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Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, II. Semester. IV. Band.

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Das Leben Wilhelms von Humboldt, von R. Hrym.

(Wilhelm von Humboldt. Lebensbild und Charakteristik von R. Haym. Berlin,
N. Gärtner. 1856). --

Daß der große Mann einen Biographen gesunden hat, der in wahrhaft
einziger Weise das Talent besaß, grade ein solches Leben- darzustellen, dafür
müssen wir dein Schicksal aus mehren Gründen besonders dankbar sein. Einem
bedeutenden Leben bis in das Detail nachzugehen und dasselbe in der Schrift
so zu gestalten, daß uns Wesen und Gestalt deS Geschilderten mit höchster
Wahrheit und Anschaulichkeit aufgehen, ist wol die schwerste Aufgabe des
Geschichtschreibers. Und vielleicht ist noch weniger schwer, das Verständniß
des dargestellten Lebens zu geben, als den geschilderten Helden uns grade so
, lieb zu machen, wie wir ihn haben dürfen. Denn Geist, Wissen und Dar¬
stellungskunst, wieselten sie auch gut verbunden sind, finden sich bei einem Er¬
zähler immer noch öfter zusammen, als die männliche Kraft, welche dem bewun¬
derten Helden gegenüber Selbstständigkeit und Unbefangenheit deS eignen Urtheils
M erhalten weiß, und als daS feine Zartgefühl, welches in richtiger Weise
zu ehren und zu schonen weiß, auch wo es übersieht und verurtheilt.

Der Biograph soll seinen Mann mit den Eigenthümlichkeiten der Natur
und Zeit desselben darstellen, die Beleuchtung aber, in welcher er uns das
fremdartige Bild nahe bringt, muß aus dem Licht unseres Lebens, aus dem
politischen, künstlerischen, sittlichen Inhalt unsrer Zeit hergenommen sein. Je
größer, edler und sicherer der Biograph seine eigne Zeit erfaßt, desto wahrer
wird auch seine Darstellung eines vergangenen Lebens werden. Eine Objek¬
tivität, welche den Menschen nur in dem Lichte seiner Zeit schildert, ist un¬
möglich, denn wie sehr der Historiker das eigne Urtheil zurückdränge, es bricht
überall durch, in der Auffassung der Thatsachen, in der Methode der Erzählung,
zuletzt sogar in der Sprache. Dies alles ist leicht zu verstehn und wird nur
selten bezweifelt. Schwerer aber ist ein andrer Uebelstand zu überwinden. Der
-Biograph hat das Recht und die Pflicht, uns seinen Helden interessant und
werth zu machen, vor allem uns von seiner Bedeutung und Tüchtigkeit die
volle Empfindung zu geben, und doch soll er zu gleicher Zeit ihn recensiren,
Vielleicht verurtheilen. Ja noch mehr. Die Biographie soll ein wahres Ab-


Grenzbote". III. I8ö6> 11
Das Leben Wilhelms von Humboldt, von R. Hrym.

(Wilhelm von Humboldt. Lebensbild und Charakteristik von R. Haym. Berlin,
N. Gärtner. 1856). —

Daß der große Mann einen Biographen gesunden hat, der in wahrhaft
einziger Weise das Talent besaß, grade ein solches Leben- darzustellen, dafür
müssen wir dein Schicksal aus mehren Gründen besonders dankbar sein. Einem
bedeutenden Leben bis in das Detail nachzugehen und dasselbe in der Schrift
so zu gestalten, daß uns Wesen und Gestalt deS Geschilderten mit höchster
Wahrheit und Anschaulichkeit aufgehen, ist wol die schwerste Aufgabe des
Geschichtschreibers. Und vielleicht ist noch weniger schwer, das Verständniß
des dargestellten Lebens zu geben, als den geschilderten Helden uns grade so
, lieb zu machen, wie wir ihn haben dürfen. Denn Geist, Wissen und Dar¬
stellungskunst, wieselten sie auch gut verbunden sind, finden sich bei einem Er¬
zähler immer noch öfter zusammen, als die männliche Kraft, welche dem bewun¬
derten Helden gegenüber Selbstständigkeit und Unbefangenheit deS eignen Urtheils
M erhalten weiß, und als daS feine Zartgefühl, welches in richtiger Weise
zu ehren und zu schonen weiß, auch wo es übersieht und verurtheilt.

