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Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, II. Semester. IV. Band.

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Johann Matthias Gesner.

Noch vor zwanzig Jahren war der berühmte Name I. M. Gesner auf
alterthümlichen Exemplaren des Horaz oder Livius zu sehen, welche von
einer Generation der Schüler zur andern ein mühsames und tintenbeklccktes
Leben führten. Nützliche, aber greisenhafte Bücher, denen der Zahn der
Mäuse und der Zeit die Ecken abgenagt hatte, und deren Äußere Glatte
durchaus nicht mehr dieselbe war, welche der Buchbinder neuen Büchern zu
geben pflegt. Mancher Schüler, der jetzt ein gewaltiger Mann ist, hat auf
solchen Exemplaren den Namen Johann Matthias Gesner mit allen Arabesken,
deren eine gelangweilte Schulsedcr sähig ist, verschnörkelt, jeden Buchstaben
des Namens durch Eselsohren geschmückt, oder grimmig in schwarze Vier-
ecke eingesperrt und so gewissermaßen in "zfliKi" ins Carcer gesetzt. Die
jetzige Generation hoffnungsvoller Lateiner freilich bildet sich an den vortreff¬
lichen Schulaufgaben der weidmannschen Buchhandlung und genießt darin
den Vorzug nicht nur äußerst reinlicher Texte, sondern, was einem ehrlichen
Tertianer stets weit schätzenswerther sein wird, auch deutscher Anmerkungen.
Aber auch unter den ältern classisch gebildeten Lesern werden einige sein,
welche von dem würdigen Gesner wenig weiter wissen, als den Namen, an
welchen sich ihnen eine dunkle Erinnerung von Tintenflecken und vieler Quä¬
lerei knüpft. Deshalb gereicht es d. Bl. zur besondern Freude, Nachricht
von einer vortrefflichen Charakteristik Gesners zu geben, welche Professor Her¬
mann' Sauppe in dem letzten Schulprogramm des Gymnastnms von Weimar
mitgetheilt hat. Ein anderer Grund, das Publicum auf diese kleine Biogra¬
phie aufmerksam zu machen, liegt nicht weniger nahe. Sie ist nach Inhalt
und Darstellung ein kleines Meisterstück. Sie ist aber auch von einem der
bedeutendsten Gelehrten und Schulmänner unseres Deutschlands geschrieben
und hat für den großen .Kreis seiner Freunde und Anhänger specielles Inter¬
esse deshalb, weil sie die letzte Schulschrift ist, die er, ein berühmter Nach¬
folger Gesners in Weimar, vor seinem Abgange nach der Universität Göttin¬
gen verfaßte. Für Weimar war sie ein Scheidegruß, und eine Erinnerung
an einen hochverehrten Mann, den die gute Stadt mit großer Trauer verlor.
Da nun Schulprogramme noch nicht vorzugsweise als Lectüre von dem ge¬
bildeten Deutschland aufgesucht werden, wird einige Mittheilung über Gesner
hier nicht unwillkommen sein. Leider vermag d. Bl. aus Mangel an Raum
nur einen Auszug aus Sauppes Schrift zu geben, es sind aber seine eignen
Worte, welche von jetzt ab folgen:

Wie dem Frühling ein kalter und kahler Winter vorangeht, so gibt es
Zeiträume in der Geschichte der Völker, in denen alles Leben wie ersterben
ist und auf der öden Fläche das Starren des Eises oder der fröstelnde Druck


Johann Matthias Gesner.

Noch vor zwanzig Jahren war der berühmte Name I. M. Gesner auf
alterthümlichen Exemplaren des Horaz oder Livius zu sehen, welche von
einer Generation der Schüler zur andern ein mühsames und tintenbeklccktes
Leben führten. Nützliche, aber greisenhafte Bücher, denen der Zahn der
Mäuse und der Zeit die Ecken abgenagt hatte, und deren Äußere Glatte
durchaus nicht mehr dieselbe war, welche der Buchbinder neuen Büchern zu
geben pflegt. Mancher Schüler, der jetzt ein gewaltiger Mann ist, hat auf
solchen Exemplaren den Namen Johann Matthias Gesner mit allen Arabesken,
deren eine gelangweilte Schulsedcr sähig ist, verschnörkelt, jeden Buchstaben
des Namens durch Eselsohren geschmückt, oder grimmig in schwarze Vier-
ecke eingesperrt und so gewissermaßen in «zfliKi« ins Carcer gesetzt. Die
jetzige Generation hoffnungsvoller Lateiner freilich bildet sich an den vortreff¬
lichen Schulaufgaben der weidmannschen Buchhandlung und genießt darin
den Vorzug nicht nur äußerst reinlicher Texte, sondern, was einem ehrlichen
Tertianer stets weit schätzenswerther sein wird, auch deutscher Anmerkungen.
Aber auch unter den ältern classisch gebildeten Lesern werden einige sein,
welche von dem würdigen Gesner wenig weiter wissen, als den Namen, an
welchen sich ihnen eine dunkle Erinnerung von Tintenflecken und vieler Quä¬
lerei knüpft. Deshalb gereicht es d. Bl. zur besondern Freude, Nachricht
von einer vortrefflichen Charakteristik Gesners zu geben, welche Professor Her¬
mann' Sauppe in dem letzten Schulprogramm des Gymnastnms von Weimar
mitgetheilt hat. Ein anderer Grund, das Publicum auf diese kleine Biogra¬
phie aufmerksam zu machen, liegt nicht weniger nahe. Sie ist nach Inhalt
und Darstellung ein kleines Meisterstück. Sie ist aber auch von einem der
bedeutendsten Gelehrten und Schulmänner unseres Deutschlands geschrieben
und hat für den großen .Kreis seiner Freunde und Anhänger specielles Inter¬
esse deshalb, weil sie die letzte Schulschrift ist, die er, ein berühmter Nach¬
folger Gesners in Weimar, vor seinem Abgange nach der Universität Göttin¬
gen verfaßte. Für Weimar war sie ein Scheidegruß, und eine Erinnerung
an einen hochverehrten Mann, den die gute Stadt mit großer Trauer verlor.
Da nun Schulprogramme noch nicht vorzugsweise als Lectüre von dem ge¬
bildeten Deutschland aufgesucht werden, wird einige Mittheilung über Gesner
hier nicht unwillkommen sein. Leider vermag d. Bl. aus Mangel an Raum
nur einen Auszug aus Sauppes Schrift zu geben, es sind aber seine eignen
Worte, welche von jetzt ab folgen:

