatte, war damals verhältnißmäßig gering, und wenn
auch zahlreiche Flugschriften, die bleichen Gesichter einzelner Flüchtlinge und
das nimmer ruhende Gerücht von den Unthaten der Gewaltigen meldeten, die
geschlagenen Länder waren mit Ausnahme der Pfalz Provinzen, die dem
Kaiser selbst gehört hatten, und an Elbe und Niederrhein, in Thüringen,
Franken und den Landschaften der Niedersachsen frug man noch, ob für die
eigne Heimath überhaupt Gefahr sei? Im August 1621 freute sich der Bauer
einer ungewöhnlich reichen Ernte; in Handel und Verkehr waren einige Sto¬
ckungen eingetreten, aber auch ein erhöhter Eifer, wie bei starken Rüstungen
natürlich ist; die Leder- und Eisenarbeiter hatten viel zu thun; auf den Land¬
straßen war große Vecturanz, und die männliche Jugend wurde durch das


Grenzboten. III. 18S7. 36
Bilder ans der deutschen Vergangenheit.
Die Kipper und Wipper im 30jährigen Kriege.

Von den Schrecken des langen Vernichtungskampfes erschien dem Volke
selbst keiner so unheimlich, als eine plötzliche Entwerthung des Geldes, welche
in den ersten Jahren deS Krieges eintrat und wie eine Seuche in wenig
Monaten das Gefüge der bürgerlichen Gesellschaft auszulösen drohte. Für
die Phantasie des leidenden Geschlechts wurde das Uebel um so ärger, weil
es in die trübe Stimmung der Jahre scheinbar plötzlich einfiel, treit es über¬
all die gehässigsten Leidenschaften aufwühlte und Unfriede in den Familien,
Haß und Empörung zwischen Gläubiger und Schuldner, Hunger, Armuth,
Bettelhaftigkeit und Entsittlichung zurückließ. Es machte ehrsame Bürger zu
Spielern, Trunkenbolden und Troßknechten, jagte Prediger und Schullehrer
aus ihren Aemtern, brachte wohlhabende Familien an den Bettelstab, stürzte
alles Regiment in heillose Verwirrung und bedrohte nach einer gesegneten
Ernte die Bewohner der Städte mit dem Hungertode.

Es war das dritte Jahr der Kriegsunruhen. Zwar hatte in Böhmen
und Schlesien die Kriegsflamme bereits Vieles verdorben und überall züngelte
dort noch die Gluth aus den Trümmerhaufen, in welchen die kaiserlichen
Truppen das Kreuz des alten Glaubens unter Blut und Gräueln aufrichte¬
ten. Ueberall war schwüle Luft, in allen Kreisen deS Reiches rüstete und
sorgte man für die Zukunft. Aber der Verkehr mit den Landschaften, in denen
der Krieg schon gehaust hatte, war damals verhältnißmäßig gering, und wenn
auch zahlreiche Flugschriften, die bleichen Gesichter einzelner Flüchtlinge und
das nimmer ruhende Gerücht von den Unthaten der Gewaltigen meldeten, die
geschlagenen Länder waren mit Ausnahme der Pfalz Provinzen, die dem
Kaiser selbst gehört hatten, und an Elbe und Niederrhein, in Thüringen,
Franken und den Landschaften der Niedersachsen frug man noch, ob für die
eigne Heimath überhaupt Gefahr sei? Im August 1621 freute sich der Bauer
einer ungewöhnlich reichen Ernte; in Handel und Verkehr waren einige Sto¬
ckungen eingetreten, aber auch ein erhöhter Eifer, wie bei starken Rüstungen
natürlich ist; die Leder- und Eisenarbeiter hatten viel zu thun; auf den Land¬
straßen war große Vecturanz, und die männliche Jugend wurde durch das


Grenzboten. III. 18S7. 36
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[0289] Bilder ans der deutschen Vergangenheit. Die Kipper und Wipper im 30jährigen Kriege. Von den Schrecken des langen Vernichtungskampfes erschien dem Volke selbst keiner so unheimlich, als eine plötzliche Entwerthung des Geldes, welche in den ersten Jahren deS Krieges eintrat und wie eine Seuche in wenig Monaten das Gefüge der bürgerlichen Gesellschaft auszulösen drohte. Für die Phantasie des leidenden Geschlechts wurde das Uebel um so ärger, weil es in die trübe Stimmung der Jahre scheinbar plötzlich einfiel, treit es über¬ all die gehässigsten Leidenschaften aufwühlte und Unfriede in den Familien, Haß und Empörung zwischen Gläubiger und Schuldner, Hunger, Armuth, Bettelhaftigkeit und Entsittlichung zurückließ. Es machte ehrsame Bürger zu Spielern, Trunkenbolden und Troßknechten, jagte Prediger und Schullehrer aus ihren Aemtern, brachte wohlhabende Familien an den Bettelstab, stürzte alles Regiment in heillose Verwirrung und bedrohte nach einer gesegneten Ernte die Bewohner der Städte mit dem Hungertode. Es war das dritte Jahr der Kriegsunruhen. Zwar hatte in Böhmen und Schlesien die Kriegsflamme bereits Vieles verdorben und überall züngelte dort noch die Gluth aus den Trümmerhaufen, in welchen die kaiserlichen Truppen das Kreuz des alten Glaubens unter Blut und Gräueln aufrichte¬ ten. Ueberall war schwüle Luft, in allen Kreisen deS Reiches rüstete und sorgte man für die Zukunft. Aber der Verkehr mit den Landschaften, in denen der Krieg schon gehaust hatte, war damals verhältnißmäßig gering, und wenn auch zahlreiche Flugschriften, die bleichen Gesichter einzelner Flüchtlinge und das nimmer ruhende Gerücht von den Unthaten der Gewaltigen meldeten, die geschlagenen Länder waren mit Ausnahme der Pfalz Provinzen, die dem Kaiser selbst gehört hatten, und an Elbe und Niederrhein, in Thüringen, Franken und den Landschaften der Niedersachsen frug man noch, ob für die eigne Heimath überhaupt Gefahr sei? Im August 1621 freute sich der Bauer einer ungewöhnlich reichen Ernte; in Handel und Verkehr waren einige Sto¬ ckungen eingetreten, aber auch ein erhöhter Eifer, wie bei starken Rüstungen natürlich ist; die Leder- und Eisenarbeiter hatten viel zu thun; auf den Land¬ straßen war große Vecturanz, und die männliche Jugend wurde durch das Grenzboten. III. 18S7. 36

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_104200/289>, abgerufen am 29.06.2024.