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Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, II. Semester. IV. Band.

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Deutsches Künstlerleben in Rom.

Wen hat nie ein gewisses Gefühl von Neid ergriffen, wenn er einen
Maler oder Bildhauer sich zur Römerfahrt rüsten sah? Der zurückbleibende
Kamerad wird für manche Woche lang von dem Nebel des bins 6soll un¬
unterbrochen heimgesucht und M)le zehnmal täglich die Versuchung, Todten¬
gerippe, Gypsmaske, Staffelei und sonstige Atelierrequisite durchs Fenster auf
die Straße und sich selbst der Kunst der Topfbinderei oder einer der andern
Wanderkünste in die Arme zu werfen. Germaniens Himmel hat für seinen
umwölkten Blick nur noch die gesättigte Tiefe einer Steinkohlenesse. Düssel¬
dorfs, Berlins und Dresdens Modelle flößen ihm keinen geringern Grad von
Verachtung ein als denjenigen, welchen die Bewohner des himmlischen Reichs
beim Anblick eines Menschen mit ungcschornem Schädel zu empfinden pflegen.
Er wüthet, wenn er bildhauert, gegen den harmlosen Marmor eine Weile
lang in solcher Weise, wie er das "terribile" auslegt, womit der Italiener
eine gewisse dämonische Seite des Buonarotti bezeichnete. Er wirft, wenn er
Maler ist, alle Picolopinsel bei Seite und rast mit Hilfe dicker Borsten auf
der erreichbar gröbsten Leinwand hin und her, wobei er den Namen Tempestas
und Tintorettos im Munde führt, so oft ihm jemand zu nahe kommt. Am
liebsten zeichnet er in solchen Sturm^ und Drangstimmungen riesige Kohlen¬
skizzen an die Wand, die er ebenso oft mit dem Aermel wieder in Staub ver¬
wandelt, und wer zur Culminationszeit dieses ultramontanen Fiebers einen
Blick in seinen Kanonenosen wirft, findet darin für den Bedarf des nächsten
Winters einen Vorrath von zerknitterten Studien aller Art aufgehäuft, die
als überwundene Standpunkte bestimmt sind, als Rauch in alle Lüste zu
verwehen.

So empfindet der zurückbleibende Kamerad. Aber auch andere leiden ihr
Theil bei dem Aufbruch der Glücklichen. Aeltliche Damen erinnern sich des
Jugendentzückens, mit welchem sie Corinna vor Zeiten in das mystische Dunkel
des Pantheons begleiteten, und überrechnen zum 3b5sten Male die Reisehand¬
buchnotizen über den Kostenpunkt eines Aufenthalts jenseit des Se. Gottha^d.
Pensionirte Lebemänner lassen Winke fallen über den nicht mehr zeitgemäßen
Zwang des Verzehrens sauer verdienter Pensionen im Bereich der landes-


Grenzboten. IV. 1866. 46
Deutsches Künstlerleben in Rom.

Wen hat nie ein gewisses Gefühl von Neid ergriffen, wenn er einen
Maler oder Bildhauer sich zur Römerfahrt rüsten sah? Der zurückbleibende
Kamerad wird für manche Woche lang von dem Nebel des bins 6soll un¬
unterbrochen heimgesucht und M)le zehnmal täglich die Versuchung, Todten¬
gerippe, Gypsmaske, Staffelei und sonstige Atelierrequisite durchs Fenster auf
die Straße und sich selbst der Kunst der Topfbinderei oder einer der andern
Wanderkünste in die Arme zu werfen. Germaniens Himmel hat für seinen
umwölkten Blick nur noch die gesättigte Tiefe einer Steinkohlenesse. Düssel¬
dorfs, Berlins und Dresdens Modelle flößen ihm keinen geringern Grad von
Verachtung ein als denjenigen, welchen die Bewohner des himmlischen Reichs
beim Anblick eines Menschen mit ungcschornem Schädel zu empfinden pflegen.
Er wüthet, wenn er bildhauert, gegen den harmlosen Marmor eine Weile
lang in solcher Weise, wie er das „terribile" auslegt, womit der Italiener
eine gewisse dämonische Seite des Buonarotti bezeichnete. Er wirft, wenn er
Maler ist, alle Picolopinsel bei Seite und rast mit Hilfe dicker Borsten auf
der erreichbar gröbsten Leinwand hin und her, wobei er den Namen Tempestas
und Tintorettos im Munde führt, so oft ihm jemand zu nahe kommt. Am
liebsten zeichnet er in solchen Sturm^ und Drangstimmungen riesige Kohlen¬
skizzen an die Wand, die er ebenso oft mit dem Aermel wieder in Staub ver¬
wandelt, und wer zur Culminationszeit dieses ultramontanen Fiebers einen
Blick in seinen Kanonenosen wirft, findet darin für den Bedarf des nächsten
Winters einen Vorrath von zerknitterten Studien aller Art aufgehäuft, die
als überwundene Standpunkte bestimmt sind, als Rauch in alle Lüste zu
verwehen.

