Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, I. Semester. II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite
Ein Gang durch Trieft.

Zu den angenehmsten Ueberraschungen, welche die von Wien nach dem
Süden hinabführenden Straßen bieten, gehört die, welche dem aus Kärnthen
nach dem Nordostende des adriatischen Meeres Reisenden wird, wenn er bei
der großen Säule von Optschina vom Rande des Karst in die Tiefe blickt.

Die letzten Stunden ließen ihn eine Landschaft sehen, welche zu den
unfreundlichster der Welt zählt und aus lange Strecken hin fast ganz zur
Wüste wird. Eine dürre, mit grauen Kalksteinblöcken besäete Hochfläche,
durch die sich öde Hügelkämme winden, der düstre NanoS, auf dessen Gipfel
den größern Theil des Jahres hindurch die Wolken lagern, in denen die
grausame Bor" wohnt, zahlreiche trichterförmige Bodensenkungen, bisweilen
ein Stück Haide, hier und da ein dürftiger Wald von Eichen, mitunter ein
schmaler Streifen Ackerfeld mit Mais bepflanzt, ein Dorf oder Flecken mit
kleinen Häusern von italienischer Bauart, umgeben mit Weingärten, deren
Reben an Stangen hinkriechend Lauben bilden, da und dort ein Baum, um¬
rankt mit Epheu, überall jene aus unbehauenen Feldsteinen zusammengeschich¬
teten Einfriedigungen, welche der Landschaft das Aussehen einer ungeheuern.
Ruine verleihen, beinahe überall Zerklüftung und Zerrüttung, kahle mißfar¬
bige Armuth und hoffnungslose Unwirthlichkeit -- das waren die Bilder, die
!hin von Präwald an im Rahmen des Postwagenfensters erschienen, und es
ist begreiflich, wenn er es zuletzt vorzog, statt der Gegend die Wölkchen sei¬
ner Cigarre zu betrachten.

Da weckt ihn aus dieser nothgedrungenen Beschaulichkeit die Hand des
Reisegefährten, der den Punkt kennt, und er findet Ursache, dem Wecker dank¬
bar zu sein.

Unter ihm in einer Tiefe von mehr als tausend Fuß breitet sich, umgeben
von zahllosen großen und kleinen Landhäusern, die in Gärten und Gebüschen
an dem schroffen AbHange liegen, überragt von der Citadelle, am Gestade
einer schöngeformten Bucht das weiße, lachende Trieft aus, nach dem sich
nun die Straße zwischen Oliven- und Weinpflanzungen hinabwindet. Links
sendet sich zwischen grauen Bergen eine andere Bucht, die von Muggia, land¬
einwärts, rechts erscheinen in der Ferne über der Fläche von Aquileja die Fels¬
häupter der karnischen Alpen mit ihren Schneekronen, im Süden jenseit des
Mastenwaldes, der die Hafendamme und Molen umsäumt, dehnt'sich, durch¬
furcht von Segelschiffen, Dampfern und Fischerböten, in der Nähe dunkelblau,
dann lichter, endlich mit dem Himmel in Eins verschwimmend, das Meer aus.
Der Contrast >trägt unzweifelhaft viel zur Wirkung des Bildes bei, allein auch


Ein Gang durch Trieft.

Zu den angenehmsten Ueberraschungen, welche die von Wien nach dem
Süden hinabführenden Straßen bieten, gehört die, welche dem aus Kärnthen
nach dem Nordostende des adriatischen Meeres Reisenden wird, wenn er bei
der großen Säule von Optschina vom Rande des Karst in die Tiefe blickt.

Die letzten Stunden ließen ihn eine Landschaft sehen, welche zu den
unfreundlichster der Welt zählt und aus lange Strecken hin fast ganz zur
Wüste wird. Eine dürre, mit grauen Kalksteinblöcken besäete Hochfläche,
durch die sich öde Hügelkämme winden, der düstre NanoS, auf dessen Gipfel
den größern Theil des Jahres hindurch die Wolken lagern, in denen die
grausame Bor« wohnt, zahlreiche trichterförmige Bodensenkungen, bisweilen
ein Stück Haide, hier und da ein dürftiger Wald von Eichen, mitunter ein
schmaler Streifen Ackerfeld mit Mais bepflanzt, ein Dorf oder Flecken mit
kleinen Häusern von italienischer Bauart, umgeben mit Weingärten, deren
Reben an Stangen hinkriechend Lauben bilden, da und dort ein Baum, um¬
rankt mit Epheu, überall jene aus unbehauenen Feldsteinen zusammengeschich¬
teten Einfriedigungen, welche der Landschaft das Aussehen einer ungeheuern.
Ruine verleihen, beinahe überall Zerklüftung und Zerrüttung, kahle mißfar¬
bige Armuth und hoffnungslose Unwirthlichkeit — das waren die Bilder, die
!hin von Präwald an im Rahmen des Postwagenfensters erschienen, und es
ist begreiflich, wenn er es zuletzt vorzog, statt der Gegend die Wölkchen sei¬
ner Cigarre zu betrachten.

