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Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. II. Band.

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deuten zurückgelegt, weil sie einzeln genommen einen gar zu trübseligen Eindruck
machen; wir werden sie seiner Zeit in der Form eines Tagebuchs nachliefern. Man
wird uns zwar einwenden, die preußischen Kammern seien nicht der wahre Aus¬
druck des preußischen Volks; allein einmal können wir das nur theilweise zugeben,
sodann ist auch alles Repräsentativwerk unnütz, wenn nicht in Zeiten einer gro¬
ßen Gemüthsbewegung im Volk alles, was sich nicht künstlich in ein einseitiges
Princip verstockt, gewaltsam mit fortgerissen würde. Daß dies in den preußischen
Kammern, deren große Majorität aus wohlgesinnten und von.preußischem Patrio¬
tismus aufrichtig durchdrungenen Männern besteht, nicht der Fall gewesen ist, daß
der Vinckcsche Adreßentwurf nicht eine große Majorität gewonnen hat> das ist ein
hinreichendes Zeichen dafür, daß sich in Preußen eine öffentliche Meinung noch
nicht mit moralisch zwingender Gewalt entwickelt hat. Wir müssen diese Thatsache,
die für ganz Deutschland unheilvoll ist, constatiren, so schwer es uns auch persön¬
lich fällt.

Nun aber noch ein Wort, um nicht das Jahr mit allzutrübcn Betrachtungen
zu schließen. Bei unsrer Lectüre der Geschichte sind wir gewohnt die Thatsachen
in großen Zügen in Freskomalerei aufzufassen, wodurch sie erst je- 'kanadischen
Eindruck auf uus macht, der verloren geht, sobald wir sie ängstlich in ihre einzel¬
nen Bestandtheile auflösen. Wir, die wir mitten in einer Zeit leben, die einen
großen Anlauf nimmt, können sie allerdings nicht in so kühnen Umrissen anschauen,
denn wir erleben sie von Tag zu Tag, und jeder Tag bringt neue Sorgen, neuen
Verdruß, neue Enttäuschungen. Aber wir dürfen nicht vergessen, daß dies zu
allen Zeiten ähnlich gewesen ist, daß den Kleinlichkeiten der einzelnen Menschen
gegenüber ein Etwas steht, was 'die Religiösen Vorsehung, die Philosophen die
immanente Vernunft der Dinge nennen, und daß manche Flamme, die bei ihrer
völligen Entfaltung einen glänzenden Schein verbreitet, ti^res langweilige, mühsame
und verdrießliche Mittel hervorgerufen werden mußte.

Und mit diesem Trost, der darum noch kein unwahrer ist, daß wir ihn als
einen deutschen Trost bezeichnen müssen, wünschen wir unsern Freunden und Lesern
ein fröhliches Neujahr. ,




Herausgegeben von Gustav Freytag mit Julia" SHmidt.
Als veranlwortl. Redacteur legitimirt: F. W. Grunow, -- Verlag von F. L. Herbig
in Leipzig.
Druck von C. E. Klberl in Leipzig.


Abonnementsanzeige zum neuen Jahr.
Mit dem Anfange des neuen Jahres beginnen die Grenzboten
den Jahrgang. Die unterzeichnete Verlagshandlung erlaubt
sich zur Pränumeration auf denselben einzuladen, und bemerkt, daß alle
Buchhandlungen und Postämter Bestellungen annehmen.
Leipzig, im December Fr. Lndw. .Herbig.


deuten zurückgelegt, weil sie einzeln genommen einen gar zu trübseligen Eindruck
machen; wir werden sie seiner Zeit in der Form eines Tagebuchs nachliefern. Man
wird uns zwar einwenden, die preußischen Kammern seien nicht der wahre Aus¬
druck des preußischen Volks; allein einmal können wir das nur theilweise zugeben,
sodann ist auch alles Repräsentativwerk unnütz, wenn nicht in Zeiten einer gro¬
ßen Gemüthsbewegung im Volk alles, was sich nicht künstlich in ein einseitiges
Princip verstockt, gewaltsam mit fortgerissen würde. Daß dies in den preußischen
Kammern, deren große Majorität aus wohlgesinnten und von.preußischem Patrio¬
tismus aufrichtig durchdrungenen Männern besteht, nicht der Fall gewesen ist, daß
der Vinckcsche Adreßentwurf nicht eine große Majorität gewonnen hat> das ist ein
hinreichendes Zeichen dafür, daß sich in Preußen eine öffentliche Meinung noch
nicht mit moralisch zwingender Gewalt entwickelt hat. Wir müssen diese Thatsache,
die für ganz Deutschland unheilvoll ist, constatiren, so schwer es uns auch persön¬
lich fällt.