Der Biograph soll seinen Mann mit den Eigenthümlichkeiten der Natur
und Zeit desselben darstellen, die Beleuchtung aber, in welcher er uns das
fremdartige Bild nahe bringt, muß aus dem Licht unseres Lebens, aus dem
politischen, künstlerischen, sittlichen Inhalt unsrer Zeit hergenommen sein. Je
größer, edler und sicherer der Biograph seine eigne Zeit erfaßt, desto wahrer
wird auch seine Darstellung eines vergangenen Lebens werden. Eine Objek¬
tivität, welche den Menschen nur in dem Lichte seiner Zeit schildert, ist un¬
möglich, denn wie sehr der Historiker das eigne Urtheil zurückdränge, es bricht
überall durch, in der Auffassung der Thatsachen, in der Methode der Erzählung,
zuletzt sogar in der Sprache. Dies alles ist leicht zu verstehn und wird nur
selten bezweifelt. Schwerer aber ist ein andrer Uebelstand zu überwinden. Der
-Biograph hat das Recht und die Pflicht, uns seinen Helden interessant und
werth zu machen, vor allem uns von seiner Bedeutung und Tüchtigkeit die
volle Empfindung zu geben, und doch soll er zu gleicher Zeit ihn recensiren,
Vielleicht verurtheilen. Ja noch mehr. Die Biographie soll ein wahres Ab-


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[0089] Das Leben Wilhelms von Humboldt, von R. Hrym. (Wilhelm von Humboldt. Lebensbild und Charakteristik von R. Haym. Berlin, N. Gärtner. 1856). — Daß der große Mann einen Biographen gesunden hat, der in wahrhaft einziger Weise das Talent besaß, grade ein solches Leben- darzustellen, dafür müssen wir dein Schicksal aus mehren Gründen besonders dankbar sein. Einem bedeutenden Leben bis in das Detail nachzugehen und dasselbe in der Schrift so zu gestalten, daß uns Wesen und Gestalt deS Geschilderten mit höchster Wahrheit und Anschaulichkeit aufgehen, ist wol die schwerste Aufgabe des Geschichtschreibers. Und vielleicht ist noch weniger schwer, das Verständniß des dargestellten Lebens zu geben, als den geschilderten Helden uns grade so , lieb zu machen, wie wir ihn haben dürfen. Denn Geist, Wissen und Dar¬ stellungskunst, wieselten sie auch gut verbunden sind, finden sich bei einem Er¬ zähler immer noch öfter zusammen, als die männliche Kraft, welche dem bewun¬ derten Helden gegenüber Selbstständigkeit und Unbefangenheit deS eignen Urtheils M erhalten weiß, und als daS feine Zartgefühl, welches in richtiger Weise zu ehren und zu schonen weiß, auch wo es übersieht und verurtheilt. Der Biograph soll seinen Mann mit den Eigenthümlichkeiten der Natur und Zeit desselben darstellen, die Beleuchtung aber, in welcher er uns das fremdartige Bild nahe bringt, muß aus dem Licht unseres Lebens, aus dem politischen, künstlerischen, sittlichen Inhalt unsrer Zeit hergenommen sein. Je größer, edler und sicherer der Biograph seine eigne Zeit erfaßt, desto wahrer wird auch seine Darstellung eines vergangenen Lebens werden. Eine Objek¬ tivität, welche den Menschen nur in dem Lichte seiner Zeit schildert, ist un¬ möglich, denn wie sehr der Historiker das eigne Urtheil zurückdränge, es bricht überall durch, in der Auffassung der Thatsachen, in der Methode der Erzählung, zuletzt sogar in der Sprache. Dies alles ist leicht zu verstehn und wird nur selten bezweifelt. Schwerer aber ist ein andrer Uebelstand zu überwinden. Der -Biograph hat das Recht und die Pflicht, uns seinen Helden interessant und werth zu machen, vor allem uns von seiner Bedeutung und Tüchtigkeit die volle Empfindung zu geben, und doch soll er zu gleicher Zeit ihn recensiren, Vielleicht verurtheilen. Ja noch mehr. Die Biographie soll ein wahres Ab- Grenzbote». III. I8ö6> 11

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341584_102594/89>, abgerufen am 23.07.2024.