Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, I. Semester. II. Band.Schwächung keine passende Gelegenheit findet. Die russische Regierung ist bekanntlich Schwächung keine passende Gelegenheit findet. Die russische Regierung ist bekanntlich <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0447" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/98227"/> <p xml:id="ID_1428" prev="#ID_1427"> Schwächung keine passende Gelegenheit findet. Die russische Regierung ist bekanntlich<lb/> dieser Mahnung ihrer natürlichen Politik stets gefolgt. Es versteht sich von selbst,<lb/> daß diese Schwächung der Nachbarstaaten nicht in Zerstörung ausarten oder uicht<lb/> bis zur Unmacht getrieben werden darf, weil daraus die Gesahr der Neubildung<lb/> eines andern mächtigen Staats oder der Abhängigkeit von einem entfernteren Neben¬<lb/> buhler erwachsen könnte. Deshalb war die „edeln Uneigennützigkeit", aus welcher<lb/> der im Jahre 18i9 Oestreich geleistete Beistand entsprang, zugleich eine in Ru߬<lb/> lands eignen Interessen nothwendige Maßregel. 3) Ein naturwüchsiger, namhafter,<lb/> bestandhaltender und allgemeiner Aufschwung der landwirthschaftlichen wie der ver¬<lb/> edelnden Erwerbe, der Schiffahrt und der andern Zweige des Verkehrs, ist nur<lb/> möglich, wenn Rußland mehr brauchbare Wasscrgrenzen und mehr mildere Land¬<lb/> striche bekommt. Jetzt ist das Reich nichts als: theilweise ein Riesenkörper, der zu<lb/> schwerfällig ist zur nothwendigen Bewegung, theils eine ungeheure Masse, die vom<lb/> eignen Fette fast erstickt wird. Das Mittelmeer und die Nordsee müssen daher als<lb/> die natürlichen Grenzen des russischen Reichs betrachtet werden; dort erst ist Raum<lb/> zur Bewegung für seinen Riesenleib; dorthin ist der natürliche Abzug seines Fctt-<lb/> überflusses. i) Die wirkliche Machteutwicklnng Rußlands außerhalb seiner Grenzen<lb/> ist jetzt von so vielen Zufälligkeiten abhängig, daß auch sein Einfluß nicht fester<lb/> begründet sein würde, wenn nicht Vorurtheil und Unverstand ihm wichtige Dienste<lb/> geleistet hätten. S) Die Aehnlichkeit staatlicher Einrichtungen kann keine Anziehungs¬<lb/> kraft sür Nußland zu andern Staaten, oder umgekehrt, ausüben; weil die Verhält¬<lb/> nisse der Verfassung und Verwaltung in Rußland so eigenthümlich sind, daß sie<lb/> ihres Gleichen in Europa nicht finden. Dagegen haben diejenigen Regierungen,<lb/> welche — in den Besorgnissen vor Revolutionen von unten und im Systeme zu<lb/> deren Vorbeugung — mit den russischen Ansichten übereinstimmten, bis auf die<lb/> neueste Zeit die Beherrscher Rußlands als geborne Schirmhcrrn monarchisch-<lb/> conservativer Grundsätze und als natürliche Feinde jeder Volksfreiheit betrachtet.<lb/> Sie haben bekanntlich darin geirrt, denn die russische Regierung hat niemals verkannt<lb/> (wenn auch nicht ausposaunt), daß es naturgemäße Rücksichten der Politik gibt,<lb/> vor denen das wandelbare und zufällige System der Bekämpfung der Revolution<lb/> — bei weitem zurücktreten muß. 6) Da die Religion mit der weltlichen Macht in<lb/> Rußland ein gemeinsames Haupt hat, kann sie zu vielen Zwecken benutzt werden,<lb/> denen sie sonst nicht dienen würde. Die Ausbildung einer selbstständigen russischen<lb/> Nationalität und das Einschmelzen aller übrigen Bestandtheile der Bevölkerung in<lb/> dieselbe ist so sehr Gegenstand besonderer Sorgfalt der Regierung feit ISO Jahren<lb/> gewesen, daß die dcsfallstgen Bemühungen im größten Theile des Reiches mit Erfolg<lb/> gekrönt worden sind. Unter diesen Umständen können auch die panslawistischen und<lb/> hellenistischen Nationalitäts- und NeligionSumtriebe der russischen Regierung keines¬<lb/> wegs ausfallend erscheinen, müssen vielmehr lediglich als eine folgerechte Erweiterung<lb/> des Wirkungskreises zur Durchführung eines naturgemäßen Grundsatzes der russischen<lb/> Politik sich darstellen. 7) Die traditionelle Hauspolitik beginnt mit dem Testament<lb/> Peter des Großen und ist seitdem mit der größten Konsequenz festgehalten. Sogar<lb/> das System der Aufwiegelung der Unterthanen gegen die Regierungen, mit<lb/> welchen Rußland Krieg führt, scheint Theil der Hauspolitik zu sein. Denn<lb/> schon Peter der Große hat es gegen den König von Schweden .angewendet.</p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0447]
