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Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, I. Semester. I. Band.

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Die Nordwestdnrchfahrt*).

Fast tausend Jahre sind verflossen, seitdem Gardar Snaffarson die erste
Nordpolarreise antrat. Ein skandinavischer Pirat war kurz vorher ans einer Fahrt
nach den Faröerinseln dnrch einen mehrtägigen Sturm verschlagen worden,, und
fand eine bis dahin ganz unbekannte Insel. Sie bestand aus hohen Bergen, 'die
dick mit Schnee bedeckt waren, und der Verschlagene nannte sie deshalb das
Schneeland. Auf seineu Bericht trat Gardar Snaffarson im Jahre 86i nach
Christi seine Entdeckungsreise an. -- Und erst vor wenig Wochen ist die Nachricht
von der Entdeckung der langgesuchten Nordwestdurchfahrt .nach Europa gelangt.

Der Preis, den man für diese Entdeckung bezahlt hat, ist kein geringer.
Eine Fahrt nach dem Nordpol ist keine Lustreise für die Sprößlinge einer ver¬
weichlichten Aristokratie, sondern sie verlangt von denen, welche sie unternehmen,
einen seltenen Heroismus unter Verhältnissen, die alle Elasticität des Geistes nieder¬
drücken, und einen stets zum Sterben bereiten Muth, der nicht durch das Geräusch
und die Begeisterung des Schlachtfeldes frisch erhalten wird, sondern in der Stille
der Polarnacht und im Ringen gegen dämonische NatNrkräfte sein Todesopfer zu
bringen hat. Die Schiffe fahren sich in großen Eisfeldern unbeweglich fest und
werden auf dieser Unterlage von der Strömung willenlos nach einem unbekannten
Ziele getragen. Plötzlich, ohne daß man weiß wodurch, wird das Eisfeld krachend
und knirschend in Stücke zerschmettert, und das Schiff ächzt und zittert unter den
Füßen der Mannschaft. Diese einzelnen Eismassen werden dann in Hansen über
einandergeworsen und in Staub zcrmcchlen. Ein undurchdringlicher Nebel stellt
sich ein; auf den Kompaß kann man sich uicht mehr verlassen. In einem Zwitter¬
ding von Meer und festem Land schwankt das Schiff hin und her, bei ruhigem
Wetter in beständiger Gefahr, an Eisbergen zu zerschellen, im Sturme von Wellen
bestürmt, die Eisschollen gleich Felsmassen gegen seine krachenden Seiten schleu¬
dern. Aber der Seemann bleibt ruhig und erfüllt seine Pflicht so pünktlich wie
in den milden, sonnenhellen Regionen des Mittelmeeres.



*) Zum Theil nach dem Edinburgh Review.
Grenzboten. I. -I8ö4. 21
Die Nordwestdnrchfahrt*).

Fast tausend Jahre sind verflossen, seitdem Gardar Snaffarson die erste
Nordpolarreise antrat. Ein skandinavischer Pirat war kurz vorher ans einer Fahrt
nach den Faröerinseln dnrch einen mehrtägigen Sturm verschlagen worden,, und
fand eine bis dahin ganz unbekannte Insel. Sie bestand aus hohen Bergen, 'die
dick mit Schnee bedeckt waren, und der Verschlagene nannte sie deshalb das
Schneeland. Auf seineu Bericht trat Gardar Snaffarson im Jahre 86i nach
Christi seine Entdeckungsreise an. — Und erst vor wenig Wochen ist die Nachricht
von der Entdeckung der langgesuchten Nordwestdurchfahrt .nach Europa gelangt.

