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Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. I. Band.

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jene nun nach Anlage oder Gewöhnung ihren Ausgang vom Sinnlichen, vom
Abstracten oder von Gemüthsbewegungen genommen haben. Aber es ist eben¬
so absurd zu verlangen, daß andere Menschen solche Meinungen als vernünftig
oder als absolute Wahrheiten anerkennen sollen, als sie unter dem Vorwande,
daß sie nothwendig christliche, heilige, gewissenhafte seien, der vernünftigen Er¬
kenntniß entgegenzustellen; denn die Vernunft steht über dem subjectiven Glau¬
ben (Meinen) und ist mit dem wahren Glauben identisch.




Der Tmmhtiuser in Berlin.

Nachdem die Schule der Zukunftsmusik in immer engeren Kreisen sich den^
Hauptstädten' des gebildeten Verkehrs genähert, ist es ihr seit dem Ende des
vorigen Jahres gelungen, in Berlin den Schauplatz für eine Hauptschlacht zu
finden. Was die bisherigen Concerte betrifft, so hat dieser Versuch mit einer
völligen, unbedingten Niederlage geendet, mit einer Niederlage, die um so un¬
zweifelhafter war, da von Seiten der Sieger ohne alle Hitze und Erbitterung
gefochten wurde. Als Liszt sein großes Concert gab, vereinigten sich nachher
Musiker und Musikfreunde zu einem heiteren Festmahle, in welchem nicht blos
die liebenswürdige und geistvolle Persönlichkeit, sondern auch der große Künstler
und der warme Freund alles Schönen mit aufrichtiger Huldigung gefeiert wurde;
von der Musik war gar keine Rede, sie war mit einfachem Lächeln abgefertigt.
Es ist darüber in Berlin nur eine Stimme, in welche Kreise man kommen
mag, diese Art der Zukunftsmusik hat keine Gegenwart.

Allein in dieser Bezeichnung vereinigen sich jetzt, wo alle unbestimmt
Strebende sich nach einem Bund der Ritter vom Geiste sehnen, so verschieden¬
artige Richtungen, daß der Erfolg der einen für den der andern noch nicht
entscheidend sein kann. Während die Nachfolger Schumanns die Gesetze der
Harmonik und des Rhythmus auf eine so raffinirte Weise zugespitzt haben, daß
schon eine ziemlich gesteigerte musikalische Bildung dazu gehört, ihnen zu folgen,
wirft Richard Wagner kurzweg alle diese Gesetze bei Seite, und kommt auf dem
Wege der Reflexion beim reinsten Naturalismus an. Liszt, Joachim, Brahms
können nie populär werden, den" was sie sündigen, geschieht aus Uebermaß
der Kunst; Wagner dagegen ist ein demagogisches Talent; er berechtet den
Jnstinct der Masse und weiß die Mittel, auf denselben zu wirken, sehr ge¬
schickt in Anwendung zu bringen. Dieser Jnstinct beruht heutzutage keines¬
wegs auf dem rein materialistischen Interesse, vielmehr zum Theil grade auf
einem nachtwandlerischen Idealismus, den man nicht bloß künstlich nachbilden


jene nun nach Anlage oder Gewöhnung ihren Ausgang vom Sinnlichen, vom
Abstracten oder von Gemüthsbewegungen genommen haben. Aber es ist eben¬
so absurd zu verlangen, daß andere Menschen solche Meinungen als vernünftig
oder als absolute Wahrheiten anerkennen sollen, als sie unter dem Vorwande,
daß sie nothwendig christliche, heilige, gewissenhafte seien, der vernünftigen Er¬
kenntniß entgegenzustellen; denn die Vernunft steht über dem subjectiven Glau¬
ben (Meinen) und ist mit dem wahren Glauben identisch.




Der Tmmhtiuser in Berlin.

Nachdem die Schule der Zukunftsmusik in immer engeren Kreisen sich den^
Hauptstädten' des gebildeten Verkehrs genähert, ist es ihr seit dem Ende des
vorigen Jahres gelungen, in Berlin den Schauplatz für eine Hauptschlacht zu
finden. Was die bisherigen Concerte betrifft, so hat dieser Versuch mit einer
völligen, unbedingten Niederlage geendet, mit einer Niederlage, die um so un¬
zweifelhafter war, da von Seiten der Sieger ohne alle Hitze und Erbitterung
gefochten wurde. Als Liszt sein großes Concert gab, vereinigten sich nachher
Musiker und Musikfreunde zu einem heiteren Festmahle, in welchem nicht blos
die liebenswürdige und geistvolle Persönlichkeit, sondern auch der große Künstler
und der warme Freund alles Schönen mit aufrichtiger Huldigung gefeiert wurde;
von der Musik war gar keine Rede, sie war mit einfachem Lächeln abgefertigt.
Es ist darüber in Berlin nur eine Stimme, in welche Kreise man kommen
mag, diese Art der Zukunftsmusik hat keine Gegenwart.

