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Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, I. Semester. I. Band.

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tiges Naasegel beisetzen. "Wir haben mit dem Segel die Schwankungen minder
zu fürchten," sagt er beruhigend zu einigen ängstlichen Gesichtern, "das Schiff
gleitet besser aus den Wellen, wenn es Linnen vor dem Mast zu tragen hat/'
Als das Meer erreicht ist, läutet die Schiffsglocke zum Thee. Aber der Hälfte
der Passagiere ist der Appetit vergangen. Wenn sie dennoch hinuntergehen,
geschieht es-nur, um dem Sprühregen auszuweichen, den die am Bug des
Schiffes verstaubenden hohen Wellen über das Deck werfen. Wolken ziehen
auf, es wird finster; die Nacht verspricht unruhig zu werden.


III.
Das schwarze Meer.

Man nennt den Eurin nicht mit Unrecht das schwarze Meer. Auch beim
heitersten Wetter ist seine Flut dunkelgrün; wenn aber Wolken am Himmel
stehen, nehmen seine Wogen eine finstere Farbe an, gegen welche der weiße
blitzende'Schaum auf den Gipfeln der runden, schwellenden Wasserberge grell
absticht.

Es-war gegen zehn Uhr, also am Scheidepunkt des Abends von der Nacht.
Das Naasegel am Vormast war eingenommen worden, und das' Schiff trieb
mit vollem Dampf einem scharfwehenden Nordwestwind entgegen. Die See
war unruhig; links, in Entfernung von zwei oder drei Seemeilen dehnte sich
eine bergige Küste aus, der Strand Rumeliens, südwärts leuchtete der Mond
dann und wann hinter Wolken hervor, deren Piedestal die Berge Kleinasiens
zu sein schienen, von denen sie scheinbar die Spitzen berührten; vorwärts und
rechts hatte man die unermeßliche, schrankenlose Oede des Meeres.

Von einer Fahrt unter solchen Umstände", bei Nacht, ist wenig zu berichten.
Phosphorisch leuchtend zieht das. Fahrzeug drei breite weiße Spuren, vom Kiel
und den beiden Schaufelrädern herrührend, nach sich; das Brausen, mit dem
die Wellen am Bug. des Schiffes sich brechen, das schwere Stöhnen, mit dem
sie gegen seine Flanken schlagen, dazu das Geklapper und Schnauben der
Maschine machen zusammen ein Concert, in welches dann und wann ein Wind¬
stoß heulend einfällt und das monoton und unterbrechungslos fortdauert von
Stunde zu Stunde. Kein Segel ist in Sicht, denn der Horizont ist bei Nacht
verhältnismäßig eng und der Pontus ist außerdem ein wenig befahrenes Meer.
Als der Tag endlich graut, sind wir der Küste um ein bedeutendes näher.
Sie ist ziemlich steil, ohne von bedeutender Höhe zu sein, steigt aber dann all-
mälig an. Parallel mit ihr und nicht allzuweit davon entfernt zieht ein
niedriges Gebirge, Strandscha- (auch Strandschea) Kette genannt. ES ist mit
Unterholz bewaldet; der Hochwald ist schon seit einem Jahrhundert und länger
theils durch Ausnutzung, theils durch Brand verloren gegangen, und es steht


tiges Naasegel beisetzen. „Wir haben mit dem Segel die Schwankungen minder
zu fürchten," sagt er beruhigend zu einigen ängstlichen Gesichtern, „das Schiff
gleitet besser aus den Wellen, wenn es Linnen vor dem Mast zu tragen hat/'
Als das Meer erreicht ist, läutet die Schiffsglocke zum Thee. Aber der Hälfte
der Passagiere ist der Appetit vergangen. Wenn sie dennoch hinuntergehen,
geschieht es-nur, um dem Sprühregen auszuweichen, den die am Bug des
Schiffes verstaubenden hohen Wellen über das Deck werfen. Wolken ziehen
auf, es wird finster; die Nacht verspricht unruhig zu werden.


III.
Das schwarze Meer.

Man nennt den Eurin nicht mit Unrecht das schwarze Meer. Auch beim
heitersten Wetter ist seine Flut dunkelgrün; wenn aber Wolken am Himmel
stehen, nehmen seine Wogen eine finstere Farbe an, gegen welche der weiße
blitzende'Schaum auf den Gipfeln der runden, schwellenden Wasserberge grell
absticht.

Es-war gegen zehn Uhr, also am Scheidepunkt des Abends von der Nacht.
Das Naasegel am Vormast war eingenommen worden, und das' Schiff trieb
mit vollem Dampf einem scharfwehenden Nordwestwind entgegen. Die See
war unruhig; links, in Entfernung von zwei oder drei Seemeilen dehnte sich
eine bergige Küste aus, der Strand Rumeliens, südwärts leuchtete der Mond
dann und wann hinter Wolken hervor, deren Piedestal die Berge Kleinasiens
zu sein schienen, von denen sie scheinbar die Spitzen berührten; vorwärts und
rechts hatte man die unermeßliche, schrankenlose Oede des Meeres.

