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Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. I. Band.

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Bilder ans der deutschen Vergangenheit.
Stilleben eines deutschen Studenten zu Montpellier um

Wenn dies Mal der treuherzige Bericht eines lustigen deutschen Studenten
Verhältnisse des südlichen Frankreichs schildert, so soll auch diese Darstellung
dazu helfen, die Verhältnisse der deutschen Heimath verständlicher zu machen.
Denn die Entwicklung der deutschen Universitäten, ihre Verfassung, Privilegien,
viele ihrer Bräuche, ja auch die meisten Seltsamkeiten im Treiben der studiren-
den Jugend sind nicht in Deutschland selbst erfunden worden, sondern aus
Italien und Frankreich eingebürgert, die hohe Bedeutung der Universitäten
in Deutschland und die seltsamsten Erscheinungen ihres Lebens fallen erst
in den Ausgang des Mittelalters, während die Universitäten Italiens und
die von Frankreich schon weit in das Mittelalter zurück einen mächtigen Ein¬
fluß auf die humanistische Bildung ausübten.

Wie daS akademische Leben in frühern Jahrhunderten sich von dem gegen¬
wärtigen unterschied, sollen dieser wie spätere Berichte von Zeitgenossen zeigen.
Es wird dabei Gelegenheit sein, über die abweichende Organisation der mittel¬
alterlichen Universitäten das Nöthigste anzuführen. Hier nur einiges über Mont¬
pellier im Is. und 16. Jahrhundert, einen der berühmtesten Sitze für die Heil¬
wissenschaft, wie für die Jurisprudenz. Der älteste Theil der hohen Schule
zu Montpellier scheint eine Universität der Mediciner gewesen zu sein, die älteste
Urkunde derselben ist aus dem Jahre -1180, schon damals blühte, sie.
Nicht lange darauf wird die Rechtsschule erwähnt. Beide bildeten längere Zeit
besondere Institute; zu dem juristischen gehörten sowol die Artisten, als die
Theologen, beide waren dem Rector der Zuristenfacultät unterworfen. Im Be¬
sitze der vollen akademischen Bürgerrechte waren bei dieser Facultät nur die Scho¬
laren, die Doctoren, d. h. die Lehrenden hatten nur beschränkte Rechte, ob¬
gleich sie an den Verpflichtungen der Scholaren Theil nahmen. Aus den Scho¬
laren wurde jährlich der Rector gewählt, er durfte kein Doctor, mußte aber
25 Jahre alt und in den Wissenschaften gebildet sein. Dem Range nach ging
er vor allen Doctoren und stand noch in der Mitte des -16. Jahrhunderts so
in Ansehn, daß ihm, wenn er auf der Straße erschien, alle Scholaren seiner
Universität ihrer eidlichen Verpflichtung nach als Gefolge nachziehen mußten.
Wenn der Rector daher als ein junger Herr von munterm Wesen den Trieb


Grenzboten. I. -I8L6. . 26 .
Bilder ans der deutschen Vergangenheit.
Stilleben eines deutschen Studenten zu Montpellier um

Wenn dies Mal der treuherzige Bericht eines lustigen deutschen Studenten
Verhältnisse des südlichen Frankreichs schildert, so soll auch diese Darstellung
dazu helfen, die Verhältnisse der deutschen Heimath verständlicher zu machen.
Denn die Entwicklung der deutschen Universitäten, ihre Verfassung, Privilegien,
viele ihrer Bräuche, ja auch die meisten Seltsamkeiten im Treiben der studiren-
den Jugend sind nicht in Deutschland selbst erfunden worden, sondern aus
Italien und Frankreich eingebürgert, die hohe Bedeutung der Universitäten
in Deutschland und die seltsamsten Erscheinungen ihres Lebens fallen erst
in den Ausgang des Mittelalters, während die Universitäten Italiens und
die von Frankreich schon weit in das Mittelalter zurück einen mächtigen Ein¬
fluß auf die humanistische Bildung ausübten.

