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Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. III. Band.

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Die gläubige Nlttnrsorschnng und die biblische
Schöpfungsgeschichte.

Andreas Wagner. Geschichte der Urwelt. Leipzig, 1857. 2. Auflage. Erster
Theil. 530 Seiten. --

Wir beabsichtigen nicht, eine Kritik oder eine Analyse des wissenschaftlichen
Theils des angeführten Buches zu geben, sondern müssen das den natur¬
wissenschaftlichen Zeitschriften und den Geologen von Fach überlassen. Von
allgemeinem Interesse scheint uns dagegen die "Vergleichung des mosaischen
Schöpfungsberichts mit den Ergebnissen der Geologie" zu sein. An sich sind
freilich die Bemühungen, die biblische Schöpfungsgeschichte mit den Lehren
der Naturwissenschaft in Einklang zu setzen, von geringer Bedeutung; der un¬
befangene Leser der Bibel wird sich nicht einreden lassen, daß Moses tiefere
Kenntniß der Natur besessen, als die unmittelbare Anschauung der Natur er¬
gibt und ebensowenig wird man einräumen können, daß dem religiösen und
sittlichen Gehalte des alten Testamentes Abbruch geschieht, weil Moses das
kopernikanische Weltsystem nicht, kannte oder weil die Traditionen von Noah daS
Gepräge des Mythischen tragen. Aber auf die religiösen Bestrebungen unserer
Zeit wirft die Kenntnißnahme von jenen Bemühungen einiges Licht; wir er¬
fahren, daß für eine heutige Neligionspartei die Untersuchung von Wichtigkeit
ist, ob Moses richtige oder unrichtige astronomische und geologische Vor¬
stellungen besessen und wir sehen mit Bedauern einen verdienstvollen Natur¬
forscher, mit einer gewissen Genugthuung eine anmaßende religiöse Partei sich
in die unglaublichsten Spitzfindigkeiten verrennen, um den naturwissenschaft¬
lichen Erwerb von Jahrtausenden in der ältesten Urkunde deS Menschengeschlechts
zu entdecken.

Der Verfasser behauptet zunächst, daß Moses seine Kenntniß von der
Schöpfungsgeschichte einer unmittelbaren göttlichen Offenbarung verdanke;
hiernach müßte ihm also Gott selbst in hebräischer Sprache daS Erforderliche
erzählt haben, -- eine Vorstellung, die zwar schwierig, aber einmal üblich ist.
Er verlangt serner, daß deshalb die Naturforscher an der Uebereinstimmung
mit der mosaischen Schöpfungsgeschichte die Richtigkeit ihrer Untersuchungen
bemessen sollen; wir können nicht leugnen, daß uns das gegen die Unbefangen¬
heit seiner eignen, vorzugsweise neptunistischen Ansichten etwas mißtrauisch macht.
Eine andere Aeußerung erhöht noch dieses Mißtrauen; er findet nämlich den
Ausspruch des Kirchenvaters Augustinus sehr richtig, welcher sagt: "daran
müssen wir unzweifelhaft festhalten, daß wir zeigen, es sei unsern heiligen
Büchern nichts entgegen, was die Weisen der Welt über die Natur der Dinge
wahrhaft beweisen konnten u. s. w." und ferner: "aber eS möchte jemand sagen:


Die gläubige Nlttnrsorschnng und die biblische
Schöpfungsgeschichte.

Andreas Wagner. Geschichte der Urwelt. Leipzig, 1857. 2. Auflage. Erster
Theil. 530 Seiten. —

Wir beabsichtigen nicht, eine Kritik oder eine Analyse des wissenschaftlichen
Theils des angeführten Buches zu geben, sondern müssen das den natur¬
wissenschaftlichen Zeitschriften und den Geologen von Fach überlassen. Von
allgemeinem Interesse scheint uns dagegen die „Vergleichung des mosaischen
Schöpfungsberichts mit den Ergebnissen der Geologie" zu sein. An sich sind
freilich die Bemühungen, die biblische Schöpfungsgeschichte mit den Lehren
der Naturwissenschaft in Einklang zu setzen, von geringer Bedeutung; der un¬
befangene Leser der Bibel wird sich nicht einreden lassen, daß Moses tiefere
Kenntniß der Natur besessen, als die unmittelbare Anschauung der Natur er¬
gibt und ebensowenig wird man einräumen können, daß dem religiösen und
sittlichen Gehalte des alten Testamentes Abbruch geschieht, weil Moses das
kopernikanische Weltsystem nicht, kannte oder weil die Traditionen von Noah daS
Gepräge des Mythischen tragen. Aber auf die religiösen Bestrebungen unserer
Zeit wirft die Kenntnißnahme von jenen Bemühungen einiges Licht; wir er¬
fahren, daß für eine heutige Neligionspartei die Untersuchung von Wichtigkeit
ist, ob Moses richtige oder unrichtige astronomische und geologische Vor¬
stellungen besessen und wir sehen mit Bedauern einen verdienstvollen Natur¬
forscher, mit einer gewissen Genugthuung eine anmaßende religiöse Partei sich
in die unglaublichsten Spitzfindigkeiten verrennen, um den naturwissenschaft¬
lichen Erwerb von Jahrtausenden in der ältesten Urkunde deS Menschengeschlechts
zu entdecken.