Nun aber noch ein Wort, um nicht das Jahr mit allzutrübcn Betrachtungen
zu schließen. Bei unsrer Lectüre der Geschichte sind wir gewohnt die Thatsachen
in großen Zügen in Freskomalerei aufzufassen, wodurch sie erst je- 'kanadischen
Eindruck auf uus macht, der verloren geht, sobald wir sie ängstlich in ihre einzel¬
nen Bestandtheile auflösen. Wir, die wir mitten in einer Zeit leben, die einen
großen Anlauf nimmt, können sie allerdings nicht in so kühnen Umrissen anschauen,
denn wir erleben sie von Tag zu Tag, und jeder Tag bringt neue Sorgen, neuen
Verdruß, neue Enttäuschungen. Aber wir dürfen nicht vergessen, daß dies zu
allen Zeiten ähnlich gewesen ist, daß den Kleinlichkeiten der einzelnen Menschen
gegenüber ein Etwas steht, was 'die Religiösen Vorsehung, die Philosophen die
immanente Vernunft der Dinge nennen, und daß manche Flamme, die bei ihrer
völligen Entfaltung einen glänzenden Schein verbreitet, ti^res langweilige, mühsame
und verdrießliche Mittel hervorgerufen werden mußte.

Und mit diesem Trost, der darum noch kein unwahrer ist, daß wir ihn als
einen deutschen Trost bezeichnen müssen, wünschen wir unsern Freunden und Lesern
ein fröhliches Neujahr. ,




Herausgegeben von Gustav Freytag mit Julia» SHmidt.
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in Leipzig.
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Leipzig, im December Fr. Lndw. .Herbig.


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[0528] deuten zurückgelegt, weil sie einzeln genommen einen gar zu trübseligen Eindruck machen; wir werden sie seiner Zeit in der Form eines Tagebuchs nachliefern. Man wird uns zwar einwenden, die preußischen Kammern seien nicht der wahre Aus¬ druck des preußischen Volks; allein einmal können wir das nur theilweise zugeben, sodann ist auch alles Repräsentativwerk unnütz, wenn nicht in Zeiten einer gro¬ ßen Gemüthsbewegung im Volk alles, was sich nicht künstlich in ein einseitiges Princip verstockt, gewaltsam mit fortgerissen würde. Daß dies in den preußischen Kammern, deren große Majorität aus wohlgesinnten und von.preußischem Patrio¬ tismus aufrichtig durchdrungenen Männern besteht, nicht der Fall gewesen ist, daß der Vinckcsche Adreßentwurf nicht eine große Majorität gewonnen hat> das ist ein hinreichendes Zeichen dafür, daß sich in Preußen eine öffentliche Meinung noch nicht mit moralisch zwingender Gewalt entwickelt hat. Wir müssen diese Thatsache, die für ganz Deutschland unheilvoll ist, constatiren, so schwer es uns auch persön¬ lich fällt. Nun aber noch ein Wort, um nicht das Jahr mit allzutrübcn Betrachtungen zu schließen. Bei unsrer Lectüre der Geschichte sind wir gewohnt die Thatsachen in großen Zügen in Freskomalerei aufzufassen, wodurch sie erst je- 'kanadischen Eindruck auf uus macht, der verloren geht, sobald wir sie ängstlich in ihre einzel¬ nen Bestandtheile auflösen. Wir, die wir mitten in einer Zeit leben, die einen großen Anlauf nimmt, können sie allerdings nicht in so kühnen Umrissen anschauen, denn wir erleben sie von Tag zu Tag, und jeder Tag bringt neue Sorgen, neuen Verdruß, neue Enttäuschungen. Aber wir dürfen nicht vergessen, daß dies zu allen Zeiten ähnlich gewesen ist, daß den Kleinlichkeiten der einzelnen Menschen gegenüber ein Etwas steht, was 'die Religiösen Vorsehung, die Philosophen die immanente Vernunft der Dinge nennen, und daß manche Flamme, die bei ihrer völligen Entfaltung einen glänzenden Schein verbreitet, ti^res langweilige, mühsame und verdrießliche Mittel hervorgerufen werden mußte. Und mit diesem Trost, der darum noch kein unwahrer ist, daß wir ihn als einen deutschen Trost bezeichnen müssen, wünschen wir unsern Freunden und Lesern ein fröhliches Neujahr. , Herausgegeben von Gustav Freytag mit Julia» SHmidt. Als veranlwortl. Redacteur legitimirt: F. W. Grunow, — Verlag von F. L. Herbig in Leipzig. Druck von C. E. Klberl in Leipzig. Abonnementsanzeige zum neuen Jahr. Mit dem Anfange des neuen Jahres beginnen die Grenzboten den Jahrgang. Die unterzeichnete Verlagshandlung erlaubt sich zur Pränumeration auf denselben einzuladen, und bemerkt, daß alle Buchhandlungen und Postämter Bestellungen annehmen. Leipzig, im December Fr. Lndw. .Herbig.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_96706/528>, abgerufen am 28.12.2024.