Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, I. Semester. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

Entsagung Platz macheu: mithin wird die Verneinung des Willens eintreten."
-- S. 303: "Was die Geschichte erzählt, ist in der Thal nnr der lange, schwere
und verworrene Traum der Menschheit."

Wir haben diese Citate keineswegs deshalb angeführt, um durch ihre augen¬
scheinliche Paradoxie ein wohlfeiles Gelächter hervorzurufen. Im Gegentheil
möchten wir darauf hinweisen, daß wir es ebenso gewiß mit einem ernsten Denken
und Empfinden zu thun haben, als mit einer offenbaren Verirrung des Denkens
und Empfindens. Worin diese Verirrung nun liegt, das können wir aus der
vorliegenden Schrift nickt herleiten; es wäre aber wol der Mühe werth, es zu
untersuchen. Daß das Resultat ein falsches ist, daß man Leben und Elend nicht
miteinander identificiren kann, lehrt der erste beste Blick ans spielende Kinder
und ähnliches. Vielleicht liegt die Grundquelle des Irrthums in jenem unsinnigen
Eudämomsmus des vorigen Jahrhunderts, in welchem man wie rasend nach einem
hinter allen Erscheinungen liegenden, ewigen und unvergänglichen Gut suchte,
in dem man die Begriffe Ewigkeit und Genuß, vollständige Abwesenheit aller
Erregung und höchstes Entzücken miteinander zu vereinigen suchte, Begriffe, die
ungefähr so zusammenpassen, wie hölzernes Eisen. So lange man den Fluch, daß
der Mensch im Schweiße seines Angesichts sein Brot essen solle, für einen wirk¬
lichen Fluch hält, so lauge wird man freilich das Leben für ein Elend ansehen;
allein daß dieser Fluch ein Segen ist, zu dieser Erkenntniß ist nicht blos die Phi¬
losophie gekommen, sondern mit ihr auch die immer sich fortbildende christliche
Religion. Ä -.-..-.in'. 7:15 ,is,l,s izl.in




Noch einmal Wagner.

Richard Wagner und die neuere Musik. Eine kritische Skizze aus der musika¬
lischen Gegenwart. Halle, Schröbet und Simon.

Als der Tannhäuser zuerst in Leipzig aufgeführt wurde, erschien in den
Grenzboten eine Kritik, die im Lager der Gläubigen nicht geringe Entrüstung
hervorrief. Das Organ des Wagner-Cultus, die "neue Zeitschrift für Musik",
brachte ein paar Monate hindurch eine Reihe von Gegenerklärungen, unter denen
die eine durch den in jener Zeitschrift höchst auffallenden correcten Stil unsere
Aufmerksamkeit erregte. Zwar erklärte sich der Verfasser derselben gleich zu Anfang
als einen gemäßigten Gegner Wagners, aber er ertheilte demselben so große wenn
auch allgemein gehaltene Lobsprüche, und er sprach von jenem Artikel der
Grenzboten in einem so bösen Ton, daß der entzückte Redacteur in einer
Anmerkung erklärte, solchen Gegnern Wagners ständen seine Spalten sehr gern
offen. Freilich ließ die bittere Enttäuschung nicht auf sich warte". Im Verlauf


Entsagung Platz macheu: mithin wird die Verneinung des Willens eintreten."
— S. 303: „Was die Geschichte erzählt, ist in der Thal nnr der lange, schwere
und verworrene Traum der Menschheit."

Wir haben diese Citate keineswegs deshalb angeführt, um durch ihre augen¬
scheinliche Paradoxie ein wohlfeiles Gelächter hervorzurufen. Im Gegentheil
möchten wir darauf hinweisen, daß wir es ebenso gewiß mit einem ernsten Denken
und Empfinden zu thun haben, als mit einer offenbaren Verirrung des Denkens
und Empfindens. Worin diese Verirrung nun liegt, das können wir aus der
vorliegenden Schrift nickt herleiten; es wäre aber wol der Mühe werth, es zu
untersuchen. Daß das Resultat ein falsches ist, daß man Leben und Elend nicht
miteinander identificiren kann, lehrt der erste beste Blick ans spielende Kinder
und ähnliches. Vielleicht liegt die Grundquelle des Irrthums in jenem unsinnigen
Eudämomsmus des vorigen Jahrhunderts, in welchem man wie rasend nach einem
hinter allen Erscheinungen liegenden, ewigen und unvergänglichen Gut suchte,
in dem man die Begriffe Ewigkeit und Genuß, vollständige Abwesenheit aller
Erregung und höchstes Entzücken miteinander zu vereinigen suchte, Begriffe, die
ungefähr so zusammenpassen, wie hölzernes Eisen. So lange man den Fluch, daß
der Mensch im Schweiße seines Angesichts sein Brot essen solle, für einen wirk¬
lichen Fluch hält, so lauge wird man freilich das Leben für ein Elend ansehen;
allein daß dieser Fluch ein Segen ist, zu dieser Erkenntniß ist nicht blos die Phi¬
losophie gekommen, sondern mit ihr auch die immer sich fortbildende christliche
Religion. Ä -.-..-.in'. 7:15 ,is,l,s izl.in




