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Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, I. Semester. II. Band.

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Festung und Insel Kronstäbe.

Dies Mal ist es nicht Charles Napier, welcher Englands hölzerne Mauer¬
brecher gegen Rußlands granitne Bollwerke in das baltische Meer führt. Er
sitzt mißmuthig in London, ein abgethaner Mann und fuhr sicherlich nicht
nach den Dünen, als zuerst das fliegende Geschwader hinausschweifte nach
dem künftigen Seeschlachtfelde, um die Wege zu sondiren für die diesjährige Ar¬
mada, welche das Werk der Zerstörung wiederaufnehmen soll, woran Charley,
wie er beim Lord Mayoressen behauptete, so hinterlistig vom Ministerium
Aberdeen-Graham gehindert wurde. Richard Saunders Dundas heißt der
Admiral, dessen Flagge dies Mal über dem "Duke of Wellington" flattert.

Ernst und schweigsam lichtete die Ostseeflotte, wol die gewaltigste, die je auf
Erden beisammen war, ihre Anker, am 6. April im Hasen von Spithead. Stolze,
hoffnungsvolle Abschiedsgrüße jubelte ihr vorm Jahre die enthusiastische Volks¬
menge vom Ufer nach; dies Mal keine Königin, kein Publicum, kein Zuruf,
kein Geschützgruß, kein Tücherwinken. Nur der graue Nebelhimmel über der
mißmuthig hohlgehenden See. Fast auch nur wie einen Beinbruch oder einen
Zuchtpolizeifall schriebens die Zeitungen am andern Tage, daß sie hinaus¬
gesegelt und hinausgedampst sei. Das steht' aus, wie dumpfe Hoffnungs¬
losigkeit -- wenns nicht das Erbitterungsschweigen ist, zum Kampfe bis aufs
Messer und zum Würgen mit der nackten Faust. John Bull ist ein verschloß-
ner Mann, der tüchtig zu handeln und destoweniger zu sprechen liebt. ES
saßen nur schlaffe Männer am Staatsruder. Wird Palmerston mit Wood
straffer sein? -- Die gutmüthigen Deutschen bleiben sich aber gleich. Am
18. April telegraphirte mans mit Eifer von Nyborg, daß die englische Ost¬
seeflotte königlich stolz, Mast an Mast, die Flaggen weithinflatternd, die noch
schweigsamen Kanonenlucken geöffnet, in unabsehbarer Reihe den großen Belt
durchziehe. Und ehe sie noch am 19. in vornehmer Langsamkeit nach und
nach den Hafen von Kiel anläuft, hat Norddeutschland zu ihrer Begrüßung
und Bewunderung bereits Hunderte von Menschen gesendet.

Dort liegt sie ruhend von der friedlichen Fahrt über die Nordsee. Ost¬
wärts plätschern unabsehbar die olivengrünen spitzen Ostseewellen. -- Wohin
das fliegende Geschwader sich gewendet -- noch weiß mans nicht. Vielleicht


Grenzboten. II. -I8so. 3-1
Festung und Insel Kronstäbe.

Dies Mal ist es nicht Charles Napier, welcher Englands hölzerne Mauer¬
brecher gegen Rußlands granitne Bollwerke in das baltische Meer führt. Er
sitzt mißmuthig in London, ein abgethaner Mann und fuhr sicherlich nicht
nach den Dünen, als zuerst das fliegende Geschwader hinausschweifte nach
dem künftigen Seeschlachtfelde, um die Wege zu sondiren für die diesjährige Ar¬
mada, welche das Werk der Zerstörung wiederaufnehmen soll, woran Charley,
wie er beim Lord Mayoressen behauptete, so hinterlistig vom Ministerium
Aberdeen-Graham gehindert wurde. Richard Saunders Dundas heißt der
Admiral, dessen Flagge dies Mal über dem „Duke of Wellington" flattert.

