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Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. III. Band.

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an den Wahlen eine wichtige politische That zu thun, wird sich aus dem
süßen Behagen dieses bequemen Martyriums schwerlich durch eine einfache Er¬
klärung heraustreiben lassen; sie wird nicht blos einer Erlaubniß bedürfen,
sondern einer recht lebhaften Anregung.

Sehr richtig bemerkt die Nationalzeitung, daß man sich davor hüten
müsse, den wahrscheinlichen Erfolg dieser Theilnahme zu überschätzen; damit
der Erfolg aber nicht noch kleiner werde, als in der Natur der Sache liegt,
scheint uns Folgendes Beherzigung zu verdienen.

Die Aufgabe der gegenwärtigen Kammer ist, wie wir gezeigt haben, eine
durchaus conservative. Es handelt sich nicht darum, für die nationale Sache
und für die Sache der Freiheit ein neues Terrain zu gewinnen,'sondern nur
den bisherigen Besitz zu behaupten. Unter diesen Umständen kommt es auf
die sonstigen Doctrinen der Deputirten, auf ihre Vergangenheit und Zukunft
nicht an; es kommt nur darauf an, unabhängige und charakterfeste Männer
zu finden, die entschlossen sind, keinen Schritt weiter zurückzuweichen, gleichviel
welcher Parteirichtung sie sich früher angeschlossen haben. Die beiden Haupt¬
unterschiede zwischen der demokratischen Partei und der constitutionellen, wie
sie sich historisch entwickelt hatten, waren einmal, daß die Demokraten die ge¬
gebene Verfassung nicht anerkennen wollten, sondern auf die Vereinbarungs¬
theorie der sogenannten constituirenden Versammlung recurrirten. Dieser Un¬
terschied hat aufgehört, sobald sie sich, wie es die Nationalzeitung ausdrücklich
erklärt, ehrlich und offen an der gegebenen Verfassung betheiligen. Der zweite
Unterschied wird vielleicht in der Zukunft wieder Gelegenheit zu Zwistigkeiten
geben, vorläufig hat er aber gar keine praktische Bedeutung. Wir vermuthen
nämlich, daß die Demokraten noch an der Theorie des unbeschränkten Wahl¬
rechts festhalten; allein in den nächsten drei Jahren wird es niemand ein¬
fallen, nach dieser Seite hin etwas durchsetzen zu wollen. In allen übrigen
Punkten möchten dagegen die Gemäßigten der beiden Parteien einig sein, und
die gegenseitige Unterstützung bei den Wahlen, die dringend erforderlich ist,
wenn ein erwünschtes Resultat erzielt werden soll, begegnet also von dieser
Seite keinen Schwierigkeiten.

Beim Schluß unsres Hefts geht uns eine Broschüre zu, die wir glauben-
als eine Art Wahlprogramm der liberalen Partei betrachten zu dürfen:


Die letzte Session der preußischen Kammern. Leipzig, S. Hirzel. --

Sie, enthält eine klare und bündige Zusammenstellung der Tendenzen und
Anträge, welche von den beiden Seiten der bisherigen Kammer ausgegangen
sind. Sie weist nach, daß die sogenannte Nechre eine revolutionäre Partei ist,
die nicht blos bezweckt, die Resultate der Staatsgesetzgebung seit 1830 wieder


Grenzboten. III. ->8so. 62

an den Wahlen eine wichtige politische That zu thun, wird sich aus dem
süßen Behagen dieses bequemen Martyriums schwerlich durch eine einfache Er¬
klärung heraustreiben lassen; sie wird nicht blos einer Erlaubniß bedürfen,
sondern einer recht lebhaften Anregung.

Sehr richtig bemerkt die Nationalzeitung, daß man sich davor hüten
müsse, den wahrscheinlichen Erfolg dieser Theilnahme zu überschätzen; damit
der Erfolg aber nicht noch kleiner werde, als in der Natur der Sache liegt,
scheint uns Folgendes Beherzigung zu verdienen.

Die Aufgabe der gegenwärtigen Kammer ist, wie wir gezeigt haben, eine
durchaus conservative. Es handelt sich nicht darum, für die nationale Sache
und für die Sache der Freiheit ein neues Terrain zu gewinnen,'sondern nur
den bisherigen Besitz zu behaupten. Unter diesen Umständen kommt es auf
die sonstigen Doctrinen der Deputirten, auf ihre Vergangenheit und Zukunft
nicht an; es kommt nur darauf an, unabhängige und charakterfeste Männer
zu finden, die entschlossen sind, keinen Schritt weiter zurückzuweichen, gleichviel
welcher Parteirichtung sie sich früher angeschlossen haben. Die beiden Haupt¬
unterschiede zwischen der demokratischen Partei und der constitutionellen, wie
sie sich historisch entwickelt hatten, waren einmal, daß die Demokraten die ge¬
gebene Verfassung nicht anerkennen wollten, sondern auf die Vereinbarungs¬
theorie der sogenannten constituirenden Versammlung recurrirten. Dieser Un¬
terschied hat aufgehört, sobald sie sich, wie es die Nationalzeitung ausdrücklich
erklärt, ehrlich und offen an der gegebenen Verfassung betheiligen. Der zweite
Unterschied wird vielleicht in der Zukunft wieder Gelegenheit zu Zwistigkeiten
geben, vorläufig hat er aber gar keine praktische Bedeutung. Wir vermuthen
nämlich, daß die Demokraten noch an der Theorie des unbeschränkten Wahl¬
rechts festhalten; allein in den nächsten drei Jahren wird es niemand ein¬
fallen, nach dieser Seite hin etwas durchsetzen zu wollen. In allen übrigen
Punkten möchten dagegen die Gemäßigten der beiden Parteien einig sein, und
die gegenseitige Unterstützung bei den Wahlen, die dringend erforderlich ist,
wenn ein erwünschtes Resultat erzielt werden soll, begegnet also von dieser
Seite keinen Schwierigkeiten.

Beim Schluß unsres Hefts geht uns eine Broschüre zu, die wir glauben-
als eine Art Wahlprogramm der liberalen Partei betrachten zu dürfen:


Die letzte Session der preußischen Kammern. Leipzig, S. Hirzel. —

Sie, enthält eine klare und bündige Zusammenstellung der Tendenzen und
Anträge, welche von den beiden Seiten der bisherigen Kammer ausgegangen
sind. Sie weist nach, daß die sogenannte Nechre eine revolutionäre Partei ist,
die nicht blos bezweckt, die Resultate der Staatsgesetzgebung seit 1830 wieder


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_99919/497>, abgerufen am 22.12.2024.