Der Verfasser behauptet zunächst, daß Moses seine Kenntniß von der
Schöpfungsgeschichte einer unmittelbaren göttlichen Offenbarung verdanke;
hiernach müßte ihm also Gott selbst in hebräischer Sprache daS Erforderliche
erzählt haben, — eine Vorstellung, die zwar schwierig, aber einmal üblich ist.
Er verlangt serner, daß deshalb die Naturforscher an der Uebereinstimmung
mit der mosaischen Schöpfungsgeschichte die Richtigkeit ihrer Untersuchungen
bemessen sollen; wir können nicht leugnen, daß uns das gegen die Unbefangen¬
heit seiner eignen, vorzugsweise neptunistischen Ansichten etwas mißtrauisch macht.
Eine andere Aeußerung erhöht noch dieses Mißtrauen; er findet nämlich den
Ausspruch des Kirchenvaters Augustinus sehr richtig, welcher sagt: „daran
müssen wir unzweifelhaft festhalten, daß wir zeigen, es sei unsern heiligen
Büchern nichts entgegen, was die Weisen der Welt über die Natur der Dinge
wahrhaft beweisen konnten u. s. w." und ferner: „aber eS möchte jemand sagen:


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[0198] Die gläubige Nlttnrsorschnng und die biblische Schöpfungsgeschichte. Andreas Wagner. Geschichte der Urwelt. Leipzig, 1857. 2. Auflage. Erster Theil. 530 Seiten. — Wir beabsichtigen nicht, eine Kritik oder eine Analyse des wissenschaftlichen Theils des angeführten Buches zu geben, sondern müssen das den natur¬ wissenschaftlichen Zeitschriften und den Geologen von Fach überlassen. Von allgemeinem Interesse scheint uns dagegen die „Vergleichung des mosaischen Schöpfungsberichts mit den Ergebnissen der Geologie" zu sein. An sich sind freilich die Bemühungen, die biblische Schöpfungsgeschichte mit den Lehren der Naturwissenschaft in Einklang zu setzen, von geringer Bedeutung; der un¬ befangene Leser der Bibel wird sich nicht einreden lassen, daß Moses tiefere Kenntniß der Natur besessen, als die unmittelbare Anschauung der Natur er¬ gibt und ebensowenig wird man einräumen können, daß dem religiösen und sittlichen Gehalte des alten Testamentes Abbruch geschieht, weil Moses das kopernikanische Weltsystem nicht, kannte oder weil die Traditionen von Noah daS Gepräge des Mythischen tragen. Aber auf die religiösen Bestrebungen unserer Zeit wirft die Kenntnißnahme von jenen Bemühungen einiges Licht; wir er¬ fahren, daß für eine heutige Neligionspartei die Untersuchung von Wichtigkeit ist, ob Moses richtige oder unrichtige astronomische und geologische Vor¬ stellungen besessen und wir sehen mit Bedauern einen verdienstvollen Natur¬ forscher, mit einer gewissen Genugthuung eine anmaßende religiöse Partei sich in die unglaublichsten Spitzfindigkeiten verrennen, um den naturwissenschaft¬ lichen Erwerb von Jahrtausenden in der ältesten Urkunde deS Menschengeschlechts zu entdecken. Der Verfasser behauptet zunächst, daß Moses seine Kenntniß von der Schöpfungsgeschichte einer unmittelbaren göttlichen Offenbarung verdanke; hiernach müßte ihm also Gott selbst in hebräischer Sprache daS Erforderliche erzählt haben, — eine Vorstellung, die zwar schwierig, aber einmal üblich ist. Er verlangt serner, daß deshalb die Naturforscher an der Uebereinstimmung mit der mosaischen Schöpfungsgeschichte die Richtigkeit ihrer Untersuchungen bemessen sollen; wir können nicht leugnen, daß uns das gegen die Unbefangen¬ heit seiner eignen, vorzugsweise neptunistischen Ansichten etwas mißtrauisch macht. Eine andere Aeußerung erhöht noch dieses Mißtrauen; er findet nämlich den Ausspruch des Kirchenvaters Augustinus sehr richtig, welcher sagt: „daran müssen wir unzweifelhaft festhalten, daß wir zeigen, es sei unsern heiligen Büchern nichts entgegen, was die Weisen der Welt über die Natur der Dinge wahrhaft beweisen konnten u. s. w." und ferner: „aber eS möchte jemand sagen:

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_104200/198>, abgerufen am 22.07.2024.