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Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, I. Semester. II. Band.

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ihrer Vollendung ist von einer wunderbaren Schönheit. In dieser Beziehung
hat das Gedicht einen großen Vorzug vor dem "Spaziergang", mit dem es
am nächsten verwandt ist. Beide Gedichte stellen die Gesammtentwickiung des
Culturlebens dar, das erste die öffentliche, das zweite die individuelle, doch
so, daß beide Gebiete sich fortwährend berühren; aber wenn im "Spazier¬
gang" der Rhythmus (nicht blos das Versmaß) harmonischer ist und daher
einen beruhigenderen Eindruck macht, so übt die symbolische Idee der Glocke
auf die Phantasie einen viel reizendem Eindruck aus. Freilich fehlte bei
diesem Stoff dem Dichter etwas, was er bei der griechischen Weltanschauung
des "Spaziergangs" sich durch die Kunst ersetzen konnte. Die Symbolik der
Glocke ist für ihn eine rein sinnliche, es ist, als ob die Glocke nur zufällig
wie ein Naturlaut bei allen wichtigen Angelegenheiten deS menschlichen,Lebens
ihre eherne Stimme vernehmen ließe. Daß die Glocke ein Zeichen der Kirche,
d. h. ein Symbol von dem Zusammenhang der irdischen und der überirdische"
Welt ist, wußte der Dichter sehr wohl, aber eine eigenthümliche Scheu hielt
ihn ab, es darzustellen. Wo es auf griechische oder katholische Vorstellungen
ankam, war. er mit einer reichen Mythologie sehr bald bei der Hand, gleich¬
viel ob er daran glaubte oder nicht. Hier nnn hätten sich die kirchlichen Vor¬
stellungen von selbst aufdrängen sollen, aber er scheuchte sie zurück und wir
wollen im Ganzen sehr damit zufrieden sein, denn bei dem ernsten, sittlichen
Inhalt scheint es uns zweckmäßiger, daß der Dichter bei dem sinnlichen Klang
eines Glaubens stehen blieb, der ihm innerlich fremv war, wenn auch seine
Symbole ihn ahnungsvoll berührten, als daß er sich hier künstlich in eine
Stimmung versetzt hätte, die doch den Eindruck des Gemachtem nicht verwischen
würde. Es war der damaligen Zeit nicht gegeben, die Neigungen des Ge¬
müths mit den sittlichen Ueberzeugungen ins Gleiche zu bringen; aus eigner
Kraft ist es der Dichter überhaupt nicht im Stande und doch wollen wir auch
diesen Ton der Glocke als eine warnende Stimme festhalten, die in das
griechische Schattenreich eindrang und die in süße Selbstvergessenheit gewiegten
Künstler daran erinnerte, daß es noch eine Wirklichkeit gebe.




Die Schlacht zur Zeit Friedrichs des Großen und jetzt.
Vorlesungen über die Taktik. Hinterlassenes Werk des Generals Gustav
von Griesheim. Berlin, Decker 1853. --
Gcscchtslehre der F e it arti l l e rin. von Taubert. Berlin. Decker. 18so.--

Das preußische Heer hatte das Unglück, in Griesheim einen General
von hoher Intelligenz und bedeutendem Organisationstalent zu verlieren. Der


ihrer Vollendung ist von einer wunderbaren Schönheit. In dieser Beziehung
hat das Gedicht einen großen Vorzug vor dem „Spaziergang", mit dem es
am nächsten verwandt ist. Beide Gedichte stellen die Gesammtentwickiung des
Culturlebens dar, das erste die öffentliche, das zweite die individuelle, doch
so, daß beide Gebiete sich fortwährend berühren; aber wenn im „Spazier¬
gang" der Rhythmus (nicht blos das Versmaß) harmonischer ist und daher
einen beruhigenderen Eindruck macht, so übt die symbolische Idee der Glocke
auf die Phantasie einen viel reizendem Eindruck aus. Freilich fehlte bei
diesem Stoff dem Dichter etwas, was er bei der griechischen Weltanschauung
des „Spaziergangs" sich durch die Kunst ersetzen konnte. Die Symbolik der
Glocke ist für ihn eine rein sinnliche, es ist, als ob die Glocke nur zufällig
wie ein Naturlaut bei allen wichtigen Angelegenheiten deS menschlichen,Lebens
ihre eherne Stimme vernehmen ließe. Daß die Glocke ein Zeichen der Kirche,
d. h. ein Symbol von dem Zusammenhang der irdischen und der überirdische«
Welt ist, wußte der Dichter sehr wohl, aber eine eigenthümliche Scheu hielt
ihn ab, es darzustellen. Wo es auf griechische oder katholische Vorstellungen
ankam, war. er mit einer reichen Mythologie sehr bald bei der Hand, gleich¬
viel ob er daran glaubte oder nicht. Hier nnn hätten sich die kirchlichen Vor¬
stellungen von selbst aufdrängen sollen, aber er scheuchte sie zurück und wir
wollen im Ganzen sehr damit zufrieden sein, denn bei dem ernsten, sittlichen
Inhalt scheint es uns zweckmäßiger, daß der Dichter bei dem sinnlichen Klang
eines Glaubens stehen blieb, der ihm innerlich fremv war, wenn auch seine
Symbole ihn ahnungsvoll berührten, als daß er sich hier künstlich in eine
Stimmung versetzt hätte, die doch den Eindruck des Gemachtem nicht verwischen
würde. Es war der damaligen Zeit nicht gegeben, die Neigungen des Ge¬
müths mit den sittlichen Ueberzeugungen ins Gleiche zu bringen; aus eigner
Kraft ist es der Dichter überhaupt nicht im Stande und doch wollen wir auch
diesen Ton der Glocke als eine warnende Stimme festhalten, die in das
griechische Schattenreich eindrang und die in süße Selbstvergessenheit gewiegten
Künstler daran erinnerte, daß es noch eine Wirklichkeit gebe.




