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Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. III. Band.

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weisen, deren Urheber eigentlich Kandidaten für das Zuchthaus sind. Damit
aber die "Speculation" an und für sich verurtheilen, heißt noch mehr als daS
Kind mit dem Bade ausschütten. Ohne kaufmännische und gewerbliche Spe¬
culation, die so wenig Betrug zu sein braucht, wie jede einzelne Verkehrshand¬
lung nicht nothwendigerweise auf Uebervortheilung zurückgeführt werden darf,
ohne solche Speculation würden Verkehr und Production bald genug erlahmen,
zur größten Beschwerde für alle Consumenten. -- Trotz dieser und mancher
anderer Ausstellungen ist das Buch doch jedenfalls lesbar und interessant genug.




Ein Voltairianer des 19. Jahrhunderts.

In der poetischen Schule der Restauration, welche deu Classicismus der
französischen Akademie und die conventionelle Form der Kaiserzeit bekämpfte,
muß man zwei sehr verschiedene Momente unterscheiden. Während die einen
Dichter sich bemühten, dem Herzen zu seinem Recht zu verhelfen, die Nation
mit den Freuden des Glaubens, des Enthusiasmus, der Begeisterung zu
durchdringen und so jenen Mechanismus des mathematischen Nützlichkeits¬
systems zu durchbrechen, welchen Napoleon ausschließlich gelten ließ, bekämpf¬
ten andere denselben Feind durch die Waffe der Ironie, welche Voltaire zu
andern Zwecken so glücklich gehandhabt hatte. Dort finden wir Chateaubriand,
Frau v. Stael, Lamartine, hier Robler, Morin^e und den Schriftsteller, der
uns heute beschäftigt.' Trotz deS Widerspruchs in den Motiven kamen beide
Gruppen in ihrem Zweck überein, und der Dichter, dessen Porträt wir vor
einiger Zeit gegeben haben, Alfred de Müsset, zeigt, daß sie sich zuweilen
auch in derselben Individualität vereinigen können.

Beyle hat während seines Lebens ebensowenig Anklang gefunden, als
sein nächster Vorgänger Delatouche. Er wußte es und fand es sehr begreiflich,
denn daS Verständniß sei nur für wenige Auserwählte. Einen seiner Romane
widmete er de> tue Kapp? fe^. Aber glücklicher als Delatouche, dem er auch
darin glich, daß er gern ein Jncognito suchte (Stendhal war sein gewöhnliches
Pseudonym, doch versteckte er sich auch hinter viele andere Namen, selbst in
seinen Briefen, angeblich aus Furcht vor der Polizei), fand er einen kleinen
Kreis von Bewunderern, die ihn nach seinem Tode feierten. Als 1862 seine
sämmtlichen Werke herausgegeben wurden, wetteiferte die Presse, ihn als einen
der größten Schriftsteller Frankreichs darzustellen. Zum Theil war daS Ca-
meraderie, zum Theil natürliche Reaction gegen den Schwulst und das falsche
Pathos, mit welchem die Modedichter das Publicum überschüttet hatten. Man


weisen, deren Urheber eigentlich Kandidaten für das Zuchthaus sind. Damit
aber die „Speculation" an und für sich verurtheilen, heißt noch mehr als daS
Kind mit dem Bade ausschütten. Ohne kaufmännische und gewerbliche Spe¬
culation, die so wenig Betrug zu sein braucht, wie jede einzelne Verkehrshand¬
lung nicht nothwendigerweise auf Uebervortheilung zurückgeführt werden darf,
ohne solche Speculation würden Verkehr und Production bald genug erlahmen,
zur größten Beschwerde für alle Consumenten. — Trotz dieser und mancher
anderer Ausstellungen ist das Buch doch jedenfalls lesbar und interessant genug.




Ein Voltairianer des 19. Jahrhunderts.

In der poetischen Schule der Restauration, welche deu Classicismus der
französischen Akademie und die conventionelle Form der Kaiserzeit bekämpfte,
muß man zwei sehr verschiedene Momente unterscheiden. Während die einen
Dichter sich bemühten, dem Herzen zu seinem Recht zu verhelfen, die Nation
mit den Freuden des Glaubens, des Enthusiasmus, der Begeisterung zu
durchdringen und so jenen Mechanismus des mathematischen Nützlichkeits¬
systems zu durchbrechen, welchen Napoleon ausschließlich gelten ließ, bekämpf¬
ten andere denselben Feind durch die Waffe der Ironie, welche Voltaire zu
andern Zwecken so glücklich gehandhabt hatte. Dort finden wir Chateaubriand,
Frau v. Stael, Lamartine, hier Robler, Morin^e und den Schriftsteller, der
uns heute beschäftigt.' Trotz deS Widerspruchs in den Motiven kamen beide
Gruppen in ihrem Zweck überein, und der Dichter, dessen Porträt wir vor
einiger Zeit gegeben haben, Alfred de Müsset, zeigt, daß sie sich zuweilen
auch in derselben Individualität vereinigen können.

Beyle hat während seines Lebens ebensowenig Anklang gefunden, als
sein nächster Vorgänger Delatouche. Er wußte es und fand es sehr begreiflich,
denn daS Verständniß sei nur für wenige Auserwählte. Einen seiner Romane
widmete er de> tue Kapp? fe^. Aber glücklicher als Delatouche, dem er auch
darin glich, daß er gern ein Jncognito suchte (Stendhal war sein gewöhnliches
Pseudonym, doch versteckte er sich auch hinter viele andere Namen, selbst in
seinen Briefen, angeblich aus Furcht vor der Polizei), fand er einen kleinen
Kreis von Bewunderern, die ihn nach seinem Tode feierten. Als 1862 seine
sämmtlichen Werke herausgegeben wurden, wetteiferte die Presse, ihn als einen
der größten Schriftsteller Frankreichs darzustellen. Zum Theil war daS Ca-
meraderie, zum Theil natürliche Reaction gegen den Schwulst und das falsche
Pathos, mit welchem die Modedichter das Publicum überschüttet hatten. Man


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_104200/108>, abgerufen am 29.06.2024.