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Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, II. Semester. IV. Band.

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Bilder ans der deutschen Vergangenheit.
Die Schlesier und ihr toller Herzog Heinrich.
1.

Unter den großen Ereignissen des mächtigen 13. Jahrhunderts wird die
größte That des deutschen Volkes noch zu wenig verstanden: me wunderbar
schnelle Germanisirung der Slawenländer im Osten der Elbe. Eine Auswan¬
derung deutscher Herren und Arbeiter in viel großartigerem Maßstabe, als wir
jetzt nach Amerika geschehen lassen, hat in etwa hundert Jahren e.n werdes
Ländergebiet mit vielen Hunderten deutscher Städte und mehren tausend
deutschen Dörfern besetzt und zum großen Theil fest an Deutschland angekettet.
Fast der ganze östliche Theil deS preußischen Staats liegt aus dem Termin
der Colonisation deS 13. Jahrhunderts.

In diesem großen Jahrhundert aber fällt Schwung und Blüte deS Lebens
in Deutschland mit der Einströmung deutscher Volkskraft in die Slawenlander
nicht genau zusammen. Die Begeisterung der Kreuzzüge, der Glanz der Hohen-
staufeuherrschaft, der kurze Idealismus des deutschen Ritterlebens, die stärkste
Kraft in deutscher Kunst gehören dem Ende des 12. und dem Anfange deS
13. Jahrhunderts; die Germanisirung der Slawengrenze geschieht mit der größten
Energie in der zweiten Hälfte des Jahrhunderts. In dieser Zeit wurden die
Neumark und Preußen erobert, die eroberte Lausitz colonistrt, ebenso Mecklen¬
burg, Pommern, Rügen, und'nicht am wenigsten auffallend Schlesien. Denn
während in den meisten Slawenländern die eiserne Faust der Eroberer das
frühere Volksleben vernichtete und durch Gewalt dem Lande das deutsche
Wesen aufzwang, wurde Schlesien der Mittelpunkt einer friedlichen, geräusch¬
losen Colonisation, welche ihre Wirkungen weit über die Grenzen der großen
Landschaft hinaus nach Osten äußerte.

Wir vermögen nicht mehr nachzuweisen, wie damals in der Seele des
deutschen Volkes die Auswanderungslust zu einer mächtigen Leidenschaft er¬
wachsen ist. Allerdings hatten die Römerzuge der Hohenstaufen und noch mehr
die Kreuzfahrten die Masse in ihren Tiefen aufgewühlt und unruhig, wander¬
lustig, nach Fremdem begierig gemachr, auch war das Leben im innern
Deutschland im Laufe deS Jahrhunderts für den friedlichen Arbeiter gefahrvoll


Grenzboten. IV. 18os.
Bilder ans der deutschen Vergangenheit.
Die Schlesier und ihr toller Herzog Heinrich.
1.

Unter den großen Ereignissen des mächtigen 13. Jahrhunderts wird die
größte That des deutschen Volkes noch zu wenig verstanden: me wunderbar
schnelle Germanisirung der Slawenländer im Osten der Elbe. Eine Auswan¬
derung deutscher Herren und Arbeiter in viel großartigerem Maßstabe, als wir
jetzt nach Amerika geschehen lassen, hat in etwa hundert Jahren e.n werdes
Ländergebiet mit vielen Hunderten deutscher Städte und mehren tausend
deutschen Dörfern besetzt und zum großen Theil fest an Deutschland angekettet.
Fast der ganze östliche Theil deS preußischen Staats liegt aus dem Termin
der Colonisation deS 13. Jahrhunderts.

