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Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, I. Semester. I. Band.

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Ein deutsches Blmdesarmeecorps im, Kriege.

Die Vergangenheit wird uns so häufig als Spiegel vorgehalten, um aus
derselben zu lernen, daß es uns anch einmal gestattet sein möge, den Jahren
^vorauszueilen und uns in die Zukunft zu versetzen. Nehmen wir an, man schriebe
statt des Jahres 1834 die Jahreszahl 1864, und ein Bearbeiter der europäischen
Kriege des Decenniums von 54--64 fände unter den Materialien dazu das sorgfältig
geführte Tagebuch eines GeneralstabvffizierS bei einem recht bunt zusammen¬
gesetzte" deutscheu Armeecorps. Da manche einzelne Stellen daraus nicht ohne allge¬
meines Interesse wären, so erlaubte sich derselbe einiges daraus mitzutheile".-- Ob
ein solches Tagesbuch der Zukunft jetzt in wahrem prophetischem Tone geschrieben
werden kann, muß freilich die Zukunft selbst erst lehren, daß aber die Zustände
der Gegenwart darin nicht unwahr dargestellt sind, mochten wir behaupten.

Der so lauge verzögerte und durch die Kunst der
Diplomatie immer wieder auf Monate hinansgeschobeue Ausbruch eines größeren
europäische" Krieges scheint sicher zu erfolgen. Was wird das Ende desselben
uus bringen, welche Gestalt wird besonders unser Deutschland annehmen? Wird
der Maler beim Colvriren unserer Landkarten später noch immer seinen gauzeu
Farbenreichthum zu Hilfe nehmen müssen, um die Grenzen der vielen einzelnen
Staaten und Gebiete dem Auge gehörig einzuprägen? Doch der Soldat darf
nicht Politiker sein, denn er würde sonst leicht unbrauchbar zu beiden Actiouen, und
so will ich mich denn auch enthalten, die politischen Zustände in meinem Tagebuch
zu berühre" und mich an die rein militärischen halten.

Heut ist der Befehl von Frankfurt angelangt, unser Buudes-
coutiugent auf das schleunigste mobil zu machen, da die Kriegserklärung unfehl¬
bar in kürzester Frist erfolgen werde. Sehr verschiedene Empfindungen erregte
dieser Befehl unter den Kameraden. Die jüngeren, kräftigen, noch von Ehrgeiz
beseelten sind natürlich voll Jnbel und Frende und manche Flasche Wein ward
heule Mittag an unserem Tische auf einen glücklichen Feldzug, der auch für die
Einzelnen rasches Avancement oder einen ehrenvollen Kriegertod vor dem Feinde


Grenzboten. I. 186i. . 26
Ein deutsches Blmdesarmeecorps im, Kriege.

Die Vergangenheit wird uns so häufig als Spiegel vorgehalten, um aus
derselben zu lernen, daß es uns anch einmal gestattet sein möge, den Jahren
^vorauszueilen und uns in die Zukunft zu versetzen. Nehmen wir an, man schriebe
statt des Jahres 1834 die Jahreszahl 1864, und ein Bearbeiter der europäischen
Kriege des Decenniums von 54—64 fände unter den Materialien dazu das sorgfältig
geführte Tagebuch eines GeneralstabvffizierS bei einem recht bunt zusammen¬
gesetzte» deutscheu Armeecorps. Da manche einzelne Stellen daraus nicht ohne allge¬
meines Interesse wären, so erlaubte sich derselbe einiges daraus mitzutheile».— Ob
ein solches Tagesbuch der Zukunft jetzt in wahrem prophetischem Tone geschrieben
werden kann, muß freilich die Zukunft selbst erst lehren, daß aber die Zustände
der Gegenwart darin nicht unwahr dargestellt sind, mochten wir behaupten.