So empfindet der zurückbleibende Kamerad. Aber auch andere leiden ihr
Theil bei dem Aufbruch der Glücklichen. Aeltliche Damen erinnern sich des
Jugendentzückens, mit welchem sie Corinna vor Zeiten in das mystische Dunkel
des Pantheons begleiteten, und überrechnen zum 3b5sten Male die Reisehand¬
buchnotizen über den Kostenpunkt eines Aufenthalts jenseit des Se. Gottha^d.
Pensionirte Lebemänner lassen Winke fallen über den nicht mehr zeitgemäßen
Zwang des Verzehrens sauer verdienter Pensionen im Bereich der landes-


Grenzboten. IV. 1866. 46
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[0369] Deutsches Künstlerleben in Rom. Wen hat nie ein gewisses Gefühl von Neid ergriffen, wenn er einen Maler oder Bildhauer sich zur Römerfahrt rüsten sah? Der zurückbleibende Kamerad wird für manche Woche lang von dem Nebel des bins 6soll un¬ unterbrochen heimgesucht und M)le zehnmal täglich die Versuchung, Todten¬ gerippe, Gypsmaske, Staffelei und sonstige Atelierrequisite durchs Fenster auf die Straße und sich selbst der Kunst der Topfbinderei oder einer der andern Wanderkünste in die Arme zu werfen. Germaniens Himmel hat für seinen umwölkten Blick nur noch die gesättigte Tiefe einer Steinkohlenesse. Düssel¬ dorfs, Berlins und Dresdens Modelle flößen ihm keinen geringern Grad von Verachtung ein als denjenigen, welchen die Bewohner des himmlischen Reichs beim Anblick eines Menschen mit ungcschornem Schädel zu empfinden pflegen. Er wüthet, wenn er bildhauert, gegen den harmlosen Marmor eine Weile lang in solcher Weise, wie er das „terribile" auslegt, womit der Italiener eine gewisse dämonische Seite des Buonarotti bezeichnete. Er wirft, wenn er Maler ist, alle Picolopinsel bei Seite und rast mit Hilfe dicker Borsten auf der erreichbar gröbsten Leinwand hin und her, wobei er den Namen Tempestas und Tintorettos im Munde führt, so oft ihm jemand zu nahe kommt. Am liebsten zeichnet er in solchen Sturm^ und Drangstimmungen riesige Kohlen¬ skizzen an die Wand, die er ebenso oft mit dem Aermel wieder in Staub ver¬ wandelt, und wer zur Culminationszeit dieses ultramontanen Fiebers einen Blick in seinen Kanonenosen wirft, findet darin für den Bedarf des nächsten Winters einen Vorrath von zerknitterten Studien aller Art aufgehäuft, die als überwundene Standpunkte bestimmt sind, als Rauch in alle Lüste zu verwehen. So empfindet der zurückbleibende Kamerad. Aber auch andere leiden ihr Theil bei dem Aufbruch der Glücklichen. Aeltliche Damen erinnern sich des Jugendentzückens, mit welchem sie Corinna vor Zeiten in das mystische Dunkel des Pantheons begleiteten, und überrechnen zum 3b5sten Male die Reisehand¬ buchnotizen über den Kostenpunkt eines Aufenthalts jenseit des Se. Gottha^d. Pensionirte Lebemänner lassen Winke fallen über den nicht mehr zeitgemäßen Zwang des Verzehrens sauer verdienter Pensionen im Bereich der landes- Grenzboten. IV. 1866. 46

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341584_102594/369>, abgerufen am 23.07.2024.