Allein in dieser Bezeichnung vereinigen sich jetzt, wo alle unbestimmt
Strebende sich nach einem Bund der Ritter vom Geiste sehnen, so verschieden¬
artige Richtungen, daß der Erfolg der einen für den der andern noch nicht
entscheidend sein kann. Während die Nachfolger Schumanns die Gesetze der
Harmonik und des Rhythmus auf eine so raffinirte Weise zugespitzt haben, daß
schon eine ziemlich gesteigerte musikalische Bildung dazu gehört, ihnen zu folgen,
wirft Richard Wagner kurzweg alle diese Gesetze bei Seite, und kommt auf dem
Wege der Reflexion beim reinsten Naturalismus an. Liszt, Joachim, Brahms
können nie populär werden, den» was sie sündigen, geschieht aus Uebermaß
der Kunst; Wagner dagegen ist ein demagogisches Talent; er berechtet den
Jnstinct der Masse und weiß die Mittel, auf denselben zu wirken, sehr ge¬
schickt in Anwendung zu bringen. Dieser Jnstinct beruht heutzutage keines¬
wegs auf dem rein materialistischen Interesse, vielmehr zum Theil grade auf
einem nachtwandlerischen Idealismus, den man nicht bloß künstlich nachbilden


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[0189] jene nun nach Anlage oder Gewöhnung ihren Ausgang vom Sinnlichen, vom Abstracten oder von Gemüthsbewegungen genommen haben. Aber es ist eben¬ so absurd zu verlangen, daß andere Menschen solche Meinungen als vernünftig oder als absolute Wahrheiten anerkennen sollen, als sie unter dem Vorwande, daß sie nothwendig christliche, heilige, gewissenhafte seien, der vernünftigen Er¬ kenntniß entgegenzustellen; denn die Vernunft steht über dem subjectiven Glau¬ ben (Meinen) und ist mit dem wahren Glauben identisch. Der Tmmhtiuser in Berlin. Nachdem die Schule der Zukunftsmusik in immer engeren Kreisen sich den^ Hauptstädten' des gebildeten Verkehrs genähert, ist es ihr seit dem Ende des vorigen Jahres gelungen, in Berlin den Schauplatz für eine Hauptschlacht zu finden. Was die bisherigen Concerte betrifft, so hat dieser Versuch mit einer völligen, unbedingten Niederlage geendet, mit einer Niederlage, die um so un¬ zweifelhafter war, da von Seiten der Sieger ohne alle Hitze und Erbitterung gefochten wurde. Als Liszt sein großes Concert gab, vereinigten sich nachher Musiker und Musikfreunde zu einem heiteren Festmahle, in welchem nicht blos die liebenswürdige und geistvolle Persönlichkeit, sondern auch der große Künstler und der warme Freund alles Schönen mit aufrichtiger Huldigung gefeiert wurde; von der Musik war gar keine Rede, sie war mit einfachem Lächeln abgefertigt. Es ist darüber in Berlin nur eine Stimme, in welche Kreise man kommen mag, diese Art der Zukunftsmusik hat keine Gegenwart. Allein in dieser Bezeichnung vereinigen sich jetzt, wo alle unbestimmt Strebende sich nach einem Bund der Ritter vom Geiste sehnen, so verschieden¬ artige Richtungen, daß der Erfolg der einen für den der andern noch nicht entscheidend sein kann. Während die Nachfolger Schumanns die Gesetze der Harmonik und des Rhythmus auf eine so raffinirte Weise zugespitzt haben, daß schon eine ziemlich gesteigerte musikalische Bildung dazu gehört, ihnen zu folgen, wirft Richard Wagner kurzweg alle diese Gesetze bei Seite, und kommt auf dem Wege der Reflexion beim reinsten Naturalismus an. Liszt, Joachim, Brahms können nie populär werden, den» was sie sündigen, geschieht aus Uebermaß der Kunst; Wagner dagegen ist ein demagogisches Talent; er berechtet den Jnstinct der Masse und weiß die Mittel, auf denselben zu wirken, sehr ge¬ schickt in Anwendung zu bringen. Dieser Jnstinct beruht heutzutage keines¬ wegs auf dem rein materialistischen Interesse, vielmehr zum Theil grade auf einem nachtwandlerischen Idealismus, den man nicht bloß künstlich nachbilden

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341584_100992/189>, abgerufen am 23.07.2024.