Der so lauge verzögerte und durch die Kunst der
Diplomatie immer wieder auf Monate hinansgeschobeue Ausbruch eines größeren
europäische» Krieges scheint sicher zu erfolgen. Was wird das Ende desselben
uus bringen, welche Gestalt wird besonders unser Deutschland annehmen? Wird
der Maler beim Colvriren unserer Landkarten später noch immer seinen gauzeu
Farbenreichthum zu Hilfe nehmen müssen, um die Grenzen der vielen einzelnen
Staaten und Gebiete dem Auge gehörig einzuprägen? Doch der Soldat darf
nicht Politiker sein, denn er würde sonst leicht unbrauchbar zu beiden Actiouen, und
so will ich mich denn auch enthalten, die politischen Zustände in meinem Tagebuch
zu berühre» und mich an die rein militärischen halten.

Heut ist der Befehl von Frankfurt angelangt, unser Buudes-
coutiugent auf das schleunigste mobil zu machen, da die Kriegserklärung unfehl¬
bar in kürzester Frist erfolgen werde. Sehr verschiedene Empfindungen erregte
dieser Befehl unter den Kameraden. Die jüngeren, kräftigen, noch von Ehrgeiz
beseelten sind natürlich voll Jnbel und Frende und manche Flasche Wein ward
heule Mittag an unserem Tische auf einen glücklichen Feldzug, der auch für die
Einzelnen rasches Avancement oder einen ehrenvollen Kriegertod vor dem Feinde


Grenzboten. I. 186i. . 26
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[0209] Ein deutsches Blmdesarmeecorps im, Kriege. Die Vergangenheit wird uns so häufig als Spiegel vorgehalten, um aus derselben zu lernen, daß es uns anch einmal gestattet sein möge, den Jahren ^vorauszueilen und uns in die Zukunft zu versetzen. Nehmen wir an, man schriebe statt des Jahres 1834 die Jahreszahl 1864, und ein Bearbeiter der europäischen Kriege des Decenniums von 54—64 fände unter den Materialien dazu das sorgfältig geführte Tagebuch eines GeneralstabvffizierS bei einem recht bunt zusammen¬ gesetzte» deutscheu Armeecorps. Da manche einzelne Stellen daraus nicht ohne allge¬ meines Interesse wären, so erlaubte sich derselbe einiges daraus mitzutheile».— Ob ein solches Tagesbuch der Zukunft jetzt in wahrem prophetischem Tone geschrieben werden kann, muß freilich die Zukunft selbst erst lehren, daß aber die Zustände der Gegenwart darin nicht unwahr dargestellt sind, mochten wir behaupten. Der so lauge verzögerte und durch die Kunst der Diplomatie immer wieder auf Monate hinansgeschobeue Ausbruch eines größeren europäische» Krieges scheint sicher zu erfolgen. Was wird das Ende desselben uus bringen, welche Gestalt wird besonders unser Deutschland annehmen? Wird der Maler beim Colvriren unserer Landkarten später noch immer seinen gauzeu Farbenreichthum zu Hilfe nehmen müssen, um die Grenzen der vielen einzelnen Staaten und Gebiete dem Auge gehörig einzuprägen? Doch der Soldat darf nicht Politiker sein, denn er würde sonst leicht unbrauchbar zu beiden Actiouen, und so will ich mich denn auch enthalten, die politischen Zustände in meinem Tagebuch zu berühre» und mich an die rein militärischen halten. Heut ist der Befehl von Frankfurt angelangt, unser Buudes- coutiugent auf das schleunigste mobil zu machen, da die Kriegserklärung unfehl¬ bar in kürzester Frist erfolgen werde. Sehr verschiedene Empfindungen erregte dieser Befehl unter den Kameraden. Die jüngeren, kräftigen, noch von Ehrgeiz beseelten sind natürlich voll Jnbel und Frende und manche Flasche Wein ward heule Mittag an unserem Tische auf einen glücklichen Feldzug, der auch für die Einzelnen rasches Avancement oder einen ehrenvollen Kriegertod vor dem Feinde Grenzboten. I. 186i. . 26

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_97245/209>, abgerufen am 22.07.2024.