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Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, I. Semester. II. Band.

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Wilhelm voll Kmllbnch in Berlin.
(Von einem Maler).

Betrachtet mau den Inhalt von Kaulbachs Schöpfungen, so ists
nicht uur die Tiefe der Conception, über die man staunt, eS kommt noch ein
Andres hinzu: die Vielseitigkeit der Anschauung und der Reichthum der
Auffassung. Nicht allein, daß die Menge deS Aufgefaßten an sich ungeheuer
ist; es werden an'jedem Einzelnen alle Seiten, alle Motive und Wirkungen
in seiner Seele lebendig. Das ist nicht, wie von manchen seiner Gegner be¬
hauptet worden, ein kokettes Streben, jedem etwas zu bringen, sondern es wird
ihm innerstes Bedürfniß, jenes in ihm selbst Lebendiggewordene plastisch zu
gestalten. -- Wie er mit dieser Begabung Wundervolles geschaffen hat, so wird
sie denn freilich bisweilen grade die Klippe, an der er scheitert. Wie der
Schärfe und der Breite seiner Beobachtung nichts entgeht, so daß eine ober¬
flächliche oder triviale Auffassung bei ihm nicht aufkommen kaum, so ,hat sie ihm
bisweilen die Unbefangenheit der Anschanung geraubt, indem sie ihn hinderte,
von dein Vielem, was er sah, die Hauptsache im Auge zu behalten; sie hat ihn
zur Häufung der Motive verleitet, die dem einheitlichen Eindruck schadeten, zu
geistreicher Reflexion und somit zur Allegorie, da er- für manches Gedachte und
Empfundene keinen plastischen Atisdruck finden konnte, und anstatt es als un¬
darstellbar aufzugeben, zum allegorischen Ausdruck griff.

Wenn ich auf der einen Seile zugebe, daß die genannten Fehler sich
oft in Kaulbachs Werken finden, so muß ich andrerseits die Behauptung
seiner Gegner, Kaulbach sei gar keiner unbefangenen Auffassung, keiner ein¬
heitlichen .Coupe.sition, keiner plastischen Darstellung fähig, als vollkommen
haltlos zurückweisen. Zum Gegenbeweise führe ich vorläufig nur die Hunnen¬
schlacht an, nicht weil ich meine, daß die Kaulbach abgesprochenen Eigenschaften
sich hier allein finden, sondern weil sie von einer Zeit her, wo eS noch nicht
zum guten Ton gehörte, Kaulbach zu verkleinern, die vollste Anerkeiuning
auch bei denen genießt, die jetzt geringschätzend von ihm reden. -- Wer ein¬
mal so Würdevolles geschaffen hat, der wird doch noch etwas von jener
schaffenden Gewalt bewahrt haben.


GrenzbvtM. II. 1866. ^
Wilhelm voll Kmllbnch in Berlin.
(Von einem Maler).

Betrachtet mau den Inhalt von Kaulbachs Schöpfungen, so ists
nicht uur die Tiefe der Conception, über die man staunt, eS kommt noch ein
Andres hinzu: die Vielseitigkeit der Anschauung und der Reichthum der
Auffassung. Nicht allein, daß die Menge deS Aufgefaßten an sich ungeheuer
ist; es werden an'jedem Einzelnen alle Seiten, alle Motive und Wirkungen
in seiner Seele lebendig. Das ist nicht, wie von manchen seiner Gegner be¬
hauptet worden, ein kokettes Streben, jedem etwas zu bringen, sondern es wird
ihm innerstes Bedürfniß, jenes in ihm selbst Lebendiggewordene plastisch zu
gestalten. — Wie er mit dieser Begabung Wundervolles geschaffen hat, so wird
sie denn freilich bisweilen grade die Klippe, an der er scheitert. Wie der
Schärfe und der Breite seiner Beobachtung nichts entgeht, so daß eine ober¬
flächliche oder triviale Auffassung bei ihm nicht aufkommen kaum, so ,hat sie ihm
bisweilen die Unbefangenheit der Anschanung geraubt, indem sie ihn hinderte,
von dein Vielem, was er sah, die Hauptsache im Auge zu behalten; sie hat ihn
zur Häufung der Motive verleitet, die dem einheitlichen Eindruck schadeten, zu
geistreicher Reflexion und somit zur Allegorie, da er- für manches Gedachte und
Empfundene keinen plastischen Atisdruck finden konnte, und anstatt es als un¬
darstellbar aufzugeben, zum allegorischen Ausdruck griff.

