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Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, I. Semester. II. Band.

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ist auch nichts Anderes .... Die Geister her Verstorbenen erscheinen uns! Das
ist unrichtig ausgedrückt. Es muß heißen: unser Wille zwingt einen Willen, der
von seinem Körper abgelöst ist, sich unserer Organe zu bedienen, um sich für
wenig Augenblicke einem Körper zu leihen, der geschaut werden kann. Der ab¬
gelöste Wille oder Geist eines Verstorbenen ist uns immer nahe, und wenn wir
ihn nur zu rufen verstehen, so kommt er. Es ist aber nicht nöthig, daß er uns
sichtbar in einem körperlichen Scheinbilde erscheint, er kann auch als Gedanke, als
Traum, als Bild in unsere Seele gleiten u. s. w." Natürlich treibt Herr v. Stern-
berg mit allen diese" Geschichten nur Spaß; und das ist es eben, was die
neueste Romantik von ihrer ehrbaren älteren Schwester unterscheidet. --


Laura, ein Roman von Georges Sand, nach der Handschrift des Verfassers an's
dem Französischen übersetzt von August Scheler, rechtmäßige deutsche Ausgabe,
Ä Bde. Brüssel und Leipzig, August Schrei --

Warum Herr Scheler grade ans einer Handschrift übersetzt hat, ist uns nicht
bekannt, da wir bereits vor einiger Zeit gleichfalls in einer Brüsseler Buchhand¬
lung das Erscheinen des Originals angezeigt gefunden haben, noch weniger, warum
die Buchhandlung es für nöthig gehalten hat, einen Roman von Georges Sand
dnrch eine Einleitung von Herrn E. M. Oettinger dem Publicum zu empfehlen,
über die mau erstaunen würde, wenn bei dieser Persönlichkeit dem Gefühl des Er¬
staunens überhaupt noch ein Raum zu geben wäre. Was den Roman selbst betrifft,
so fehlt anch ihm keineswegs jener Reiz, der alle Werke der berühmten Dichterin
auszeichnet, jene Wärme der Imagination, die halb sinnlicher, halb geistiger Art
ist, und die nus wenigstens für den Angenblick mit fortreißt, auch wenn wir mit
unserer Vernunft Widerstand leisten müssen. Aber er ist allerdings viel schwächer,
als eine von den früheren Leistungen der geistvollen Frau und reiht sich auch in
dieser Beziehung an das edäteau clef, OWdrte8 an, mit dem er in Beziehung auf
den Stoff am nächsten verwandt ist. Georges Sand hat sich ans der idyllischen
Darstellung ländlicher Zustände, der sie einige der glänzendsten ihrer Dichtungen
verdankt, wieder in das empfindsame Leben der Salons und der Künstlerwerk¬
stätte begeben. Daß sie diesen Weg wieder nehmen würde, war vorauszusehen,
da ihre eigentliche Natur sie dahin trieb und da wir überhaupt die ländliche
Poesie uur als episodische Beschäftigung gelten lassen können. Aber der Sprung
ist zu hastig: dort der reine aller Cultur widerstrebende Natnrwuchö, hier eine
ätherische, überschwengliche Empfindsamkeit, für deren Verständniß uns aller
Schlüssel fehlt. Der Roman behandelt die Geschichte einer jungen Frau, die
zwar nicht vollständig wahnsinnig geworden ist, die aber alle Fähigkeit, ihren
Willen zu concentriren, verloren hat und die sich in einer inhaltlosen, nachtwand¬
lerischen Ruhe umhertreibt, bis ihr durch die Liebe zu einem Künstler das
Leben wiedergegeben wird. Wenn wir die Scenen, die aus diesem seltsamen


ist auch nichts Anderes .... Die Geister her Verstorbenen erscheinen uns! Das
ist unrichtig ausgedrückt. Es muß heißen: unser Wille zwingt einen Willen, der
von seinem Körper abgelöst ist, sich unserer Organe zu bedienen, um sich für
wenig Augenblicke einem Körper zu leihen, der geschaut werden kann. Der ab¬
gelöste Wille oder Geist eines Verstorbenen ist uns immer nahe, und wenn wir
ihn nur zu rufen verstehen, so kommt er. Es ist aber nicht nöthig, daß er uns
sichtbar in einem körperlichen Scheinbilde erscheint, er kann auch als Gedanke, als
Traum, als Bild in unsere Seele gleiten u. s. w." Natürlich treibt Herr v. Stern-
berg mit allen diese» Geschichten nur Spaß; und das ist es eben, was die
neueste Romantik von ihrer ehrbaren älteren Schwester unterscheidet. —


Laura, ein Roman von Georges Sand, nach der Handschrift des Verfassers an's
dem Französischen übersetzt von August Scheler, rechtmäßige deutsche Ausgabe,
Ä Bde. Brüssel und Leipzig, August Schrei —

Warum Herr Scheler grade ans einer Handschrift übersetzt hat, ist uns nicht
bekannt, da wir bereits vor einiger Zeit gleichfalls in einer Brüsseler Buchhand¬
lung das Erscheinen des Originals angezeigt gefunden haben, noch weniger, warum
die Buchhandlung es für nöthig gehalten hat, einen Roman von Georges Sand
dnrch eine Einleitung von Herrn E. M. Oettinger dem Publicum zu empfehlen,
über die mau erstaunen würde, wenn bei dieser Persönlichkeit dem Gefühl des Er¬
staunens überhaupt noch ein Raum zu geben wäre. Was den Roman selbst betrifft,
so fehlt anch ihm keineswegs jener Reiz, der alle Werke der berühmten Dichterin
auszeichnet, jene Wärme der Imagination, die halb sinnlicher, halb geistiger Art
ist, und die nus wenigstens für den Angenblick mit fortreißt, auch wenn wir mit
unserer Vernunft Widerstand leisten müssen. Aber er ist allerdings viel schwächer,
als eine von den früheren Leistungen der geistvollen Frau und reiht sich auch in
dieser Beziehung an das edäteau clef, OWdrte8 an, mit dem er in Beziehung auf
den Stoff am nächsten verwandt ist. Georges Sand hat sich ans der idyllischen
Darstellung ländlicher Zustände, der sie einige der glänzendsten ihrer Dichtungen
verdankt, wieder in das empfindsame Leben der Salons und der Künstlerwerk¬
stätte begeben. Daß sie diesen Weg wieder nehmen würde, war vorauszusehen,
da ihre eigentliche Natur sie dahin trieb und da wir überhaupt die ländliche
Poesie uur als episodische Beschäftigung gelten lassen können. Aber der Sprung
ist zu hastig: dort der reine aller Cultur widerstrebende Natnrwuchö, hier eine
ätherische, überschwengliche Empfindsamkeit, für deren Verständniß uns aller
Schlüssel fehlt. Der Roman behandelt die Geschichte einer jungen Frau, die
zwar nicht vollständig wahnsinnig geworden ist, die aber alle Fähigkeit, ihren
Willen zu concentriren, verloren hat und die sich in einer inhaltlosen, nachtwand¬
lerischen Ruhe umhertreibt, bis ihr durch die Liebe zu einem Künstler das
Leben wiedergegeben wird. Wenn wir die Scenen, die aus diesem seltsamen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_97779/101>, abgerufen am 29.06.2024.