Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, I. Semester. II. Band.Neue Dichtungen. Die alte gute Sitte der Taschenbücher ist fast ganz ausgestorben, und Grenzboten. II. 1
Neue Dichtungen. Die alte gute Sitte der Taschenbücher ist fast ganz ausgestorben, und Grenzboten. II. 1
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Neue Dichtungen.
Die alte gute Sitte der Taschenbücher ist fast ganz ausgestorben, und
wir wären damit zufrieden, wenn die Zersplitterung künstlerischer Werke in
periodischen Mittheilungen überhaupt aufgehört hätte; aber wenn sich die Ro¬
mane aus dem Taschenbuch in das Feuilleton einer Tageszeitung übertragen,
so ist das gewiß kein Fortschritt, denn bei dem zerstreuten Arbeiten, bei der
beständigen Speculation auf den einzelnen Effect hört alles künstlerische Schaffen
auf. Wir Deutschen, die wir keinen natürlichen Mittelpunkt des Lebens haben,
brauchen noch immer einen künstlichen, und ein Taschenbuch von altem Renom¬
mee, welches in der Auswahl seiner Mittheilungen mit einiger Sorgfalt zu
Werke ging, und dem man das Erste Beste gar nicht anbot, ein Taschenbuch,
wie die frühere Urania, ist nicht das schlechteste Mittel, diese Einheit herzu¬
stellen. , Wir machen diese Bemerkungen bei Gelegenheit eines neuen Versuchs
der Art: Jahrbuch deutscher Belletristik auf 1857. Herausgegeben von
Siegfried Kapper. Mit dem Bildniß Ein. Geibels. Prag, Bellmann. —
Der Verfasser hat sich aus dem Gebiet der Reiseliteratur als tüchtiger Schrift¬
steller bewährt (als Lyriker ist er freilich nicht glücklich, wie die mitgetheilten
Gedichte beweisen), und unter den Schriftstellern, die er gewonnen hat, treten
viele beliebte Namen hervor. Der Inhalt des vorliegenden Hefts ist nicht
grade bedeutend, aber er steht wenigstens auf dem Niveau der allgemeinen
Kunstleistung. Das meiste Interesse erregen zwei dramatische Fragmente von
Geibel und Hebbel. Beide behandeln das nämliche Thema, die Nibelungen-
sage, das zuerst von Fouque dramatisch bearbeitet wurde und in neuerer Zeit
sowol Dorn als R. Wagner Stoff zu einem Operntert gegeben hat. Es ist
mißlich genug, einen epischen Stoff auf die Bühne bringen zu wollen, der in
der ursprünglichen Form glänzend bearbeitet war, und in dem sich ein großer
Theil der Motive dramatisch nicht verständlich machen läßt; indeß ist es doch
interessant, zu sehen, was talentvolle Dichter aus dem Stoff machen. Hebbel
hat sich auch dies Mal bemüht, dem Stoff einen so realistischen Anstrich als
möglich zu geben. Es fehlt nicht an epigrammatischen Wendungen, und
Siegfried ist ganz der ungeberdige Klopffechter im ersten Stadium der Jugend,
wie wir ihn weniger aus dem Nibelungenlied als aus den Volksliedern kennen.
Mitunter macht diese naturwüchsige Jugend einen komischen Eindruck.
Grenzboten. II. 1
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