Wie dem Frühling ein kalter und kahler Winter vorangeht, so gibt es
Zeiträume in der Geschichte der Völker, in denen alles Leben wie ersterben
ist und auf der öden Fläche das Starren des Eises oder der fröstelnde Druck


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[0135] Johann Matthias Gesner. Noch vor zwanzig Jahren war der berühmte Name I. M. Gesner auf alterthümlichen Exemplaren des Horaz oder Livius zu sehen, welche von einer Generation der Schüler zur andern ein mühsames und tintenbeklccktes Leben führten. Nützliche, aber greisenhafte Bücher, denen der Zahn der Mäuse und der Zeit die Ecken abgenagt hatte, und deren Äußere Glatte durchaus nicht mehr dieselbe war, welche der Buchbinder neuen Büchern zu geben pflegt. Mancher Schüler, der jetzt ein gewaltiger Mann ist, hat auf solchen Exemplaren den Namen Johann Matthias Gesner mit allen Arabesken, deren eine gelangweilte Schulsedcr sähig ist, verschnörkelt, jeden Buchstaben des Namens durch Eselsohren geschmückt, oder grimmig in schwarze Vier- ecke eingesperrt und so gewissermaßen in «zfliKi« ins Carcer gesetzt. Die jetzige Generation hoffnungsvoller Lateiner freilich bildet sich an den vortreff¬ lichen Schulaufgaben der weidmannschen Buchhandlung und genießt darin den Vorzug nicht nur äußerst reinlicher Texte, sondern, was einem ehrlichen Tertianer stets weit schätzenswerther sein wird, auch deutscher Anmerkungen. Aber auch unter den ältern classisch gebildeten Lesern werden einige sein, welche von dem würdigen Gesner wenig weiter wissen, als den Namen, an welchen sich ihnen eine dunkle Erinnerung von Tintenflecken und vieler Quä¬ lerei knüpft. Deshalb gereicht es d. Bl. zur besondern Freude, Nachricht von einer vortrefflichen Charakteristik Gesners zu geben, welche Professor Her¬ mann' Sauppe in dem letzten Schulprogramm des Gymnastnms von Weimar mitgetheilt hat. Ein anderer Grund, das Publicum auf diese kleine Biogra¬ phie aufmerksam zu machen, liegt nicht weniger nahe. Sie ist nach Inhalt und Darstellung ein kleines Meisterstück. Sie ist aber auch von einem der bedeutendsten Gelehrten und Schulmänner unseres Deutschlands geschrieben und hat für den großen .Kreis seiner Freunde und Anhänger specielles Inter¬ esse deshalb, weil sie die letzte Schulschrift ist, die er, ein berühmter Nach¬ folger Gesners in Weimar, vor seinem Abgange nach der Universität Göttin¬ gen verfaßte. Für Weimar war sie ein Scheidegruß, und eine Erinnerung an einen hochverehrten Mann, den die gute Stadt mit großer Trauer verlor. Da nun Schulprogramme noch nicht vorzugsweise als Lectüre von dem ge¬ bildeten Deutschland aufgesucht werden, wird einige Mittheilung über Gesner hier nicht unwillkommen sein. Leider vermag d. Bl. aus Mangel an Raum nur einen Auszug aus Sauppes Schrift zu geben, es sind aber seine eignen Worte, welche von jetzt ab folgen: Wie dem Frühling ein kalter und kahler Winter vorangeht, so gibt es Zeiträume in der Geschichte der Völker, in denen alles Leben wie ersterben ist und auf der öden Fläche das Starren des Eises oder der fröstelnde Druck

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341584_102594/135>, abgerufen am 23.07.2024.