Da weckt ihn aus dieser nothgedrungenen Beschaulichkeit die Hand des
Reisegefährten, der den Punkt kennt, und er findet Ursache, dem Wecker dank¬
bar zu sein.

Unter ihm in einer Tiefe von mehr als tausend Fuß breitet sich, umgeben
von zahllosen großen und kleinen Landhäusern, die in Gärten und Gebüschen
an dem schroffen AbHange liegen, überragt von der Citadelle, am Gestade
einer schöngeformten Bucht das weiße, lachende Trieft aus, nach dem sich
nun die Straße zwischen Oliven- und Weinpflanzungen hinabwindet. Links
sendet sich zwischen grauen Bergen eine andere Bucht, die von Muggia, land¬
einwärts, rechts erscheinen in der Ferne über der Fläche von Aquileja die Fels¬
häupter der karnischen Alpen mit ihren Schneekronen, im Süden jenseit des
Mastenwaldes, der die Hafendamme und Molen umsäumt, dehnt'sich, durch¬
furcht von Segelschiffen, Dampfern und Fischerböten, in der Nähe dunkelblau,
dann lichter, endlich mit dem Himmel in Eins verschwimmend, das Meer aus.
Der Contrast >trägt unzweifelhaft viel zur Wirkung des Bildes bei, allein auch


