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Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, I. Semester. I. Band.

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Briefe über die Schopenhauersche Philosophie,
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von Julius Frauenstädt. Leipzig, Brockhaus.
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Schopenhauer trat mit seinem Hauptwerke, "die Welt als Wille und Vor¬
stellung", zwar bereits 4819 auf, also in einer Zeit, wo das Philosophiren noch
eine Neigung nicht blos der eigentliche" Philosophen, sondern anch des größern
Publicums war, und doch ist er vollständig ignorirt morden, bis vor kurzer Zeit,
wo die Fichtesche Zeitschrift und die Westminster Review von ihm Notiz genommen
haben. Den Artikel der letzteren Zeitschrift, ans deu auch wir hingedeutet haben,
druckt Herr Franeustädt wieder ab. Zunächst entsteht nun bei diesem Versuch,
die Nichtigkeit der Schopenhauersche" Philosophie zu erweise", die Frage, was für
ein Publicum Herr Frauenstädt im Ange gehabt hat, das allgemeine Publicum
oder die Philosophen von Fach. Nach der äußeren Haltung sollte man das erste
vermuthen; denn Herr Francnstädt kleidet seine Apologie in die Form von Briefen
ein, die zum Theil erstaunlich populär gehalten sind und in denen uns sogar die
gewöhnlichen Höflichkeitsbezeuguuge" "icht erspart werden, und außerdem stellt er
an die Spitze seines Buchs eine Empfehlung Gntzkvws, der in den Unterhaltungen
am häusliche" Herd" versichert, Schopenhauer sei im ganzen ein recht guter
Schriftsteller, ein Selbstdenker. Diese Empfehlung ist doch offenbar nicht auf
Philosophen von Fach, sondern aus das Publicum der "Unterhaltungen am häus¬
lichen Herd" berechnet. Nun möchten wir gegen dieses Forum nur zweierlei
einwenden. Einmal hat das größere Publicum nicht mehr die Neigung, sich um
die Streitigkeit seiner Philosophen zu bekümmern, es zieht andere Unterhaltungen
am häuslichen Herd vor; sodann ist grade der Inhalt der Schopenhanerschen
Philosophie, in welcher die Polemik gegen die anderen Philosophen überwiegt, für
das größere Publicum nicht geeignet. Es gibt gewiß philosophische Bücher,
die für das Volk geschrieben sind, so z. B. manche von Fichte, von Schleier-
Macher u. s. w. Bei solchen Büchern ist es aber dann nothwendig, daß sie ganz
ans sich selbst heraus verstanden werden. Sobald der philosophische Schriftsteller
den Inhalt der gesammten Philosophie in den Kreis seiner Betrachtung zieht,
die Deductionen anderer kritisirt u. s. w., darf er sich nicht mehr an das größere
Publicum wenden. Schopenhauer erklärt sämmtliche Philosophen, von Fichte
bis ans Hegel und Herbart für ausgemachte Charlatane und Betrüger: wenn er
aber das beweisen will, so muß er sich an diejenigen wenden, die im Stande
sind, ein Hegelsches Buch zu lesen und zu verstehen. Wenigstens, wenn man
auch das größere Publicum vor Augen hat, muß mau nebenbei doch immer darauf
sehen, daß man den Kennern keine Blöße gibt.

Herr Frauenstädt scheint uns "ach beide" Seite" hin gefehlt zu habe".
Schopenhauer hat in seiner Art und Weise zu philosophiren, obgleich viele treffende


Grenzboten. I., 42
Briefe über die Schopenhauersche Philosophie,
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von Julius Frauenstädt. Leipzig, Brockhaus.
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Schopenhauer trat mit seinem Hauptwerke, „die Welt als Wille und Vor¬
stellung", zwar bereits 4819 auf, also in einer Zeit, wo das Philosophiren noch
eine Neigung nicht blos der eigentliche» Philosophen, sondern anch des größern
Publicums war, und doch ist er vollständig ignorirt morden, bis vor kurzer Zeit,
wo die Fichtesche Zeitschrift und die Westminster Review von ihm Notiz genommen
haben. Den Artikel der letzteren Zeitschrift, ans deu auch wir hingedeutet haben,
druckt Herr Franeustädt wieder ab. Zunächst entsteht nun bei diesem Versuch,
die Nichtigkeit der Schopenhauersche» Philosophie zu erweise», die Frage, was für
ein Publicum Herr Frauenstädt im Ange gehabt hat, das allgemeine Publicum
oder die Philosophen von Fach. Nach der äußeren Haltung sollte man das erste
vermuthen; denn Herr Francnstädt kleidet seine Apologie in die Form von Briefen
ein, die zum Theil erstaunlich populär gehalten sind und in denen uns sogar die
gewöhnlichen Höflichkeitsbezeuguuge» »icht erspart werden, und außerdem stellt er
an die Spitze seines Buchs eine Empfehlung Gntzkvws, der in den Unterhaltungen
am häusliche» Herd" versichert, Schopenhauer sei im ganzen ein recht guter
Schriftsteller, ein Selbstdenker. Diese Empfehlung ist doch offenbar nicht auf
Philosophen von Fach, sondern aus das Publicum der „Unterhaltungen am häus¬
lichen Herd" berechnet. Nun möchten wir gegen dieses Forum nur zweierlei
einwenden. Einmal hat das größere Publicum nicht mehr die Neigung, sich um
die Streitigkeit seiner Philosophen zu bekümmern, es zieht andere Unterhaltungen
am häuslichen Herd vor; sodann ist grade der Inhalt der Schopenhanerschen
Philosophie, in welcher die Polemik gegen die anderen Philosophen überwiegt, für
das größere Publicum nicht geeignet. Es gibt gewiß philosophische Bücher,
die für das Volk geschrieben sind, so z. B. manche von Fichte, von Schleier-
Macher u. s. w. Bei solchen Büchern ist es aber dann nothwendig, daß sie ganz
ans sich selbst heraus verstanden werden. Sobald der philosophische Schriftsteller
den Inhalt der gesammten Philosophie in den Kreis seiner Betrachtung zieht,
die Deductionen anderer kritisirt u. s. w., darf er sich nicht mehr an das größere
Publicum wenden. Schopenhauer erklärt sämmtliche Philosophen, von Fichte
bis ans Hegel und Herbart für ausgemachte Charlatane und Betrüger: wenn er
aber das beweisen will, so muß er sich an diejenigen wenden, die im Stande
sind, ein Hegelsches Buch zu lesen und zu verstehen. Wenigstens, wenn man
auch das größere Publicum vor Augen hat, muß mau nebenbei doch immer darauf
sehen, daß man den Kennern keine Blöße gibt.