Wie daS akademische Leben in frühern Jahrhunderten sich von dem gegen¬
wärtigen unterschied, sollen dieser wie spätere Berichte von Zeitgenossen zeigen.
Es wird dabei Gelegenheit sein, über die abweichende Organisation der mittel¬
alterlichen Universitäten das Nöthigste anzuführen. Hier nur einiges über Mont¬
pellier im Is. und 16. Jahrhundert, einen der berühmtesten Sitze für die Heil¬
wissenschaft, wie für die Jurisprudenz. Der älteste Theil der hohen Schule
zu Montpellier scheint eine Universität der Mediciner gewesen zu sein, die älteste
Urkunde derselben ist aus dem Jahre -1180, schon damals blühte, sie.
Nicht lange darauf wird die Rechtsschule erwähnt. Beide bildeten längere Zeit
besondere Institute; zu dem juristischen gehörten sowol die Artisten, als die
Theologen, beide waren dem Rector der Zuristenfacultät unterworfen. Im Be¬
sitze der vollen akademischen Bürgerrechte waren bei dieser Facultät nur die Scho¬
laren, die Doctoren, d. h. die Lehrenden hatten nur beschränkte Rechte, ob¬
gleich sie an den Verpflichtungen der Scholaren Theil nahmen. Aus den Scho¬
laren wurde jährlich der Rector gewählt, er durfte kein Doctor, mußte aber
25 Jahre alt und in den Wissenschaften gebildet sein. Dem Range nach ging
er vor allen Doctoren und stand noch in der Mitte des -16. Jahrhunderts so
in Ansehn, daß ihm, wenn er auf der Straße erschien, alle Scholaren seiner
Universität ihrer eidlichen Verpflichtung nach als Gefolge nachziehen mußten.
Wenn der Rector daher als ein junger Herr von munterm Wesen den Trieb


Grenzboten. I. -I8L6. . 26 .
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[0209] Bilder ans der deutschen Vergangenheit. Stilleben eines deutschen Studenten zu Montpellier um Wenn dies Mal der treuherzige Bericht eines lustigen deutschen Studenten Verhältnisse des südlichen Frankreichs schildert, so soll auch diese Darstellung dazu helfen, die Verhältnisse der deutschen Heimath verständlicher zu machen. Denn die Entwicklung der deutschen Universitäten, ihre Verfassung, Privilegien, viele ihrer Bräuche, ja auch die meisten Seltsamkeiten im Treiben der studiren- den Jugend sind nicht in Deutschland selbst erfunden worden, sondern aus Italien und Frankreich eingebürgert, die hohe Bedeutung der Universitäten in Deutschland und die seltsamsten Erscheinungen ihres Lebens fallen erst in den Ausgang des Mittelalters, während die Universitäten Italiens und die von Frankreich schon weit in das Mittelalter zurück einen mächtigen Ein¬ fluß auf die humanistische Bildung ausübten. Wie daS akademische Leben in frühern Jahrhunderten sich von dem gegen¬ wärtigen unterschied, sollen dieser wie spätere Berichte von Zeitgenossen zeigen. Es wird dabei Gelegenheit sein, über die abweichende Organisation der mittel¬ alterlichen Universitäten das Nöthigste anzuführen. Hier nur einiges über Mont¬ pellier im Is. und 16. Jahrhundert, einen der berühmtesten Sitze für die Heil¬ wissenschaft, wie für die Jurisprudenz. Der älteste Theil der hohen Schule zu Montpellier scheint eine Universität der Mediciner gewesen zu sein, die älteste Urkunde derselben ist aus dem Jahre -1180, schon damals blühte, sie. Nicht lange darauf wird die Rechtsschule erwähnt. Beide bildeten längere Zeit besondere Institute; zu dem juristischen gehörten sowol die Artisten, als die Theologen, beide waren dem Rector der Zuristenfacultät unterworfen. Im Be¬ sitze der vollen akademischen Bürgerrechte waren bei dieser Facultät nur die Scho¬ laren, die Doctoren, d. h. die Lehrenden hatten nur beschränkte Rechte, ob¬ gleich sie an den Verpflichtungen der Scholaren Theil nahmen. Aus den Scho¬ laren wurde jährlich der Rector gewählt, er durfte kein Doctor, mußte aber 25 Jahre alt und in den Wissenschaften gebildet sein. Dem Range nach ging er vor allen Doctoren und stand noch in der Mitte des -16. Jahrhunderts so in Ansehn, daß ihm, wenn er auf der Straße erschien, alle Scholaren seiner Universität ihrer eidlichen Verpflichtung nach als Gefolge nachziehen mußten. Wenn der Rector daher als ein junger Herr von munterm Wesen den Trieb Grenzboten. I. -I8L6. . 26 .

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341584_100992/209>, abgerufen am 23.07.2024.