Wenn ich auf der einen Seile zugebe, daß die genannten Fehler sich
oft in Kaulbachs Werken finden, so muß ich andrerseits die Behauptung
seiner Gegner, Kaulbach sei gar keiner unbefangenen Auffassung, keiner ein¬
heitlichen .Coupe.sition, keiner plastischen Darstellung fähig, als vollkommen
haltlos zurückweisen. Zum Gegenbeweise führe ich vorläufig nur die Hunnen¬
schlacht an, nicht weil ich meine, daß die Kaulbach abgesprochenen Eigenschaften
sich hier allein finden, sondern weil sie von einer Zeit her, wo eS noch nicht
zum guten Ton gehörte, Kaulbach zu verkleinern, die vollste Anerkeiuning
auch bei denen genießt, die jetzt geringschätzend von ihm reden. — Wer ein¬
mal so Würdevolles geschaffen hat, der wird doch noch etwas von jener
schaffenden Gewalt bewahrt haben.


GrenzbvtM. II. 1866. ^
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[0009] Wilhelm voll Kmllbnch in Berlin. (Von einem Maler). Betrachtet mau den Inhalt von Kaulbachs Schöpfungen, so ists nicht uur die Tiefe der Conception, über die man staunt, eS kommt noch ein Andres hinzu: die Vielseitigkeit der Anschauung und der Reichthum der Auffassung. Nicht allein, daß die Menge deS Aufgefaßten an sich ungeheuer ist; es werden an'jedem Einzelnen alle Seiten, alle Motive und Wirkungen in seiner Seele lebendig. Das ist nicht, wie von manchen seiner Gegner be¬ hauptet worden, ein kokettes Streben, jedem etwas zu bringen, sondern es wird ihm innerstes Bedürfniß, jenes in ihm selbst Lebendiggewordene plastisch zu gestalten. — Wie er mit dieser Begabung Wundervolles geschaffen hat, so wird sie denn freilich bisweilen grade die Klippe, an der er scheitert. Wie der Schärfe und der Breite seiner Beobachtung nichts entgeht, so daß eine ober¬ flächliche oder triviale Auffassung bei ihm nicht aufkommen kaum, so ,hat sie ihm bisweilen die Unbefangenheit der Anschanung geraubt, indem sie ihn hinderte, von dein Vielem, was er sah, die Hauptsache im Auge zu behalten; sie hat ihn zur Häufung der Motive verleitet, die dem einheitlichen Eindruck schadeten, zu geistreicher Reflexion und somit zur Allegorie, da er- für manches Gedachte und Empfundene keinen plastischen Atisdruck finden konnte, und anstatt es als un¬ darstellbar aufzugeben, zum allegorischen Ausdruck griff. Wenn ich auf der einen Seile zugebe, daß die genannten Fehler sich oft in Kaulbachs Werken finden, so muß ich andrerseits die Behauptung seiner Gegner, Kaulbach sei gar keiner unbefangenen Auffassung, keiner ein¬ heitlichen .Coupe.sition, keiner plastischen Darstellung fähig, als vollkommen haltlos zurückweisen. Zum Gegenbeweise führe ich vorläufig nur die Hunnen¬ schlacht an, nicht weil ich meine, daß die Kaulbach abgesprochenen Eigenschaften sich hier allein finden, sondern weil sie von einer Zeit her, wo eS noch nicht zum guten Ton gehörte, Kaulbach zu verkleinern, die vollste Anerkeiuning auch bei denen genießt, die jetzt geringschätzend von ihm reden. — Wer ein¬ mal so Würdevolles geschaffen hat, der wird doch noch etwas von jener schaffenden Gewalt bewahrt haben. GrenzbvtM. II. 1866. ^

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_99385/9>, abgerufen am 29.06.2024.