Herr Frauenstädt scheint uns »ach beide» Seite» hin gefehlt zu habe».
Schopenhauer hat in seiner Art und Weise zu philosophiren, obgleich viele treffende


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[0337] Briefe über die Schopenhauersche Philosophie, ^ . I'Vli'l ?-t'iM'.dei?) I!-^,,-^,Hlkusl Il'/<^nu>->s von Julius Frauenstädt. Leipzig, Brockhaus. «in^VNIIl!/ ',!<! ?>-',i>^ !>i'l'jet?»IiU^ Mut'Ki!»"^» in MNs >l>1?' Stil> et^ Schopenhauer trat mit seinem Hauptwerke, „die Welt als Wille und Vor¬ stellung", zwar bereits 4819 auf, also in einer Zeit, wo das Philosophiren noch eine Neigung nicht blos der eigentliche» Philosophen, sondern anch des größern Publicums war, und doch ist er vollständig ignorirt morden, bis vor kurzer Zeit, wo die Fichtesche Zeitschrift und die Westminster Review von ihm Notiz genommen haben. Den Artikel der letzteren Zeitschrift, ans deu auch wir hingedeutet haben, druckt Herr Franeustädt wieder ab. Zunächst entsteht nun bei diesem Versuch, die Nichtigkeit der Schopenhauersche» Philosophie zu erweise», die Frage, was für ein Publicum Herr Frauenstädt im Ange gehabt hat, das allgemeine Publicum oder die Philosophen von Fach. Nach der äußeren Haltung sollte man das erste vermuthen; denn Herr Francnstädt kleidet seine Apologie in die Form von Briefen ein, die zum Theil erstaunlich populär gehalten sind und in denen uns sogar die gewöhnlichen Höflichkeitsbezeuguuge» »icht erspart werden, und außerdem stellt er an die Spitze seines Buchs eine Empfehlung Gntzkvws, der in den Unterhaltungen am häusliche» Herd" versichert, Schopenhauer sei im ganzen ein recht guter Schriftsteller, ein Selbstdenker. Diese Empfehlung ist doch offenbar nicht auf Philosophen von Fach, sondern aus das Publicum der „Unterhaltungen am häus¬ lichen Herd" berechnet. Nun möchten wir gegen dieses Forum nur zweierlei einwenden. Einmal hat das größere Publicum nicht mehr die Neigung, sich um die Streitigkeit seiner Philosophen zu bekümmern, es zieht andere Unterhaltungen am häuslichen Herd vor; sodann ist grade der Inhalt der Schopenhanerschen Philosophie, in welcher die Polemik gegen die anderen Philosophen überwiegt, für das größere Publicum nicht geeignet. Es gibt gewiß philosophische Bücher, die für das Volk geschrieben sind, so z. B. manche von Fichte, von Schleier- Macher u. s. w. Bei solchen Büchern ist es aber dann nothwendig, daß sie ganz ans sich selbst heraus verstanden werden. Sobald der philosophische Schriftsteller den Inhalt der gesammten Philosophie in den Kreis seiner Betrachtung zieht, die Deductionen anderer kritisirt u. s. w., darf er sich nicht mehr an das größere Publicum wenden. Schopenhauer erklärt sämmtliche Philosophen, von Fichte bis ans Hegel und Herbart für ausgemachte Charlatane und Betrüger: wenn er aber das beweisen will, so muß er sich an diejenigen wenden, die im Stande sind, ein Hegelsches Buch zu lesen und zu verstehen. Wenigstens, wenn man auch das größere Publicum vor Augen hat, muß mau nebenbei doch immer darauf sehen, daß man den Kennern keine Blöße gibt. Herr Frauenstädt scheint uns »ach beide» Seite» hin gefehlt zu habe». Schopenhauer hat in seiner Art und Weise zu philosophiren, obgleich viele treffende Grenzboten. I., 42

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_97245/337>, abgerufen am 22.07.2024.