Die Schlacht zur Zeit Friedrichs des Großen und jetzt.
Vorlesungen über die Taktik. Hinterlassenes Werk des Generals Gustav
von Griesheim. Berlin, Decker 1853. —
Gcscchtslehre der F e it arti l l e rin. von Taubert. Berlin. Decker. 18so.—

Das preußische Heer hatte das Unglück, in Griesheim einen General
von hoher Intelligenz und bedeutendem Organisationstalent zu verlieren. Der


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[0511] ihrer Vollendung ist von einer wunderbaren Schönheit. In dieser Beziehung hat das Gedicht einen großen Vorzug vor dem „Spaziergang", mit dem es am nächsten verwandt ist. Beide Gedichte stellen die Gesammtentwickiung des Culturlebens dar, das erste die öffentliche, das zweite die individuelle, doch so, daß beide Gebiete sich fortwährend berühren; aber wenn im „Spazier¬ gang" der Rhythmus (nicht blos das Versmaß) harmonischer ist und daher einen beruhigenderen Eindruck macht, so übt die symbolische Idee der Glocke auf die Phantasie einen viel reizendem Eindruck aus. Freilich fehlte bei diesem Stoff dem Dichter etwas, was er bei der griechischen Weltanschauung des „Spaziergangs" sich durch die Kunst ersetzen konnte. Die Symbolik der Glocke ist für ihn eine rein sinnliche, es ist, als ob die Glocke nur zufällig wie ein Naturlaut bei allen wichtigen Angelegenheiten deS menschlichen,Lebens ihre eherne Stimme vernehmen ließe. Daß die Glocke ein Zeichen der Kirche, d. h. ein Symbol von dem Zusammenhang der irdischen und der überirdische« Welt ist, wußte der Dichter sehr wohl, aber eine eigenthümliche Scheu hielt ihn ab, es darzustellen. Wo es auf griechische oder katholische Vorstellungen ankam, war. er mit einer reichen Mythologie sehr bald bei der Hand, gleich¬ viel ob er daran glaubte oder nicht. Hier nnn hätten sich die kirchlichen Vor¬ stellungen von selbst aufdrängen sollen, aber er scheuchte sie zurück und wir wollen im Ganzen sehr damit zufrieden sein, denn bei dem ernsten, sittlichen Inhalt scheint es uns zweckmäßiger, daß der Dichter bei dem sinnlichen Klang eines Glaubens stehen blieb, der ihm innerlich fremv war, wenn auch seine Symbole ihn ahnungsvoll berührten, als daß er sich hier künstlich in eine Stimmung versetzt hätte, die doch den Eindruck des Gemachtem nicht verwischen würde. Es war der damaligen Zeit nicht gegeben, die Neigungen des Ge¬ müths mit den sittlichen Ueberzeugungen ins Gleiche zu bringen; aus eigner Kraft ist es der Dichter überhaupt nicht im Stande und doch wollen wir auch diesen Ton der Glocke als eine warnende Stimme festhalten, die in das griechische Schattenreich eindrang und die in süße Selbstvergessenheit gewiegten Künstler daran erinnerte, daß es noch eine Wirklichkeit gebe. Die Schlacht zur Zeit Friedrichs des Großen und jetzt. Vorlesungen über die Taktik. Hinterlassenes Werk des Generals Gustav von Griesheim. Berlin, Decker 1853. — Gcscchtslehre der F e it arti l l e rin. von Taubert. Berlin. Decker. 18so.— Das preußische Heer hatte das Unglück, in Griesheim einen General von hoher Intelligenz und bedeutendem Organisationstalent zu verlieren. Der

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_99385/511>, abgerufen am 05.12.2024.