Von einer Fahrt unter solchen Umstände», bei Nacht, ist wenig zu berichten.
Phosphorisch leuchtend zieht das. Fahrzeug drei breite weiße Spuren, vom Kiel
und den beiden Schaufelrädern herrührend, nach sich; das Brausen, mit dem
die Wellen am Bug. des Schiffes sich brechen, das schwere Stöhnen, mit dem
sie gegen seine Flanken schlagen, dazu das Geklapper und Schnauben der
Maschine machen zusammen ein Concert, in welches dann und wann ein Wind¬
stoß heulend einfällt und das monoton und unterbrechungslos fortdauert von
Stunde zu Stunde. Kein Segel ist in Sicht, denn der Horizont ist bei Nacht
verhältnismäßig eng und der Pontus ist außerdem ein wenig befahrenes Meer.
Als der Tag endlich graut, sind wir der Küste um ein bedeutendes näher.
Sie ist ziemlich steil, ohne von bedeutender Höhe zu sein, steigt aber dann all-
mälig an. Parallel mit ihr und nicht allzuweit davon entfernt zieht ein
niedriges Gebirge, Strandscha- (auch Strandschea) Kette genannt. ES ist mit
Unterholz bewaldet; der Hochwald ist schon seit einem Jahrhundert und länger
theils durch Ausnutzung, theils durch Brand verloren gegangen, und es steht


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[0198] tiges Naasegel beisetzen. „Wir haben mit dem Segel die Schwankungen minder zu fürchten," sagt er beruhigend zu einigen ängstlichen Gesichtern, „das Schiff gleitet besser aus den Wellen, wenn es Linnen vor dem Mast zu tragen hat/' Als das Meer erreicht ist, läutet die Schiffsglocke zum Thee. Aber der Hälfte der Passagiere ist der Appetit vergangen. Wenn sie dennoch hinuntergehen, geschieht es-nur, um dem Sprühregen auszuweichen, den die am Bug des Schiffes verstaubenden hohen Wellen über das Deck werfen. Wolken ziehen auf, es wird finster; die Nacht verspricht unruhig zu werden. III. Das schwarze Meer. Man nennt den Eurin nicht mit Unrecht das schwarze Meer. Auch beim heitersten Wetter ist seine Flut dunkelgrün; wenn aber Wolken am Himmel stehen, nehmen seine Wogen eine finstere Farbe an, gegen welche der weiße blitzende'Schaum auf den Gipfeln der runden, schwellenden Wasserberge grell absticht. Es-war gegen zehn Uhr, also am Scheidepunkt des Abends von der Nacht. Das Naasegel am Vormast war eingenommen worden, und das' Schiff trieb mit vollem Dampf einem scharfwehenden Nordwestwind entgegen. Die See war unruhig; links, in Entfernung von zwei oder drei Seemeilen dehnte sich eine bergige Küste aus, der Strand Rumeliens, südwärts leuchtete der Mond dann und wann hinter Wolken hervor, deren Piedestal die Berge Kleinasiens zu sein schienen, von denen sie scheinbar die Spitzen berührten; vorwärts und rechts hatte man die unermeßliche, schrankenlose Oede des Meeres. Von einer Fahrt unter solchen Umstände», bei Nacht, ist wenig zu berichten. Phosphorisch leuchtend zieht das. Fahrzeug drei breite weiße Spuren, vom Kiel und den beiden Schaufelrädern herrührend, nach sich; das Brausen, mit dem die Wellen am Bug. des Schiffes sich brechen, das schwere Stöhnen, mit dem sie gegen seine Flanken schlagen, dazu das Geklapper und Schnauben der Maschine machen zusammen ein Concert, in welches dann und wann ein Wind¬ stoß heulend einfällt und das monoton und unterbrechungslos fortdauert von Stunde zu Stunde. Kein Segel ist in Sicht, denn der Horizont ist bei Nacht verhältnismäßig eng und der Pontus ist außerdem ein wenig befahrenes Meer. Als der Tag endlich graut, sind wir der Küste um ein bedeutendes näher. Sie ist ziemlich steil, ohne von bedeutender Höhe zu sein, steigt aber dann all- mälig an. Parallel mit ihr und nicht allzuweit davon entfernt zieht ein niedriges Gebirge, Strandscha- (auch Strandschea) Kette genannt. ES ist mit Unterholz bewaldet; der Hochwald ist schon seit einem Jahrhundert und länger theils durch Ausnutzung, theils durch Brand verloren gegangen, und es steht

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_98851/198>, abgerufen am 22.07.2024.