Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, I. Semester. II. Band.aber den Verstand nicht beleidigen soll, so muß sie der Dichter bereits so Das neue Ministerium in Belgien. Grade >vier Wochen lang, vom 2. bis zum 30. März, hatte die Geburt Das neue Ministerium findet in der öffentlichen Meinung, die bei uns aber den Verstand nicht beleidigen soll, so muß sie der Dichter bereits so Das neue Ministerium in Belgien. Grade >vier Wochen lang, vom 2. bis zum 30. März, hatte die Geburt Das neue Ministerium findet in der öffentlichen Meinung, die bei uns <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0220" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/99606"/> <p xml:id="ID_745" prev="#ID_744"> aber den Verstand nicht beleidigen soll, so muß sie der Dichter bereits so<lb/> empfunden haben, daß sie sich dieser Form von selbst fügt. Wer darin eine<lb/> Beeinträchtigung der poetischen Freiheit sucht, verwechselt die Freiheit mit<lb/> Anarchie, uno so geschieht es bei den modernen Künstlern der Zukunft, die<lb/> das reine Formgefühl unterdrückt haben und deshalb bereits in der Anlage die<lb/> Möglichkeit jeder Form abschneiden. Weil der Versasser dies Gesetz scharf¬<lb/> sinnig und eindringlich erörtert hat, verdient er die Aufmerksamkeit aller derer,<lb/> denen es nicht um ein bloßes unbestimmtes Gefühl zu thun ist, sondern die sich<lb/> klares Bewußtsein bilden wollen. Auch wir gehören zu diesem Kreise; aber<lb/> wenn wir dem Gefühl nicht die höchste Instanz einräumen, auch in der Musik<lb/> nicht, so wollen wir deshalb doch den mächtigen Einfluß des Gefühls und<lb/> die Nothwendigkeit desselben nicht verkennen, denn das wäre Wandalismus.</p><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> </div> <div n="1"> <head> Das neue Ministerium in Belgien.</head><lb/> <p xml:id="ID_746"> Grade >vier Wochen lang, vom 2. bis zum 30. März, hatte die Geburt<lb/> des jetzt das Staatsruder führenden Ministeriums gedauert, und, was wir seit<lb/> beinahe acht Jahren nicht mehr erlebt haben, ein klerikales Ministerium,<lb/> mit allen seinen retrograden Gelüsten, befindet sich wieder einmal an der<lb/> Spitze der Geschäfte. Das letzte klerikale Ministerium war das des Gra¬<lb/> fen de Theur, welches im August dem liberalen Ministerium Rogier<lb/> Platz machte. Hätte die Rechte ein Cabinet bilden können, aus Männern<lb/> bestehend,^ die alle von einer politischen Ehrlichkeit so rein und unverdächtig,<lb/> wie die des Herrn de Theur, das Land würde für die Zukunft seiner freisin¬<lb/> nigen Institutionen weniger zu befürchten haben. Aber gewisse Herren von<lb/> der Rechten haben seit einigen Jahren ihre Namen in den mehr als zwei¬<lb/> deutigen Intriguen gewisser industrieller Gesellschaften compromittirt, und wie¬<lb/> der andere ha^en in letzter Zeit ihre Doctrinen verdorben mit der Beistimmung<lb/> zu den Theorien eines glücklichen Despotismus, der den humanen Fortschritt<lb/> und die Freiheit leugnet, weil er bis dahin ersolgsglücklich und reich genug<lb/> gewesen ist, um sich der Unterstützung von einer halben Million von Bajonet¬<lb/> ten zu versichern.</p><lb/> <p xml:id="ID_747" next="#ID_748"> Das neue Ministerium findet in der öffentlichen Meinung, die bei uns<lb/> noch ihre mächtige Wirkung hat, durch seineu Ursprung, durch seinen politi¬<lb/> schen Charakter und seine Zusammensetzung eine ernsthafte Repulsion. Sein<lb/> Ursprung ist nicht ehrenwerth; sein politischer Charakter ist in manifestirter<lb/> Opposition mit der Gesinnung der großen Majorität des Landes, die sich noch</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0220]
aber den Verstand nicht beleidigen soll, so muß sie der Dichter bereits so
empfunden haben, daß sie sich dieser Form von selbst fügt. Wer darin eine
Beeinträchtigung der poetischen Freiheit sucht, verwechselt die Freiheit mit
Anarchie, uno so geschieht es bei den modernen Künstlern der Zukunft, die
das reine Formgefühl unterdrückt haben und deshalb bereits in der Anlage die
Möglichkeit jeder Form abschneiden. Weil der Versasser dies Gesetz scharf¬
sinnig und eindringlich erörtert hat, verdient er die Aufmerksamkeit aller derer,
denen es nicht um ein bloßes unbestimmtes Gefühl zu thun ist, sondern die sich
klares Bewußtsein bilden wollen. Auch wir gehören zu diesem Kreise; aber
wenn wir dem Gefühl nicht die höchste Instanz einräumen, auch in der Musik
nicht, so wollen wir deshalb doch den mächtigen Einfluß des Gefühls und
die Nothwendigkeit desselben nicht verkennen, denn das wäre Wandalismus.
Das neue Ministerium in Belgien.
Grade >vier Wochen lang, vom 2. bis zum 30. März, hatte die Geburt
des jetzt das Staatsruder führenden Ministeriums gedauert, und, was wir seit
beinahe acht Jahren nicht mehr erlebt haben, ein klerikales Ministerium,
mit allen seinen retrograden Gelüsten, befindet sich wieder einmal an der
Spitze der Geschäfte. Das letzte klerikale Ministerium war das des Gra¬
fen de Theur, welches im August dem liberalen Ministerium Rogier
Platz machte. Hätte die Rechte ein Cabinet bilden können, aus Männern
bestehend,^ die alle von einer politischen Ehrlichkeit so rein und unverdächtig,
wie die des Herrn de Theur, das Land würde für die Zukunft seiner freisin¬
nigen Institutionen weniger zu befürchten haben. Aber gewisse Herren von
der Rechten haben seit einigen Jahren ihre Namen in den mehr als zwei¬
deutigen Intriguen gewisser industrieller Gesellschaften compromittirt, und wie¬
der andere ha^en in letzter Zeit ihre Doctrinen verdorben mit der Beistimmung
zu den Theorien eines glücklichen Despotismus, der den humanen Fortschritt
und die Freiheit leugnet, weil er bis dahin ersolgsglücklich und reich genug
gewesen ist, um sich der Unterstützung von einer halben Million von Bajonet¬
ten zu versichern.
Das neue Ministerium findet in der öffentlichen Meinung, die bei uns
noch ihre mächtige Wirkung hat, durch seineu Ursprung, durch seinen politi¬
schen Charakter und seine Zusammensetzung eine ernsthafte Repulsion. Sein
Ursprung ist nicht ehrenwerth; sein politischer Charakter ist in manifestirter
Opposition mit der Gesinnung der großen Majorität des Landes, die sich noch
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