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Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. III. Band.

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sehr viel kann das Ausland zu der moralischen Wiedergeburt der Rumänen
beitragen; nicht strenge Rüge allein wirkt Gutes, obgleich auch die Rüge mit
wirken muß, die Hauptsache aber ist die Sympathie. . Reicht der Abendländer
theilnehmend seinen Brüdern an der Donau die Hand und lobt, was zu loben
ist, und hebt jeden neuen Sieg im Ringen mit der Vergangenheit liebevoll
hervor, dann ist das Gelingen gewiß!




Literatur.

Das alte Staatswesen und die Revolution. Von Tocqueville.
Deutsch von Arnold Boscowitz. Leipzig, Mendelssohn. ^ Im vierten Quartal
des vorigen Jahrgangs S. 254 haben wir bereits eine Anzeige dieses Werkes
gegeben. Wir kommen bei Gelegenheit der deutschen Uebersetzung daraus zurück,
weil wir überzeugt sind, daß das Werk in den ersten Rang der historischen Lite¬
ratur gehört. Schon durch seine Darstellung der amerikanischen Demokratie hatte
sich Tocqueville vor 20 Jahren ein dauerndes Verdienst um die französische Literatur
erworben. Er war der erste, der es wagte, gegen den Strom der öffentlichen
Meinung zu schwimmen, in den Einrichtungen, welche die Franzosen für die Quelle
ihrer Größe hielten, den Keim ihres Verderbens zu sehen, und die Fahne der
echten Freiheit gegen das Princip der Staatssouveranctät zu erheben, welches im
Laufe der ganzen französischen Geschichte immer größere Fortschritte gemacht und
endlich alle politische Gewalt in sich concentrirt hatte. Nur zu deutlich haben die
späteren Ereignisse gelehrt, wie richtig er gesehen. Es bricht eine von jenen
Plötzlichen Aufregungen aus, die bei den Franzosen wie eine periodische Krankheit
erscheinen, in der Aufregung setzen sich einige Journalisten an den Ort, wo die
Fäden der Staatsmaschine zusammenlaufen, und diese spinnen unter ihren Händen
weiter fort, als wären sie die rechtmäßigen Meister vom Platz. Nicht lange darauf,
und der Erbe eines großen Namens nimmt dieselbe Stelle ein, ohne eine größere
Schwierigkeit zu finden. Die höchsten Zwecke des Staates ändern sich bis zur Un¬
kenntlichkeit unter den verschiedenen Machthabern; aber die Maschine bleibt dieselbe,
und so lange man eine starke Hand fühlt, welche sich in diesem Triebwerke geltend
macht, läßt sich das leicht bewegliche Volk die Neuerung gefallen. In dem zu¬
friedenen Bewußtsein, daß sie, wenn ihnen die Sache zu arg wird, einen anderen
Locomotivführer an die Stelle setzen, denken sie nicht daran, eine Verbesserung der
Maschine selbst in Angriff zu nehmen.

Der einzige, der während jener unruhigen Jahre auf den letzten Grund der
Uebel hindeutete. Naudot, wurde nicht gehört; er hatte den Fehler begangen, zu
grelle Farben anzuwenden, und die Franzosen entzogen sich dem Eindrucke seiner
Wahrheiten, indem sie seine Uebertreibungen lächerlich machten. Zudem ist es
leichter, die Fehler aufzudecken, als Mittel der Abhilfe anzugeben. Was aber auch
die Gründe sein mögen -- die Centralisation des Staates ist jetzt schärfer ange-


sehr viel kann das Ausland zu der moralischen Wiedergeburt der Rumänen
beitragen; nicht strenge Rüge allein wirkt Gutes, obgleich auch die Rüge mit
wirken muß, die Hauptsache aber ist die Sympathie. . Reicht der Abendländer
theilnehmend seinen Brüdern an der Donau die Hand und lobt, was zu loben
ist, und hebt jeden neuen Sieg im Ringen mit der Vergangenheit liebevoll
hervor, dann ist das Gelingen gewiß!




Literatur.

Das alte Staatswesen und die Revolution. Von Tocqueville.
Deutsch von Arnold Boscowitz. Leipzig, Mendelssohn. ^ Im vierten Quartal
des vorigen Jahrgangs S. 254 haben wir bereits eine Anzeige dieses Werkes
gegeben. Wir kommen bei Gelegenheit der deutschen Uebersetzung daraus zurück,
weil wir überzeugt sind, daß das Werk in den ersten Rang der historischen Lite¬
ratur gehört. Schon durch seine Darstellung der amerikanischen Demokratie hatte
sich Tocqueville vor 20 Jahren ein dauerndes Verdienst um die französische Literatur
erworben. Er war der erste, der es wagte, gegen den Strom der öffentlichen
Meinung zu schwimmen, in den Einrichtungen, welche die Franzosen für die Quelle
ihrer Größe hielten, den Keim ihres Verderbens zu sehen, und die Fahne der
echten Freiheit gegen das Princip der Staatssouveranctät zu erheben, welches im
Laufe der ganzen französischen Geschichte immer größere Fortschritte gemacht und
endlich alle politische Gewalt in sich concentrirt hatte. Nur zu deutlich haben die
späteren Ereignisse gelehrt, wie richtig er gesehen. Es bricht eine von jenen
Plötzlichen Aufregungen aus, die bei den Franzosen wie eine periodische Krankheit
erscheinen, in der Aufregung setzen sich einige Journalisten an den Ort, wo die
Fäden der Staatsmaschine zusammenlaufen, und diese spinnen unter ihren Händen
weiter fort, als wären sie die rechtmäßigen Meister vom Platz. Nicht lange darauf,
und der Erbe eines großen Namens nimmt dieselbe Stelle ein, ohne eine größere
Schwierigkeit zu finden. Die höchsten Zwecke des Staates ändern sich bis zur Un¬
kenntlichkeit unter den verschiedenen Machthabern; aber die Maschine bleibt dieselbe,
und so lange man eine starke Hand fühlt, welche sich in diesem Triebwerke geltend
macht, läßt sich das leicht bewegliche Volk die Neuerung gefallen. In dem zu¬
friedenen Bewußtsein, daß sie, wenn ihnen die Sache zu arg wird, einen anderen
Locomotivführer an die Stelle setzen, denken sie nicht daran, eine Verbesserung der
Maschine selbst in Angriff zu nehmen.

Der einzige, der während jener unruhigen Jahre auf den letzten Grund der
Uebel hindeutete. Naudot, wurde nicht gehört; er hatte den Fehler begangen, zu
grelle Farben anzuwenden, und die Franzosen entzogen sich dem Eindrucke seiner
Wahrheiten, indem sie seine Uebertreibungen lächerlich machten. Zudem ist es
leichter, die Fehler aufzudecken, als Mittel der Abhilfe anzugeben. Was aber auch
die Gründe sein mögen — die Centralisation des Staates ist jetzt schärfer ange-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_104200/165>, abgerufen am 29.06.2024.