Schwächung keine passende Gelegenheit findet. Die russische Regierung ist bekanntlich
dieser Mahnung ihrer natürlichen Politik stets gefolgt. Es versteht sich von selbst,
daß diese Schwächung der Nachbarstaaten nicht in Zerstörung ausarten oder uicht
bis zur Unmacht getrieben werden darf, weil daraus die Gesahr der Neubildung
eines andern mächtigen Staats oder der Abhängigkeit von einem entfernteren Neben¬
buhler erwachsen könnte. Deshalb war die „edeln Uneigennützigkeit", aus welcher
der im Jahre 18i9 Oestreich geleistete Beistand entsprang, zugleich eine in Ru߬
lands eignen Interessen nothwendige Maßregel. 3) Ein naturwüchsiger, namhafter,
bestandhaltender und allgemeiner Aufschwung der landwirthschaftlichen wie der ver¬
edelnden Erwerbe, der Schiffahrt und der andern Zweige des Verkehrs, ist nur
möglich, wenn Rußland mehr brauchbare Wasscrgrenzen und mehr mildere Land¬
striche bekommt. Jetzt ist das Reich nichts als: theilweise ein Riesenkörper, der zu
schwerfällig ist zur nothwendigen Bewegung, theils eine ungeheure Masse, die vom
eignen Fette fast erstickt wird. Das Mittelmeer und die Nordsee müssen daher als
die natürlichen Grenzen des russischen Reichs betrachtet werden; dort erst ist Raum
zur Bewegung für seinen Riesenleib; dorthin ist der natürliche Abzug seines Fctt-
überflusses. i) Die wirkliche Machteutwicklnng Rußlands außerhalb seiner Grenzen
ist jetzt von so vielen Zufälligkeiten abhängig, daß auch sein Einfluß nicht fester
begründet sein würde, wenn nicht Vorurtheil und Unverstand ihm wichtige Dienste
geleistet hätten. S) Die Aehnlichkeit staatlicher Einrichtungen kann keine Anziehungs¬
kraft sür Nußland zu andern Staaten, oder umgekehrt, ausüben; weil die Verhält¬
nisse der Verfassung und Verwaltung in Rußland so eigenthümlich sind, daß sie
ihres Gleichen in Europa nicht finden. Dagegen haben diejenigen Regierungen,
welche — in den Besorgnissen vor Revolutionen von unten und im Systeme zu
deren Vorbeugung — mit den russischen Ansichten übereinstimmten, bis auf die
neueste Zeit die Beherrscher Rußlands als geborne Schirmhcrrn monarchisch-
conservativer Grundsätze und als natürliche Feinde jeder Volksfreiheit betrachtet.
Sie haben bekanntlich darin geirrt, denn die russische Regierung hat niemals verkannt
(wenn auch nicht ausposaunt), daß es naturgemäße Rücksichten der Politik gibt,
vor denen das wandelbare und zufällige System der Bekämpfung der Revolution
— bei weitem zurücktreten muß. 6) Da die Religion mit der weltlichen Macht in
Rußland ein gemeinsames Haupt hat, kann sie zu vielen Zwecken benutzt werden,
denen sie sonst nicht dienen würde. Die Ausbildung einer selbstständigen russischen
Nationalität und das Einschmelzen aller übrigen Bestandtheile der Bevölkerung in
dieselbe ist so sehr Gegenstand besonderer Sorgfalt der Regierung feit ISO Jahren
gewesen, daß die dcsfallstgen Bemühungen im größten Theile des Reiches mit Erfolg
gekrönt worden sind. Unter diesen Umständen können auch die panslawistischen und
hellenistischen Nationalitäts- und NeligionSumtriebe der russischen Regierung keines¬
wegs ausfallend erscheinen, müssen vielmehr lediglich als eine folgerechte Erweiterung
des Wirkungskreises zur Durchführung eines naturgemäßen Grundsatzes der russischen
Politik sich darstellen. 7) Die traditionelle Hauspolitik beginnt mit dem Testament
Peter des Großen und ist seitdem mit der größten Konsequenz festgehalten. Sogar
das System der Aufwiegelung der Unterthanen gegen die Regierungen, mit
welchen Rußland Krieg führt, scheint Theil der Hauspolitik zu sein. Denn
schon Peter der Große hat es gegen den König von Schweden .angewendet.
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