Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, I. Semester. II. Band.Interesse für unsre alte' Literatur nutbringt. Es enthält den vollständigen li¬ Interesse für unsre alte' Literatur nutbringt. Es enthält den vollständigen li¬ <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0280" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/98060"/> <p xml:id="ID_862" prev="#ID_861"> Interesse für unsre alte' Literatur nutbringt. Es enthält den vollständigen li¬<lb/> terarhistorischen und grammatischen Commentar und ist aus sich heraus zu<lb/> verstehen, wenn es auch freilich nicht in die Classe der leichten Lectüre gehört,<lb/> wie die beliebten Verdeutschungen der altdeutschen Gedichte, sondern ernsthaft<lb/> studirt'sein will. Darum wäre es zu wünschen, daß nicht blos die gelehrte<lb/> Welt, die sich ohnehin diese Arbeit nicht wird entgehen lassen, sondern auch<lb/> das größere Publicum davon Notiz nähnie. Da allgemein der Sinn für un¬<lb/> sere ältere Geschichte und Literatur frisch und aufgeweckt emporstrebe, so wird<lb/> dieses Gedicht, in welchem eine bedeutende und merkwürdige Culturperiode<lb/> unsres Volks auf das deutlichste sich abspiegelt, gewiß auch in größeren Kreisen<lb/> Interesse erregen. Der Herausgeber hat sich durch seine natürliche Vorliebe<lb/> für,seinen Gegenstand nicht verführen lassen, dem Gedicht einen größeren poe¬<lb/> tischen Werth beizulegen, als es in der That besitzt. Er analystrt es vielmehr<lb/> auf das unbarmherzigste als eine Neminiscenzensammlung, die aber durch ih¬<lb/> ren eigenthümlichen Ton, ihre Färbung und ihre Beziehung auf die Zustände<lb/> der damaligen Zeit sich zu einem allgemein beliebten und bewunderten Volks¬<lb/> buch machte, weil die Zeit ihren eignen Charakter in ihr wiedererkannte: eine<lb/> gutgesinnte Unproductivität, voll von allgemeinen Wünschen und Erwartungen,<lb/> mißtrauisch in ihre eigne Kraft und zu bitterer ironischer Auffassung des Le¬<lb/> bens geneigt, aber von unbestimmten Vorempsindungen durchdrungen, die auf<lb/> eine größere Zukunft hindeuteten. In der Einleitung, sucht der Herausgeber<lb/> das eigenthümliche Verhältniß der großen Gährung, welche am Ende des<lb/> -Ul. Jahrhunderts ausbrach, zu den traditionellen Streitigkeiten und Erör¬<lb/> terungen der Schulen zu erläutern. Unter den beiden philosophischen Schulen,<lb/> die oft in einer Weise wie die Circuöparteien bei den Byzantinern um den<lb/> Vorrang stritten, wurden die Nominalisten als die Neuerer angesehen, die<lb/> Realisten als die Rechtgläubigen. Trotzdem ging von dem Kreise der letz¬<lb/> teren die gelehrte Thätigkeit aus, welche nicht grade mit der geistigen Wieder¬<lb/> geburt der Nation zusammenfiel, aber ihr wenigstens den Stoff gab. Wie<lb/> nun diese sonderbare Erscheinung sich aus verschiedenen mitwirkenden Umstän¬<lb/> den, aus persönlichen Verhältnissen und dergleichen erklären läßt, hat der Her¬<lb/> ausgeber im einzelnen sehr geschickt nachgewiesen, zugleich aber auch daraus<lb/> hingedeutet, daß noch ein innerer Grund obwaltete, weil in dem Realismus,<lb/> abgesehen von seinem metaphysischen Inhalt, zugleich eine Opposition gegen die<lb/> scholastischen Spitzfindigkeiten überhaupt enthalten war. Wenn Herr Zarncke<lb/> sich zuweilen über jene Männer mit einem Eifer ausspricht, als wären es Geg¬<lb/> ner, die man noch heute zu bekämpfen hätte, so liegt das in einer löblichen<lb/> . Vertiefung in den Gegenstand, welche die augenblickliche Lage der Dinge ganz<lb/> aus dem Gesicht rückt.</p><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0280]
Interesse für unsre alte' Literatur nutbringt. Es enthält den vollständigen li¬
terarhistorischen und grammatischen Commentar und ist aus sich heraus zu
verstehen, wenn es auch freilich nicht in die Classe der leichten Lectüre gehört,
wie die beliebten Verdeutschungen der altdeutschen Gedichte, sondern ernsthaft
studirt'sein will. Darum wäre es zu wünschen, daß nicht blos die gelehrte
Welt, die sich ohnehin diese Arbeit nicht wird entgehen lassen, sondern auch
das größere Publicum davon Notiz nähnie. Da allgemein der Sinn für un¬
sere ältere Geschichte und Literatur frisch und aufgeweckt emporstrebe, so wird
dieses Gedicht, in welchem eine bedeutende und merkwürdige Culturperiode
unsres Volks auf das deutlichste sich abspiegelt, gewiß auch in größeren Kreisen
Interesse erregen. Der Herausgeber hat sich durch seine natürliche Vorliebe
für,seinen Gegenstand nicht verführen lassen, dem Gedicht einen größeren poe¬
tischen Werth beizulegen, als es in der That besitzt. Er analystrt es vielmehr
auf das unbarmherzigste als eine Neminiscenzensammlung, die aber durch ih¬
ren eigenthümlichen Ton, ihre Färbung und ihre Beziehung auf die Zustände
der damaligen Zeit sich zu einem allgemein beliebten und bewunderten Volks¬
buch machte, weil die Zeit ihren eignen Charakter in ihr wiedererkannte: eine
gutgesinnte Unproductivität, voll von allgemeinen Wünschen und Erwartungen,
mißtrauisch in ihre eigne Kraft und zu bitterer ironischer Auffassung des Le¬
bens geneigt, aber von unbestimmten Vorempsindungen durchdrungen, die auf
eine größere Zukunft hindeuteten. In der Einleitung, sucht der Herausgeber
das eigenthümliche Verhältniß der großen Gährung, welche am Ende des
-Ul. Jahrhunderts ausbrach, zu den traditionellen Streitigkeiten und Erör¬
terungen der Schulen zu erläutern. Unter den beiden philosophischen Schulen,
die oft in einer Weise wie die Circuöparteien bei den Byzantinern um den
Vorrang stritten, wurden die Nominalisten als die Neuerer angesehen, die
Realisten als die Rechtgläubigen. Trotzdem ging von dem Kreise der letz¬
teren die gelehrte Thätigkeit aus, welche nicht grade mit der geistigen Wieder¬
geburt der Nation zusammenfiel, aber ihr wenigstens den Stoff gab. Wie
nun diese sonderbare Erscheinung sich aus verschiedenen mitwirkenden Umstän¬
den, aus persönlichen Verhältnissen und dergleichen erklären läßt, hat der Her¬
ausgeber im einzelnen sehr geschickt nachgewiesen, zugleich aber auch daraus
hingedeutet, daß noch ein innerer Grund obwaltete, weil in dem Realismus,
abgesehen von seinem metaphysischen Inhalt, zugleich eine Opposition gegen die
scholastischen Spitzfindigkeiten überhaupt enthalten war. Wenn Herr Zarncke
sich zuweilen über jene Männer mit einem Eifer ausspricht, als wären es Geg¬
ner, die man noch heute zu bekämpfen hätte, so liegt das in einer löblichen
. Vertiefung in den Gegenstand, welche die augenblickliche Lage der Dinge ganz
aus dem Gesicht rückt.
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