In diesem großen Jahrhundert aber fällt Schwung und Blüte deS Lebens
in Deutschland mit der Einströmung deutscher Volkskraft in die Slawenlander
nicht genau zusammen. Die Begeisterung der Kreuzzüge, der Glanz der Hohen-
staufeuherrschaft, der kurze Idealismus des deutschen Ritterlebens, die stärkste
Kraft in deutscher Kunst gehören dem Ende des 12. und dem Anfange deS
13. Jahrhunderts; die Germanisirung der Slawengrenze geschieht mit der größten
Energie in der zweiten Hälfte des Jahrhunderts. In dieser Zeit wurden die
Neumark und Preußen erobert, die eroberte Lausitz colonistrt, ebenso Mecklen¬
burg, Pommern, Rügen, und'nicht am wenigsten auffallend Schlesien. Denn
während in den meisten Slawenländern die eiserne Faust der Eroberer das
frühere Volksleben vernichtete und durch Gewalt dem Lande das deutsche
Wesen aufzwang, wurde Schlesien der Mittelpunkt einer friedlichen, geräusch¬
losen Colonisation, welche ihre Wirkungen weit über die Grenzen der großen
Landschaft hinaus nach Osten äußerte.

Wir vermögen nicht mehr nachzuweisen, wie damals in der Seele des
deutschen Volkes die Auswanderungslust zu einer mächtigen Leidenschaft er¬
wachsen ist. Allerdings hatten die Römerzuge der Hohenstaufen und noch mehr
die Kreuzfahrten die Masse in ihren Tiefen aufgewühlt und unruhig, wander¬
lustig, nach Fremdem begierig gemachr, auch war das Leben im innern
Deutschland im Laufe deS Jahrhunderts für den friedlichen Arbeiter gefahrvoll


Grenzboten. IV. 18os.
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[0049] Bilder ans der deutschen Vergangenheit. Die Schlesier und ihr toller Herzog Heinrich. 1. Unter den großen Ereignissen des mächtigen 13. Jahrhunderts wird die größte That des deutschen Volkes noch zu wenig verstanden: me wunderbar schnelle Germanisirung der Slawenländer im Osten der Elbe. Eine Auswan¬ derung deutscher Herren und Arbeiter in viel großartigerem Maßstabe, als wir jetzt nach Amerika geschehen lassen, hat in etwa hundert Jahren e.n werdes Ländergebiet mit vielen Hunderten deutscher Städte und mehren tausend deutschen Dörfern besetzt und zum großen Theil fest an Deutschland angekettet. Fast der ganze östliche Theil deS preußischen Staats liegt aus dem Termin der Colonisation deS 13. Jahrhunderts. In diesem großen Jahrhundert aber fällt Schwung und Blüte deS Lebens in Deutschland mit der Einströmung deutscher Volkskraft in die Slawenlander nicht genau zusammen. Die Begeisterung der Kreuzzüge, der Glanz der Hohen- staufeuherrschaft, der kurze Idealismus des deutschen Ritterlebens, die stärkste Kraft in deutscher Kunst gehören dem Ende des 12. und dem Anfange deS 13. Jahrhunderts; die Germanisirung der Slawengrenze geschieht mit der größten Energie in der zweiten Hälfte des Jahrhunderts. In dieser Zeit wurden die Neumark und Preußen erobert, die eroberte Lausitz colonistrt, ebenso Mecklen¬ burg, Pommern, Rügen, und'nicht am wenigsten auffallend Schlesien. Denn während in den meisten Slawenländern die eiserne Faust der Eroberer das frühere Volksleben vernichtete und durch Gewalt dem Lande das deutsche Wesen aufzwang, wurde Schlesien der Mittelpunkt einer friedlichen, geräusch¬ losen Colonisation, welche ihre Wirkungen weit über die Grenzen der großen Landschaft hinaus nach Osten äußerte. Wir vermögen nicht mehr nachzuweisen, wie damals in der Seele des deutschen Volkes die Auswanderungslust zu einer mächtigen Leidenschaft er¬ wachsen ist. Allerdings hatten die Römerzuge der Hohenstaufen und noch mehr die Kreuzfahrten die Masse in ihren Tiefen aufgewühlt und unruhig, wander¬ lustig, nach Fremdem begierig gemachr, auch war das Leben im innern Deutschland im Laufe deS Jahrhunderts für den friedlichen Arbeiter gefahrvoll Grenzboten. IV. 18os.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341584_102594/49>, abgerufen am 23.07.2024.