Der Preis, den man für diese Entdeckung bezahlt hat, ist kein geringer.
Eine Fahrt nach dem Nordpol ist keine Lustreise für die Sprößlinge einer ver¬
weichlichten Aristokratie, sondern sie verlangt von denen, welche sie unternehmen,
einen seltenen Heroismus unter Verhältnissen, die alle Elasticität des Geistes nieder¬
drücken, und einen stets zum Sterben bereiten Muth, der nicht durch das Geräusch
und die Begeisterung des Schlachtfeldes frisch erhalten wird, sondern in der Stille
der Polarnacht und im Ringen gegen dämonische NatNrkräfte sein Todesopfer zu
bringen hat. Die Schiffe fahren sich in großen Eisfeldern unbeweglich fest und
werden auf dieser Unterlage von der Strömung willenlos nach einem unbekannten
Ziele getragen. Plötzlich, ohne daß man weiß wodurch, wird das Eisfeld krachend
und knirschend in Stücke zerschmettert, und das Schiff ächzt und zittert unter den
Füßen der Mannschaft. Diese einzelnen Eismassen werden dann in Hansen über
einandergeworsen und in Staub zcrmcchlen. Ein undurchdringlicher Nebel stellt
sich ein; auf den Kompaß kann man sich uicht mehr verlassen. In einem Zwitter¬
ding von Meer und festem Land schwankt das Schiff hin und her, bei ruhigem
Wetter in beständiger Gefahr, an Eisbergen zu zerschellen, im Sturme von Wellen
bestürmt, die Eisschollen gleich Felsmassen gegen seine krachenden Seiten schleu¬
dern. Aber der Seemann bleibt ruhig und erfüllt seine Pflicht so pünktlich wie
in den milden, sonnenhellen Regionen des Mittelmeeres.



*) Zum Theil nach dem Edinburgh Review.
Grenzboten. I. -I8ö4. 21
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[0169] Die Nordwestdnrchfahrt*). Fast tausend Jahre sind verflossen, seitdem Gardar Snaffarson die erste Nordpolarreise antrat. Ein skandinavischer Pirat war kurz vorher ans einer Fahrt nach den Faröerinseln dnrch einen mehrtägigen Sturm verschlagen worden,, und fand eine bis dahin ganz unbekannte Insel. Sie bestand aus hohen Bergen, 'die dick mit Schnee bedeckt waren, und der Verschlagene nannte sie deshalb das Schneeland. Auf seineu Bericht trat Gardar Snaffarson im Jahre 86i nach Christi seine Entdeckungsreise an. — Und erst vor wenig Wochen ist die Nachricht von der Entdeckung der langgesuchten Nordwestdurchfahrt .nach Europa gelangt. Der Preis, den man für diese Entdeckung bezahlt hat, ist kein geringer. Eine Fahrt nach dem Nordpol ist keine Lustreise für die Sprößlinge einer ver¬ weichlichten Aristokratie, sondern sie verlangt von denen, welche sie unternehmen, einen seltenen Heroismus unter Verhältnissen, die alle Elasticität des Geistes nieder¬ drücken, und einen stets zum Sterben bereiten Muth, der nicht durch das Geräusch und die Begeisterung des Schlachtfeldes frisch erhalten wird, sondern in der Stille der Polarnacht und im Ringen gegen dämonische NatNrkräfte sein Todesopfer zu bringen hat. Die Schiffe fahren sich in großen Eisfeldern unbeweglich fest und werden auf dieser Unterlage von der Strömung willenlos nach einem unbekannten Ziele getragen. Plötzlich, ohne daß man weiß wodurch, wird das Eisfeld krachend und knirschend in Stücke zerschmettert, und das Schiff ächzt und zittert unter den Füßen der Mannschaft. Diese einzelnen Eismassen werden dann in Hansen über einandergeworsen und in Staub zcrmcchlen. Ein undurchdringlicher Nebel stellt sich ein; auf den Kompaß kann man sich uicht mehr verlassen. In einem Zwitter¬ ding von Meer und festem Land schwankt das Schiff hin und her, bei ruhigem Wetter in beständiger Gefahr, an Eisbergen zu zerschellen, im Sturme von Wellen bestürmt, die Eisschollen gleich Felsmassen gegen seine krachenden Seiten schleu¬ dern. Aber der Seemann bleibt ruhig und erfüllt seine Pflicht so pünktlich wie in den milden, sonnenhellen Regionen des Mittelmeeres. *) Zum Theil nach dem Edinburgh Review. Grenzboten. I. -I8ö4. 21

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_97245/169>, abgerufen am 03.07.2024.