Noch einmal Wagner.

Richard Wagner und die neuere Musik. Eine kritische Skizze aus der musika¬
lischen Gegenwart. Halle, Schröbet und Simon.

Als der Tannhäuser zuerst in Leipzig aufgeführt wurde, erschien in den
Grenzboten eine Kritik, die im Lager der Gläubigen nicht geringe Entrüstung
hervorrief. Das Organ des Wagner-Cultus, die „neue Zeitschrift für Musik",
brachte ein paar Monate hindurch eine Reihe von Gegenerklärungen, unter denen
die eine durch den in jener Zeitschrift höchst auffallenden correcten Stil unsere
Aufmerksamkeit erregte. Zwar erklärte sich der Verfasser derselben gleich zu Anfang
als einen gemäßigten Gegner Wagners, aber er ertheilte demselben so große wenn
auch allgemein gehaltene Lobsprüche, und er sprach von jenem Artikel der
Grenzboten in einem so bösen Ton, daß der entzückte Redacteur in einer
Anmerkung erklärte, solchen Gegnern Wagners ständen seine Spalten sehr gern
offen. Freilich ließ die bittere Enttäuschung nicht auf sich warte». Im Verlauf


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0342" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/97588"/>
          <p xml:id="ID_889" prev="#ID_888"> Entsagung Platz macheu: mithin wird die Verneinung des Willens eintreten."<lb/>
&#x2014; S. 303: &#x201E;Was die Geschichte erzählt, ist in der Thal nnr der lange, schwere<lb/>
und verworrene Traum der Menschheit."</p><lb/>
          <p xml:id="ID_890"> Wir haben diese Citate keineswegs deshalb angeführt, um durch ihre augen¬<lb/>
scheinliche Paradoxie ein wohlfeiles Gelächter hervorzurufen. Im Gegentheil<lb/>
möchten wir darauf hinweisen, daß wir es ebenso gewiß mit einem ernsten Denken<lb/>
und Empfinden zu thun haben, als mit einer offenbaren Verirrung des Denkens<lb/>
und Empfindens. Worin diese Verirrung nun liegt, das können wir aus der<lb/>
vorliegenden Schrift nickt herleiten; es wäre aber wol der Mühe werth, es zu<lb/>
untersuchen. Daß das Resultat ein falsches ist, daß man Leben und Elend nicht<lb/>
miteinander identificiren kann, lehrt der erste beste Blick ans spielende Kinder<lb/>
und ähnliches. Vielleicht liegt die Grundquelle des Irrthums in jenem unsinnigen<lb/>
Eudämomsmus des vorigen Jahrhunderts, in welchem man wie rasend nach einem<lb/>
hinter allen Erscheinungen liegenden, ewigen und unvergänglichen Gut suchte,<lb/>
in dem man die Begriffe Ewigkeit und Genuß, vollständige Abwesenheit aller<lb/>
Erregung und höchstes Entzücken miteinander zu vereinigen suchte, Begriffe, die<lb/>
ungefähr so zusammenpassen, wie hölzernes Eisen. So lange man den Fluch, daß<lb/>
der Mensch im Schweiße seines Angesichts sein Brot essen solle, für einen wirk¬<lb/>
lichen Fluch hält, so lauge wird man freilich das Leben für ein Elend ansehen;<lb/>
allein daß dieser Fluch ein Segen ist, zu dieser Erkenntniß ist nicht blos die Phi¬<lb/>
losophie gekommen, sondern mit ihr auch die immer sich fortbildende christliche<lb/>
Religion. Ä -.-..-.in'. 7:15 ,is,l,s izl.in</p><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
        </div>
        <div n="1">
          <head> Noch einmal Wagner.</head><lb/>
          <p xml:id="ID_891"> Richard Wagner und die neuere Musik.  Eine kritische Skizze aus der musika¬<lb/>
lischen Gegenwart.  Halle, Schröbet und Simon.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_892" next="#ID_893"> Als der Tannhäuser zuerst in Leipzig aufgeführt wurde, erschien in den<lb/>
Grenzboten eine Kritik, die im Lager der Gläubigen nicht geringe Entrüstung<lb/>
hervorrief. Das Organ des Wagner-Cultus, die &#x201E;neue Zeitschrift für Musik",<lb/>