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0343" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/104010"/>
        </div>
        <div n="1">
          <head> Ein Gang durch Trieft.</head><lb/>
          <p xml:id="ID_976"> Zu den angenehmsten Ueberraschungen, welche die von Wien nach dem<lb/>
Süden hinabführenden Straßen bieten, gehört die, welche dem aus Kärnthen<lb/>
nach dem Nordostende des adriatischen Meeres Reisenden wird, wenn er bei<lb/>
der großen Säule von Optschina vom Rande des Karst in die Tiefe blickt.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_977"> Die letzten Stunden ließen ihn eine Landschaft sehen, welche zu den<lb/>
unfreundlichster der Welt zählt und aus lange Strecken hin fast ganz zur<lb/>
Wüste wird. Eine dürre, mit grauen Kalksteinblöcken besäete Hochfläche,<lb/>
durch die sich öde Hügelkämme winden, der düstre NanoS, auf dessen Gipfel<lb/>
den größern Theil des Jahres hindurch die Wolken lagern, in denen die<lb/>
grausame Bor« wohnt, zahlreiche trichterförmige Bodensenkungen, bisweilen<lb/>
ein Stück Haide, hier und da ein dürftiger Wald von Eichen, mitunter ein<lb/>
schmaler Streifen Ackerfeld mit Mais bepflanzt, ein Dorf oder Flecken mit<lb/>
kleinen Häusern von italienischer Bauart, umgeben mit Weingärten, deren<lb/>
Reben an Stangen hinkriechend Lauben bilden, da und dort ein Baum, um¬<lb/>
rankt mit Epheu, überall jene aus unbehauenen Feldsteinen zusammengeschich¬<lb/>
teten Einfriedigungen, welche der Landschaft das Aussehen einer ungeheuern.<lb/>
Ruine verleihen, beinahe überall Zerklüftung und Zerrüttung, kahle mißfar¬<lb/>
bige Armuth und hoffnungslose Unwirthlichkeit &#x2014; das waren die Bilder, die<lb/>
!hin von Präwald an im Rahmen des Postwagenfensters erschienen, und es<lb/>
ist begreiflich, wenn er es zuletzt vorzog, statt der Gegend die Wölkchen sei¬<lb/>
ner Cigarre zu betrachten.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_978"> Da weckt ihn aus dieser nothgedrungenen Beschaulichkeit die Hand des<lb/>
Reisegefährten, der den Punkt kennt, und er findet Ursache, dem Wecker dank¬<lb/>
bar zu sein.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_979" next="#ID_980"> Unter ihm in einer Tiefe von mehr als tausend Fuß breitet sich, umgeben<lb/>
von zahllosen großen und kleinen Landhäusern, die in Gärten und Gebüschen<lb/>
an dem schroffen AbHange liegen, überragt von der Citadelle, am Gestade<lb/>
einer schöngeformten Bucht das weiße, lachende Trieft aus, nach dem sich<lb/>
nun die Straße zwischen Oliven- und Weinpflanzungen hinabwindet. Links<lb/>
sendet sich zwischen grauen Bergen eine andere Bucht, die von Muggia, land¬<lb/>
einwärts, rechts erscheinen in der Ferne über der Fläche von Aquileja die Fels¬<lb/>
häupter der karnischen Alpen mit ihren Schneekronen, im Süden jenseit des<lb/>
Mastenwaldes, der die Hafendamme und Molen umsäumt, dehnt'sich, durch¬<lb/>
furcht von Segelschiffen, Dampfern und Fischerböten, in der Nähe dunkelblau,<lb/>
dann lichter, endlich mit dem Himmel in Eins verschwimmend, das Meer aus.<lb/>
Der Contrast &gt;trägt unzweifelhaft viel zur Wirkung des Bildes bei, allein auch</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0343] Ein Gang durch Trieft. Zu den angenehmsten Ueberraschungen, welche die von Wien nach dem Süden hinabführenden Straßen bieten, gehört die, welche dem aus Kärnthen nach dem Nordostende des adriatischen Meeres Reisenden wird, wenn er bei der großen Säule von Optschina vom Rande des Karst in die Tiefe blickt. Die letzten Stunden ließen ihn eine Landschaft sehen, welche zu den unfreundlichster der Welt zählt und aus lange Strecken hin fast ganz zur Wüste wird. Eine dürre, mit grauen Kalksteinblöcken besäete Hochfläche, durch die sich öde Hügelkämme winden, der düstre NanoS, auf dessen Gipfel den größern Theil des Jahres hindurch die Wolken lagern, in denen die grausame Bor« wohnt, zahlreiche trichterförmige Bodensenkungen, bisweilen ein Stück Haide, hier und da ein dürftiger Wald von Eichen, mitunter ein schmaler Streifen Ackerfeld mit Mais bepflanzt, ein Dorf oder Flecken mit kleinen Häusern von italienischer Bauart, umgeben mit Weingärten, deren Reben an Stangen hinkriechend Lauben bilden, da und dort ein Baum, um¬ rankt mit Epheu, überall jene aus unbehauenen Feldsteinen zusammengeschich¬ teten Einfriedigungen, welche der Landschaft das Aussehen einer ungeheuern. Ruine verleihen, beinahe überall Zerklüftung und Zerrüttung, kahle mißfar¬ bige Armuth und hoffnungslose Unwirthlichkeit — das waren die Bilder, die !hin von Präwald an im Rahmen des Postwagenfensters erschienen, und es ist begreiflich, wenn er es zuletzt vorzog, statt der Gegend die Wölkchen sei¬ ner Cigarre zu betrachten. Da weckt ihn aus dieser nothgedrungenen Beschaulichkeit die Hand des Reisegefährten, der den Punkt kennt, und er findet Ursache, dem Wecker dank¬ bar zu sein. Unter ihm in einer Tiefe von mehr als tausend Fuß breitet sich, umgeben von zahllosen großen und kleinen Landhäusern, die in Gärten und Gebüschen an dem schroffen AbHange liegen, überragt von der Citadelle, am Gestade einer schöngeformten Bucht das weiße, lachende Trieft aus, nach dem sich nun die Straße zwischen Oliven- und Weinpflanzungen hinabwindet. Links sendet sich zwischen grauen Bergen eine andere Bucht, die von Muggia, land¬ einwärts, rechts erscheinen in der Ferne über der Fläche von Aquileja die Fels¬ häupter der karnischen Alpen mit ihren Schneekronen, im Süden jenseit des Mastenwaldes, der die Hafendamme und Molen umsäumt, dehnt'sich, durch¬ furcht von Segelschiffen, Dampfern und Fischerböten, in der Nähe dunkelblau, dann lichter, endlich mit dem Himmel in Eins verschwimmend, das Meer aus. Der Contrast >trägt unzweifelhaft viel zur Wirkung des Bildes bei, allein auch

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_103666
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_103666/343
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_103666/343>, abgerufen am 01.09.2024.