Ernst und schweigsam lichtete die Ostseeflotte, wol die gewaltigste, die je auf
Erden beisammen war, ihre Anker, am 6. April im Hasen von Spithead. Stolze,
hoffnungsvolle Abschiedsgrüße jubelte ihr vorm Jahre die enthusiastische Volks¬
menge vom Ufer nach; dies Mal keine Königin, kein Publicum, kein Zuruf,
kein Geschützgruß, kein Tücherwinken. Nur der graue Nebelhimmel über der
mißmuthig hohlgehenden See. Fast auch nur wie einen Beinbruch oder einen
Zuchtpolizeifall schriebens die Zeitungen am andern Tage, daß sie hinaus¬
gesegelt und hinausgedampst sei. Das steht' aus, wie dumpfe Hoffnungs¬
losigkeit — wenns nicht das Erbitterungsschweigen ist, zum Kampfe bis aufs
Messer und zum Würgen mit der nackten Faust. John Bull ist ein verschloß-
ner Mann, der tüchtig zu handeln und destoweniger zu sprechen liebt. ES
saßen nur schlaffe Männer am Staatsruder. Wird Palmerston mit Wood
straffer sein? — Die gutmüthigen Deutschen bleiben sich aber gleich. Am
18. April telegraphirte mans mit Eifer von Nyborg, daß die englische Ost¬
seeflotte königlich stolz, Mast an Mast, die Flaggen weithinflatternd, die noch
schweigsamen Kanonenlucken geöffnet, in unabsehbarer Reihe den großen Belt
durchziehe. Und ehe sie noch am 19. in vornehmer Langsamkeit nach und
nach den Hafen von Kiel anläuft, hat Norddeutschland zu ihrer Begrüßung
und Bewunderung bereits Hunderte von Menschen gesendet.

Dort liegt sie ruhend von der friedlichen Fahrt über die Nordsee. Ost¬
wärts plätschern unabsehbar die olivengrünen spitzen Ostseewellen. — Wohin
das fliegende Geschwader sich gewendet — noch weiß mans nicht. Vielleicht


Grenzboten. II. -I8so. 3-1
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[0249] Festung und Insel Kronstäbe. Dies Mal ist es nicht Charles Napier, welcher Englands hölzerne Mauer¬ brecher gegen Rußlands granitne Bollwerke in das baltische Meer führt. Er sitzt mißmuthig in London, ein abgethaner Mann und fuhr sicherlich nicht nach den Dünen, als zuerst das fliegende Geschwader hinausschweifte nach dem künftigen Seeschlachtfelde, um die Wege zu sondiren für die diesjährige Ar¬ mada, welche das Werk der Zerstörung wiederaufnehmen soll, woran Charley, wie er beim Lord Mayoressen behauptete, so hinterlistig vom Ministerium Aberdeen-Graham gehindert wurde. Richard Saunders Dundas heißt der Admiral, dessen Flagge dies Mal über dem „Duke of Wellington" flattert. Ernst und schweigsam lichtete die Ostseeflotte, wol die gewaltigste, die je auf Erden beisammen war, ihre Anker, am 6. April im Hasen von Spithead. Stolze, hoffnungsvolle Abschiedsgrüße jubelte ihr vorm Jahre die enthusiastische Volks¬ menge vom Ufer nach; dies Mal keine Königin, kein Publicum, kein Zuruf, kein Geschützgruß, kein Tücherwinken. Nur der graue Nebelhimmel über der mißmuthig hohlgehenden See. Fast auch nur wie einen Beinbruch oder einen Zuchtpolizeifall schriebens die Zeitungen am andern Tage, daß sie hinaus¬ gesegelt und hinausgedampst sei. Das steht' aus, wie dumpfe Hoffnungs¬ losigkeit — wenns nicht das Erbitterungsschweigen ist, zum Kampfe bis aufs Messer und zum Würgen mit der nackten Faust. John Bull ist ein verschloß- ner Mann, der tüchtig zu handeln und destoweniger zu sprechen liebt. ES saßen nur schlaffe Männer am Staatsruder. Wird Palmerston mit Wood straffer sein? — Die gutmüthigen Deutschen bleiben sich aber gleich. Am 18. April telegraphirte mans mit Eifer von Nyborg, daß die englische Ost¬ seeflotte königlich stolz, Mast an Mast, die Flaggen weithinflatternd, die noch schweigsamen Kanonenlucken geöffnet, in unabsehbarer Reihe den großen Belt durchziehe. Und ehe sie noch am 19. in vornehmer Langsamkeit nach und nach den Hafen von Kiel anläuft, hat Norddeutschland zu ihrer Begrüßung und Bewunderung bereits Hunderte von Menschen gesendet. Dort liegt sie ruhend von der friedlichen Fahrt über die Nordsee. Ost¬ wärts plätschern unabsehbar die olivengrünen spitzen Ostseewellen. — Wohin das fliegende Geschwader sich gewendet — noch weiß mans nicht. Vielleicht Grenzboten. II. -I8so. 3-1

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_99385/249>, abgerufen am 29.06.2024.