brachte ein paar Monate hindurch eine Reihe von Gegenerklärungen, unter denen<lb/>
die eine durch den in jener Zeitschrift höchst auffallenden correcten Stil unsere<lb/>
Aufmerksamkeit erregte. Zwar erklärte sich der Verfasser derselben gleich zu Anfang<lb/>
als einen gemäßigten Gegner Wagners, aber er ertheilte demselben so große wenn<lb/>
auch allgemein gehaltene Lobsprüche, und er sprach von jenem Artikel der<lb/>
Grenzboten in einem so bösen Ton, daß der entzückte Redacteur in einer<lb/>
Anmerkung erklärte, solchen Gegnern Wagners ständen seine Spalten sehr gern<lb/>
offen.  Freilich ließ die bittere Enttäuschung nicht auf sich warte». Im Verlauf</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0342] Entsagung Platz macheu: mithin wird die Verneinung des Willens eintreten." — S. 303: „Was die Geschichte erzählt, ist in der Thal nnr der lange, schwere und verworrene Traum der Menschheit." Wir haben diese Citate keineswegs deshalb angeführt, um durch ihre augen¬ scheinliche Paradoxie ein wohlfeiles Gelächter hervorzurufen. Im Gegentheil möchten wir darauf hinweisen, daß wir es ebenso gewiß mit einem ernsten Denken und Empfinden zu thun haben, als mit einer offenbaren Verirrung des Denkens und Empfindens. Worin diese Verirrung nun liegt, das können wir aus der vorliegenden Schrift nickt herleiten; es wäre aber wol der Mühe werth, es zu untersuchen. Daß das Resultat ein falsches ist, daß man Leben und Elend nicht miteinander identificiren kann, lehrt der erste beste Blick ans spielende Kinder und ähnliches. Vielleicht liegt die Grundquelle des Irrthums in jenem unsinnigen Eudämomsmus des vorigen Jahrhunderts, in welchem man wie rasend nach einem hinter allen Erscheinungen liegenden, ewigen und unvergänglichen Gut suchte, in dem man die Begriffe Ewigkeit und Genuß, vollständige Abwesenheit aller Erregung und höchstes Entzücken miteinander zu vereinigen suchte, Begriffe, die ungefähr so zusammenpassen, wie hölzernes Eisen. So lange man den Fluch, daß der Mensch im Schweiße seines Angesichts sein Brot essen solle, für einen wirk¬ lichen Fluch hält, so lauge wird man freilich das Leben für ein Elend ansehen; allein daß dieser Fluch ein Segen ist, zu dieser Erkenntniß ist nicht blos die Phi¬ losophie gekommen, sondern mit ihr auch die immer sich fortbildende christliche Religion. Ä -.-..-.in'. 7:15 ,is,l,s izl.in Noch einmal Wagner. Richard Wagner und die neuere Musik. Eine kritische Skizze aus der musika¬ lischen Gegenwart. Halle, Schröbet und Simon. Als der Tannhäuser zuerst in Leipzig aufgeführt wurde, erschien in den Grenzboten eine Kritik, die im Lager der Gläubigen nicht geringe Entrüstung hervorrief. Das Organ des Wagner-Cultus, die „neue Zeitschrift für Musik", brachte ein paar Monate hindurch eine Reihe von Gegenerklärungen, unter denen die eine durch den in jener Zeitschrift höchst auffallenden correcten Stil unsere Aufmerksamkeit erregte. Zwar erklärte sich der Verfasser derselben gleich zu Anfang als einen gemäßigten Gegner Wagners, aber er ertheilte demselben so große wenn auch allgemein gehaltene Lobsprüche, und er sprach von jenem Artikel der Grenzboten in einem so bösen Ton, daß der entzückte Redacteur in einer Anmerkung erklärte, solchen Gegnern Wagners ständen seine Spalten sehr gern offen. Freilich ließ die bittere Enttäuschung nicht auf sich warte». Im Verlauf

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_97245
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_97245/342
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_97245/342>, abgerufen am 03.07.2024.