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Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, I. Semester. II. Band.

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herzigen Darstellung des bescheidenen Keßler ist' nichts merkwürdiger, als die
heitere Ruhe des gewaltigen Mannes, der unter Acht und Bann durch
Thüringen ritt, im Herzen leidenschaftliche Sorge um die größte Gefahr,
welche seiner Lehre drohte, um den wüthenden Fanatismus seiner eigenen
Parteigenossen.




Correspondenzen.
Aus Konstantinopel.

-- Seit etwa acht Tagen und länger
befinden wir uns hier in einem wahren Strudel militärischer Vorbereitungen, ohne
daß man über deren nächsten operativen Zweck völlig ins Klare zu kommen ver¬
mag. Diese Ungewißheit muß als ein günstiges Zeichen augesehen werden. Zum
ersten Mal in diesem Kriege üben die Verbündeten sich in der bedeutungsvollen
Kunst, hinter dem Schleier des Gerüchts zu agiren. Man spricht nicht mehr rund
heraus, was mau will, wie in den Tagen der Krimexpeditivnsvvrbcreitungen,
wo es den Russen, wenn sie der staunenswerthen Aufrichtigkeit ihrer Gegner ge¬
traut hätten, leicht geworden sein würde, deren Festsetzung in Taurien gleich an¬
fangs unübersteigliche Hindernisse entgegenzustellen.

Seit gestern werden auf allen Einschiffungspunktcu am europäischen Bosporus¬
ufer, die französischen Truppen aus dem Lager von Maslack in Masse embarkirt.
Hcmptsammelort ist Babel, wo auch die meisten Linien- und Dampfschiffe vor Anker
liegen. Soeben marschiren zwei bespannte Batterien an meiner Wohnung vorüber,
der Stelle von Dotma Bagdsche zu. Es war die Artillerie einer vollständigen
Division. Unter den Kanonieren befanden sich blutjunge, beinahe noch knabenhaft
aussehende Burschen.

Ich muß mich leider darauf beschränken, Ihnen die verschiedenen Gerüchte
namhaft zu machen, welche jüngst über die Bestimmung dieser Truppen im Umlauf
waren. Anfangs hieß es, dieselben würden nach Eupatoria dirigirt werden, und
mir schien diese Maßnahme bis zur Stunde am wahrscheinlichsten. Dann ver¬
schaffte sich die Kunde Geltung, daß mau eine massenhafte Landung bei 'Kertsch
unternehmen und mit einem Heere von mindestens 60,000 Mann von dort aus auf
Simpheropvl operiren werde. Endlich lauten die neuesten, oft revvcirten, aber immer
wieder beglaubigten Nachrichten dahin, daß man eine Concentrirung in Barna ans- .
führen, und alsdann von hier aus auf einem beliebigen Punkte der Krim, wahr¬
scheinlich bei Enpatvria, landen wolle, wo man eine befestigte Basis vorfindet nud
je nach Umständen direct in den Rücken des Heers der russischen Krimarmce, oder
auf Perekop marschiren kann, wenn letzteres, in Rücksicht auf die Verpflegung, über¬
haupt möglich ist.

!
-- Wie Sie sich denken werden, hat der schwebende Augen¬
blick für jeden militärischen Beobachter an hiesiger Stelle ein immenses Interesse.
Seit zwei Tagen schifft man auf verschiedene" Punkten des Bosporus die vier


herzigen Darstellung des bescheidenen Keßler ist' nichts merkwürdiger, als die
heitere Ruhe des gewaltigen Mannes, der unter Acht und Bann durch
Thüringen ritt, im Herzen leidenschaftliche Sorge um die größte Gefahr,
welche seiner Lehre drohte, um den wüthenden Fanatismus seiner eigenen
Parteigenossen.




Correspondenzen.
Aus Konstantinopel.

— Seit etwa acht Tagen und länger
befinden wir uns hier in einem wahren Strudel militärischer Vorbereitungen, ohne
daß man über deren nächsten operativen Zweck völlig ins Klare zu kommen ver¬
mag. Diese Ungewißheit muß als ein günstiges Zeichen augesehen werden. Zum
ersten Mal in diesem Kriege üben die Verbündeten sich in der bedeutungsvollen
Kunst, hinter dem Schleier des Gerüchts zu agiren. Man spricht nicht mehr rund
heraus, was mau will, wie in den Tagen der Krimexpeditivnsvvrbcreitungen,
wo es den Russen, wenn sie der staunenswerthen Aufrichtigkeit ihrer Gegner ge¬
traut hätten, leicht geworden sein würde, deren Festsetzung in Taurien gleich an¬
fangs unübersteigliche Hindernisse entgegenzustellen.

Seit gestern werden auf allen Einschiffungspunktcu am europäischen Bosporus¬
ufer, die französischen Truppen aus dem Lager von Maslack in Masse embarkirt.
Hcmptsammelort ist Babel, wo auch die meisten Linien- und Dampfschiffe vor Anker
liegen. Soeben marschiren zwei bespannte Batterien an meiner Wohnung vorüber,
der Stelle von Dotma Bagdsche zu. Es war die Artillerie einer vollständigen
Division. Unter den Kanonieren befanden sich blutjunge, beinahe noch knabenhaft
aussehende Burschen.

Ich muß mich leider darauf beschränken, Ihnen die verschiedenen Gerüchte
namhaft zu machen, welche jüngst über die Bestimmung dieser Truppen im Umlauf
waren. Anfangs hieß es, dieselben würden nach Eupatoria dirigirt werden, und
mir schien diese Maßnahme bis zur Stunde am wahrscheinlichsten. Dann ver¬
schaffte sich die Kunde Geltung, daß mau eine massenhafte Landung bei 'Kertsch
unternehmen und mit einem Heere von mindestens 60,000 Mann von dort aus auf
Simpheropvl operiren werde. Endlich lauten die neuesten, oft revvcirten, aber immer
wieder beglaubigten Nachrichten dahin, daß man eine Concentrirung in Barna ans- .
führen, und alsdann von hier aus auf einem beliebigen Punkte der Krim, wahr¬
scheinlich bei Enpatvria, landen wolle, wo man eine befestigte Basis vorfindet nud
je nach Umständen direct in den Rücken des Heers der russischen Krimarmce, oder
auf Perekop marschiren kann, wenn letzteres, in Rücksicht auf die Verpflegung, über¬
haupt möglich ist.

!
— Wie Sie sich denken werden, hat der schwebende Augen¬
blick für jeden militärischen Beobachter an hiesiger Stelle ein immenses Interesse.
Seit zwei Tagen schifft man auf verschiedene» Punkten des Bosporus die vier


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_99385/397>, abgerufen am 05.12.2024.