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Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, II. Semester. IV. Band.

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oder der Grille, aus diesem Labyrinth einen Weg zu suchen. Die sittlichen
Zustände Altenglanvs stehn auf festerer Grundlage, als die deutschen Touristen
sich einbilden, die jetzt mit wunderbarem Behagen, angeregt grade durch die
Romanschreiber, die Schattenseiten derselben aussuchen. Aber die Flut jener
demagogischen Literatur ist doch zu groß, als daß sie nicht endlich eine Wir¬
kung ausüben sollte. Der Realismus der Poesie wird dann zu erfreulichen
Kunstwerken führen, wenn er in der Wirklichkeit zugleich die positive Seite
aufsucht, wenn er mit Freude am Leben verknüpft ist, wie früher bei Fielding,
Goldsmith, später bei Walter Scott und theilweise auch noch bei Dickens;
wo er aber der Kritik und der reinen Prosa ins Handwerk greift, wird er eben¬
so gefährlich in sittlicher Beziehung einwirken, als unerfreulich in ästhetischer.


I. S.


3- .
Ponsard und die Akademie.

Die Konferenzen sind, wie der Moniteur morgen bestätigen wird, vor der
Thüre. Die politische Bewegung ist indessen hier keine große, und man sieht mit
ziemlicher Gleichgültigkeit den Dingen in Sicilien und auch dem Nahen des Con-
gresses entgegen. Die Hindernisse, welche der fast zu Stande gekommene" Ver¬
einigung der Vertrag schließenden Mächte noch entgegenstehen mögen, sind nicht
von beunruhigender Art, und man weiß auch, daß die Ausgleichung durch die neue
Konferenz ebenfalls keine radicale Befestigung von Europas Zuständen bewir¬
ken kann.

Es ist deshalb Zeit, daß wir von der Politik absehen und uns ans dem litera¬
rischen und geselligen Gebiete etwas umsehen. Thut sich doch auch die französische
Akademie etwas zu Gut darauf, daß sie eine Empfangssitzung begehen konnte, ohne
auf das Interesse politischer Anspielungen pochen zu müssen. Seht ihr, rufen die
akademischen Blätter triumphirend aus, die Vierzig können auch amüsant sein, geist¬
reich sein, zarte Damcnhändchcn in Bewegung setzen, ohne über den allgemeinen
Sündenbock, die Negierung, herzufallen. Das Meisterstück haben die Herrn Pon¬
sard und Nisard zu Wege gebracht. Der Verfasser der Lucrezia, der Charlotte
Corday, der Börse, hat seine Antrittsrede als Nachfolger von Baour - Lormiau ge¬
halten und Herr Nisard ihm im Namen der Akademie geantwortet. Wie üblich hat
Ponsard von seinem Vorgänger und Nisard von dessen Nachfolger viel Schönes gesagt.
Das neue Akademiemitglied, das seit mehren Monaten an seiner Rede gearbeitet
hat, versuchte es, den längst ausgefochtenen Streit zwischen den Romantikern und
Klassikern aufs neue zu beleben, indem er ihn zum Gegenstände seiner Abhandlung
gemacht. Wir halten uns blos an diesen Theil, denn von Baour-Lormian, dem Ver¬
sasser verschiedener Theaterstücke, dem schlechten Uebersetzer von Tassos befreiten
Jerusalem, dem Nachahmer Ossians läßt sich nur so viel sagen, was einst die


oder der Grille, aus diesem Labyrinth einen Weg zu suchen. Die sittlichen
Zustände Altenglanvs stehn auf festerer Grundlage, als die deutschen Touristen
sich einbilden, die jetzt mit wunderbarem Behagen, angeregt grade durch die
Romanschreiber, die Schattenseiten derselben aussuchen. Aber die Flut jener
demagogischen Literatur ist doch zu groß, als daß sie nicht endlich eine Wir¬
kung ausüben sollte. Der Realismus der Poesie wird dann zu erfreulichen
Kunstwerken führen, wenn er in der Wirklichkeit zugleich die positive Seite
aufsucht, wenn er mit Freude am Leben verknüpft ist, wie früher bei Fielding,
Goldsmith, später bei Walter Scott und theilweise auch noch bei Dickens;
wo er aber der Kritik und der reinen Prosa ins Handwerk greift, wird er eben¬
so gefährlich in sittlicher Beziehung einwirken, als unerfreulich in ästhetischer.


I. S.


3- .
Ponsard und die Akademie.

Die Konferenzen sind, wie der Moniteur morgen bestätigen wird, vor der
Thüre. Die politische Bewegung ist indessen hier keine große, und man sieht mit
ziemlicher Gleichgültigkeit den Dingen in Sicilien und auch dem Nahen des Con-
gresses entgegen. Die Hindernisse, welche der fast zu Stande gekommene» Ver¬
einigung der Vertrag schließenden Mächte noch entgegenstehen mögen, sind nicht
von beunruhigender Art, und man weiß auch, daß die Ausgleichung durch die neue
Konferenz ebenfalls keine radicale Befestigung von Europas Zuständen bewir¬
ken kann.

Es ist deshalb Zeit, daß wir von der Politik absehen und uns ans dem litera¬
rischen und geselligen Gebiete etwas umsehen. Thut sich doch auch die französische
Akademie etwas zu Gut darauf, daß sie eine Empfangssitzung begehen konnte, ohne
auf das Interesse politischer Anspielungen pochen zu müssen. Seht ihr, rufen die
akademischen Blätter triumphirend aus, die Vierzig können auch amüsant sein, geist¬
reich sein, zarte Damcnhändchcn in Bewegung setzen, ohne über den allgemeinen
Sündenbock, die Negierung, herzufallen. Das Meisterstück haben die Herrn Pon¬
sard und Nisard zu Wege gebracht. Der Verfasser der Lucrezia, der Charlotte
Corday, der Börse, hat seine Antrittsrede als Nachfolger von Baour - Lormiau ge¬
halten und Herr Nisard ihm im Namen der Akademie geantwortet. Wie üblich hat
Ponsard von seinem Vorgänger und Nisard von dessen Nachfolger viel Schönes gesagt.
Das neue Akademiemitglied, das seit mehren Monaten an seiner Rede gearbeitet
hat, versuchte es, den längst ausgefochtenen Streit zwischen den Romantikern und
Klassikern aufs neue zu beleben, indem er ihn zum Gegenstände seiner Abhandlung
gemacht. Wir halten uns blos an diesen Theil, denn von Baour-Lormian, dem Ver¬
sasser verschiedener Theaterstücke, dem schlechten Uebersetzer von Tassos befreiten
Jerusalem, dem Nachahmer Ossians läßt sich nur so viel sagen, was einst die


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341584_102594/482>, abgerufen am 23.07.2024.